Carolin Butterwegge: »Genoss*innen sind denunziert worden«

Carolin Butterwegge spricht im Interview über die Gründe für ihren Austritt aus der Partei Die Linke

  • Interview: Jana Frielinghaus
  • Lesedauer: 8 Min.
»Zumindest ist der Eindruck entstanden, dass das Eintreten für soziale Gerechtigkeit ein Thema ist, das außerhalb der Wahlkämpfe unter ferner liefen behandelt wird.« Carolin Butterwegge über ihre Entfremdung von der Linkspartei.
»Zumindest ist der Eindruck entstanden, dass das Eintreten für soziale Gerechtigkeit ein Thema ist, das außerhalb der Wahlkämpfe unter ferner liefen behandelt wird.« Carolin Butterwegge über ihre Entfremdung von der Linkspartei.

Nach mehr als 17 Jahren in der WASG und der Linken sind Sie seit dem 1. Januar parteilos. Gab es einen konkreten Punkt, an dem Sie gesagt haben: Die Linke ist nicht mehr meine Partei?

Es gab mehrere Anlässe und es war eher ein langsamer Entfremdungsprozess. Für mich war besonders das Ergebnis des Mitgliederentscheids zum bedingungslosen Grundeinkommen befremdlich. Die Entscheidung der Mehrheit für eine solche Lösung hat mich massiv irritiert, weil sie nicht meinem Verständnis von Sozialpolitik entspricht. Ein weiterer Punkt war, dass sich das Klima in der Partei immer mehr verschlechtert hat. Man arbeitet sich mit Verve am innerparteilichen Gegner ab statt an den gesellschaftlichen und politischen Kontrahenten. Da sind viele Genoss*innen ausgegrenzt und sogar denunziert worden, die ich sehr schätze. Es gibt immer weniger Solidarität in der Partei. Dabei liegen die Kernthemen der Linken ja in Krisenzeiten wie der aktuellen wirklich auf der Hand.

Interview


Carolin Butterwegge war seit Gründung der Partei Die Linke im Jahr 2007 deren Mitglied, zehn Jahre davon auch Mitglied des Landes­vorstands von Nordrhein-Westfalen. Zuvor hatte sie ab 2005 die Vorläuferorganisation Wahlalternative Arbeit und Soziale Gerechtigkeit (WASG) in NRW mit aufgebaut. Butterwegge ist Sozialwissen­schaft­lerin und lehrt Erziehungswissenschaften an der Univer­si­tät Köln. Von 2010 bis zur vorzeitigen Neuwahl 2012 war sie Mitglied der Links­fraktion im Düsseldorfer Landtag und zur Landtagswahl im Mai 2022 Spitzenkandidatin der Linken. Am 30. De­zem­ber erklärte die 49-Jährige ihren Austritt aus der Partei.

Der Mitgliederentscheid zum Grundeinkommen wurde von einer Gruppe in der Partei initiiert, nun muss sich ein Parteitag damit befassen, ob die Forderung danach ins Grundsatzprogramm aufgenommen werden soll. Entschieden ist also noch nichts.

Das ist richtig. Aber für mich ist es schon die Frage: Setzt sich Die Linke auch künftig für einen Ausbau des Sozialstaates ein, der Einkommensarme, Menschen mit Niedrigeinkommen und Benachteiligte stärker unterstützt? Oder macht sie eine Sozialpolitik nach dem Gießkannenprinzip, wo alle gleichermaßen bedacht werden? Der Mitgliederentscheid hat eine Grundsatzentscheidung hervorgebracht. Die Beteiligung war nicht allzu hoch, was ich sehr bedaure. Ich glaube, die Abstimmung wäre anders ausgefallen, wenn man dafür im Vorfeld mehr Aufmerksamkeit generiert hätte. Meiner Ansicht nach müsste Die Linke beim Konzept einer sanktionsfreien Mindestsicherung bleiben, bei welcher der Bedarf geprüft wird. Dafür hätte auch der Parteivorstand mehr werben müssen.

Ein wichtiger Punkt in der Austrittserklärung, die Sie zusammen mit vier anderen verfasst haben, ist die Ihrer Ansicht nach nicht mehr konsequente Haltung der Linken in der Friedensfrage …

Ja, ich finde die Positionen der Partei dazu sind zuletzt immer weniger für die Öffentlichkeit erkennbar gewesen. Beispielsweise wurden weitreichende Sanktionen gegenüber Russland von vielen Linke-Akteuren befürwortet, obwohl laut Parteitagsbeschluss vom Sommer 2022 nur solche Maßnahmen unterstützt werden, die Oligarchen und Profiteure des russischen Angriffskriegs treffen. Gleichzeitig fand ich die Angriffe auf Sahra Wagenknecht falsch, als sie im Bundestag von einem Wirtschaftskrieg der Bundesregierung gegen Russland sprach und davon, dass dieser die Bevölkerung hierzulande trifft. Ähnlich vielstimmig geht es in der Frage der Waffenlieferungen zu, die die Partei ablehnt, die aber prominente Genoss*innen befürworten. Das hat dazu geführt, dass Die Linke kaum mehr als Teil der Friedensbewegung wahrgenommen wird, die sich für einen Waffenstillstand, für Friedensverhandlungen, für diplomatische Lösungen in aller Form einsetzt. Und im vergangenen Februar konnte man sich nicht zu einer Unterstützung des von Sahra mit initiierten Manifests für Frieden und der Friedenskundgebung in Berlin durchringen. In NRW wurde Genoss*innen, die zu der Demo gefahren sind, vom Landesvorstand vorgeworfen, dass sie gemeinsam mit Rechtsextremist*innen, Antisemit*innen und Holocaustleugner*innen demonstriert hätten. Das ist eine Verunglimpfung und geht gar nicht.

In der Erklärung heißt es auch, linke Kernpositionen in der sozialen Frage würden »vernachlässigt oder geschliffen«. Woran machen Sie das fest?

Beim Begriff »geschliffen« würde ich nicht hundertprozentig zustimmen. Aber zumindest ist der Eindruck entstanden, dass das Eintreten für soziale Gerechtigkeit ein Thema ist, das außerhalb der Wahlkämpfe unter ferner liefen behandelt wird. Die bis kürzlich bestehende Linke-Bundestagsfraktion, ostdeutsche Landesverbände und Linke-Fraktionen vielerorts in Stadt- und Gemeinderäten machen diesbezüglich zwar gute Arbeit und stellen die richtigen Forderungen. Das Problem ist aber, dass es seit geraumer Zeit nicht mehr gelungen ist, damit in der Öffentlichkeit durchzudringen. Das zeigt sich in den Wahlergebnissen der letzten Jahre. Weil diese inhaltliche Arbeit von anderen Themen überlagert wurde, ist vielen Menschen nicht mehr klar, wofür Die Linke steht. Sie war in den Medien mehr mit innerparteilichem Streit präsent als mit ihren Forderungen nach der armutsfesten Mindestsicherung und wirksamer Bekämpfung von Kinderarmut.

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Sie waren 2022 bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen Spitzenkandidatin. Damals ist Die Linke katastrophal eingebrochen. Auch Sie sind also mit Ihren sozialpolitischen Schwerpunkten nicht zu den Wählenden durchgedrungen.

Natürlich trage auch ich dafür die Verantwortung. Aber wir hatten ohnehin wenig Chancen auf einen Wiedereinzug in den Landtag. Dazu kam die bundespolitische Debatte um den neuen Krieg nach dem russischen Überfall auf die Ukraine und über Sexismusvorwürfe in der Partei. Dadurch sind unsere landespolitischen Themen – und wir hatten ein gutes Programm – gar nicht mehr wahrgenommen worden.

Sie werfen der Linkspartei in der Austrittserklärung vor, die »Anliegen einer breiten Mehrheit der Menschen« seien »vernachlässigt und Zielen wie einer konsequenten Politik für Klimagerechtigkeit untergeordnet« worden. Ist eine linke Alternative sozial ungerechten Klimapolitik der Ampel-Koalition nicht extrem dringlich?

Eine konsequente Politik für mehr Klimagerechtigkeit muss natürlich auch die Leute mitnehmen. Und ich glaube, da schießt Die Linke teilweise übers Ziel hinaus, indem sie im Kern eigentlich richtige und notwendige Positionen formuliert, die aber, würden sie umgesetzt, oft auf Kosten sozial benachteiligter Bevölkerungsteile gehen würden.

Sie sagen auch, Die Linke interessiere sich nicht mehr richtig für die Erfahrungswelt der »arbeitenden Menschen« und setze stattdessen auf »grün-akademische Großstadtschichten und identitätspolitische Themen«. Ist diese Darstellung nicht zu pauschal?

Das sehe ich nicht so. Man kann Außenstehenden viele innerparteiliche Debatten wirklich kaum noch vermitteln. Bei den Bundesparteitagen gibt es Frauen-, Männer- und Migranten-Plenen zu bester Tagungszeit, und die Schaffung von Strukturen gegen Diskriminierung und gegen Sexismus nimmt auf allen Ebenen im Parteiapparat großen Raum ein.

Finden Sie eine bessere Repräsentanz zum Beispiel von Migranten in der Linken nicht wichtig? Sie sind viel stärker als andere Gruppen von sozialer Benachteiligung und Diskriminierung betroffen.

Ich unterstütze es, wenn Betroffene und Benachteiligte sich selbst organisieren und für eine bessere Repräsentanz auch in der Linken zusammenschließen. Und da muss die Partei natürlich auch ihre Strukturen überdenken und diskriminierungsfreie Räume schaffen, in der alle gleichermaßen Politik machen können. Die Frage ist nur, ob man einem solchen innerparteilichen Thema ein so großes Gewicht einräumen sollte, wenn sich zugleich immer mehr Menschen darum sorgen, ob sie am Ende des Monats noch genug Geld haben, um den Kühlschrank zu füllen. Oder noch die Spritpreise bezahlen können, um im ländlichen Raum ihre Arbeitsstellen zu erreichen.

Die Linke hat ein reales Sexismus-Problem. Angesichts dessen erscheint es nötig, dem mit neuen Strukturen entgegenzuwirken.

Ich habe mich immer als Feministin verstanden und meine Aufgabe auch darin gesehen, gegen Diskriminierung von Frauen und ihre strukturelle Benachteiligung zu kämpfen: etwa im Bereich der geringeren Einkommen und Sozialversicherungsansprüche, die aus Teilzeitmodellen resultieren. Solche sozialpolitischen Gender-Themen sollte eine politische Partei nicht vernachlässigen, die sich konsequent für soziale Gerechtigkeit einsetzt.

Aber dann wäre es doch umso wichtiger, innerhalb der Linken weiter für eine Konzentration auf die Kernthemen zu kämpfen.

Das habe ich jahrelang getan und mich dafür eingesetzt, dass es in der Linken bei den Positionen zu Kinderarmut, Bildung und Sozialpolitik in eine für mich richtige Richtung geht. Und ich habe mich auch immer für einen solidarischen Umgang miteinander und für die Wertschätzung der innerparteilichen Pluralität eingesetzt. Aber da hat sich die Partei so stark verändert, dass ich diesen Kampf irgendwann aufgegeben habe.

Wie geht es jetzt bei Ihnen weiter?

Ich werde mein politisches Engagement nicht an den Nagel hängen. Jetzt bin ich nur erstmal parteilos. Und bei neuen Bündnissen hoffe ich, dass sie sich auch programmatisch gut entwickeln.

Sie spielen auf das Bündnis Sahra Wagenknecht an. Welchen Eindruck haben Sie von dessen Gründungsmanifest?

Das ist ja noch relativ wenig aussagekräftig und umfasst nur einige Politikfelder. Deswegen werde ich mir dieses Bündnis natürlich näher anschauen und prüfen, was für Positionen jeweils bezogen werden.

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