Geheimtreffen: Reiner Wahn

Wie die Neue Rechte von ethnischen Säuberungen träumt: Das Konzept »Remigration« hat Vorbilder

  • Natascha Strobl
  • Lesedauer: 5 Min.

Die Neue Rechte bemüht gern das Pathos faschistischer Rhetorik und gleichzeitig die Seriosität wissenschaftlicher Sprache. Eigentlich ist es pseudowissenschaftliche Sprache, die sie immer wieder ins Treffen führt. Diesem Prinzip folgte sie schon mit dem Begriff »Ethnopluralismus« und aktuell laut den Enthüllungen des Recherchezentrums Correctiv bei einem Geheimtreffen zum Thema »Remigration«. Griechische Begriffe klingen nach Wissenschaft und Seriosität, sind in jedem Fall unverdächtiger als das verbrauchte deutsche Wort »Volk«.

Die Konzepte hinter den Begriffen sind aber weder wissenschaftlich noch neu. Mit dem »Ethnopluralismus« träumt die Neue Rechte von weltweiten Apartheidsstaaten reiner »Völker« – oder »Kulturen«, wie man nun verschämt sagt. Diese Völker sollen sich nicht mischen und an ihrem angestammten Flecken Erde bleiben. (Über das Schicksal von Völkern, die keinen Flecken Erde ihr eigen nennen, schweigt man sich nobel aus.) Allem Unheil der Welt liegt dieser Weltsicht nach die Mischung verschiedener Völker zugrunde. Es zeigt sich: Hinter dem pseudowissenschaftlichen Begriff »Ethnopluralismus« steckt doch wieder eine Version der Rassentheorie. So ist es auch mit »Remigration«.

Der Themenkomplex Flucht, Asyl, Migration wurde von der Neuen Rechten begrifflich nicht immer in dieser Sterilität behandelt. Mit dem Aufkommen der Identitären ab 2012 und vor allem nach 2015/16 überwogen die Kriegsmetaphern. Geflüchtete Menschen wurden zu »Invasoren« und die große Hilfsbereitschaft des Sommers 2015 zur Kriegsniederlage durch Verrat im Inneren (ein beliebter Mythos der extremen Rechten in der gesamten Geschichte). Die Idee eines Schießbefehls an der Grenze wurde auch von hohen Politiker*innen der AfD ventiliert.

Diesem martialischen Bild ging in den Jahren zuvor die Idee der Reconquista voraus. Das Neudeuten von historischen Mythen ist ebenso ein Spiel der Neuen Rechten. »Europa, Jugend, Reconquista« wurde zum Schlachtruf der Identitären. Mit Reconquista ist eine Periode in der Geschichte der Iberischen Halbinsel gemeint, die über das gesamte Mittelalter andauerte. In dieser Phase wurden in wechselhaften Kämpfen die Mauren von der Iberischen Halbinsel vertrieben, die sie im 8. Jahrhundert erobert hatten. Das Credo war also: So wie damals die maurischen Invasoren vertrieben wurden, so müssen heute Muslime aus Europa vertrieben werden. Es sollte keiner Rede wert sein, dass dieser Vergleich aus vielen Gründen mehr als schief ist. Denn auch hier stand das martialische Bild im Vordergrund. Ungefähr 2018 wurde dieses Bild vom klinischen Begriff »Remigration« abgelöst.

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Der Begriff ist keine Erfindung der Neuen Rechten, sondern hat in den Sozialwissenschaften eine feste Bedeutung. Es bezeichnet den Vorgang der freiwilligen Rückkehr in ein Heimatland, nachdem man aus diesem »migriert« ist. Der Begriff hat seine Berechtigung vor allem in der Biografieforschung. Entscheidend ist dabei, dass er innerhalb einer Biografie zur Anwendung kommt. Es geht also nicht um die Rückkehr in ein Land, aus dem die Vorfahren stammen. Entscheidend ist auch, dass es hier um individuelle und freiwillige Entscheidungen geht. Die Gründe für diese Rückkehr können höchst unterschiedlich sein und von Heimweh oder familiären Gründen über wirtschaftliche Entscheidungen bis zu Diskriminierung reichen.

Dieser Begriff wird nun von der Neuen Rechten zu etwas anderem umgedeutet: zu staatlich forcierter Rückkehr. Er wird zum Oberbegriff für eine Reihe von staatlichen Zwangsmaßnahmen. Dazu zählen Abschiebungen, die schon jetzt vom Gesetz gedeckt sind und auch bereits stattfinden. Im Nachgang der Enthüllungen des Recherchezentrums Correctiv gab es Versuche, »Remigration« mit Abschiebungen synonym zu setzen. Für diese Abschiebungen gibt es unterschiedliche Kriterien, vor allem aber sind es mangelnde Fluchtgründe. (Oder was ein Gericht als solche befindet.) Mit der Umdeutung wird der Begriff »Remigration« aber bewusst weiter gefasst. Neben den schon jetzt legalen Abschiebungen kommen Ausweisungen aufgrund »kultureller Ferne« oder »Unerwünschtheit« hinzu. 

Diese Begriffe sind juristisch nicht eindeutig und haben einen rein moralischen Impetus. Denn was »kulturell fern« und wer »unerwünscht« ist, entscheiden natürlich die Rechtsextremen selbst. Bei besagtem Geheimtreffen wurden als Beispiel »Flüchtlingshelfer« genannt. Ehrenamtliches Engagement in einem »unerwünschten« Bereich kann nach diesem Konzept also zur forcierten Ausweisung führen.

Dasselbe gilt für »Kulturferne«. Sieht man die Genese des Diskurses innerhalb der Neuen Rechten, so ist klar, dass »Kulturferne« kein individuelles Verhalten meint, sondern pauschal für ganze Gruppen von Menschen gilt. Muslime sollen vertrieben werden. Diesen Anspruch hat man vor Jahren pathosgeladen formuliert, und es gibt keinen Indikator, dass sich daran etwas geändert hätte. Der Begriff erlaubt aber auch andere Gruppen mit einzuschließen, etwa den politischen Gegner oder andere gesellschaftliche oder ethnische Minderheiten. Dahinter steckt wiederum die Idee eines »Reinhaltens« Deutschlands. Wer fremd ist, muss gehen. Und wer fremd ist, bestimmt die extreme Rechte. 

Die Konsequenzen, ließe man die extrem Rechten gewähren, sind zu erahnen. Es würde das nicht freiwillige Verlassen Deutschlands von Hunderttausenden, vielleicht sogar Millionen Menschen bedeuten. Ob hier geboren, hier um Asyl ansuchend, mit oder ohne Pass macht im Endeffekt keinen Unterschied. Die Deutungshoheit liegt nicht bei nüchternen Gesetzen, sondern in Auslegungen von moralischen Konzepten wie »Kulturferne«.

Im völkischen Weltbild der extremen Rechten bedeutet das nichts anderes als ethnische Säuberungen. Das betrifft nicht nur die, die gehen müssen, sondern auch die, die (noch) bleiben dürfen. Der nagende Terror, bei der nächsten Welle dabei sein zu können, reicht aus, um eine demokratische Gesellschaft völlig zu zerstören. Und genau das ist das eigentliche Ziel derer, die von »Remigration« träumen.

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