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Mannheimer Polizei auf der Anklagebank

Nach tödlichem Einsatz stehen zwei Polizisten vor Gericht – das öffentliche Interesse ist groß

  • Lisa Bor
  • Lesedauer: 5 Min.

Ein Jahr und neun Monate ist es her, dass Ante P. im Alter von nur 47 Jahren in Folge eines gewaltsamen Polizeieinsatzes am 2. Mai 2022 auf dem Marktplatz in der Mannheimer Innenstadt starb. Am Freitag begann der Prozess gegen die beiden beteiligten Polizisten, einen 28-jährigen Oberkommissar und einen 26-jährigen Polizeihauptmeister, vor dem Mannheimer Landgericht. Mutter und Schwester des Verstorbenen haben sich jeweils für eine Nebenklage entschieden. Angesetzt sind acht Termine, der nächste am Mittwoch, der letzte am 8. März.

Als die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft ab kurz nach neun Uhr am Morgen verlesen wird, füllt sich der Gerichtssaal noch. Der Andrang ist groß. Nicht wenige grüßen anwesende uniformierte Polizisten mit Handschlag und Nicken – es scheinen Kolleg*innen zu sein. Auch Menschen aus dem Umfeld des Verstorbenen sind da, ebenso interessierte Mannheimer*innen und Aktivist*innen gegen Polizeigewalt.

P. soll weder bewaffnet noch überhaupt eines kriminellen Deliktes verdächtig gewesen sein, als ihn die beiden Polizisten ansprachen. Er war schon länger Patient des Zentralinstituts für Seelische Gesundheit (ZI) und wollte an diesem Montag im offenen stationären Betrieb aufgenommen worden, weil er unter Ängsten und Unruhe litt. Am Mittag war er vom Klinikgelände in Richtung des nahegelegenen Marktplatzes gelaufen. Nach bisherigem Ermittlungsstand soll sein Arzt ihm nachgegangen sein und schließlich die Polizei an der Wache im Quadrat H4, zwischen ZI und Marktplatz gelegen, um Hilfe bei der Suche gebeten haben.

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Für einen ersten Verhandlungstag ist dieser Termin ungewöhnlich lang. Vier von sieben geladenen Zeugen*innen tragen ihre Aussage vor, drei sind an diesem Tag entschuldigt. Eine vom Landeskriminalamt Baden-Württemberg vorgetragene Rekonstruktion aus Handyvideos und Aufnahmen von Überwachungskameras soll die Ereignisse nachvollziehbar machen. Davon am Freitag ein Ausschnitt von rund zehn Minuten gezeigt, der den Weg des späteren Opfers Richtung Innenstadt zeigt.

Die Anklage gegen die beiden Polizisten wiegt schwer: Der Oberkommissar soll P. nach der Ansprache erst Pfefferspray ins Gesicht gesprüht und ihn bei der Festnahme viermal ins Gesicht geboxt haben. Weder den Pfeffersprayeinsatz, noch die Schläge sieht die Staatsanwaltschaft als gerechtfertigt an. Dem Angeklagten werden deshalb versuchte gefährliche Körperverletzung sowie Körperverletzung im Amt mit Todesfolge vorgeworfen.

Auf Grundlage eines gerichtsmedizinischen Gutachtens geht die Staatsanwaltschaft außerdem davon aus, dass P. an den Folgen der Gewalt gestorben sein kann: Da er mit Nasenbluten durch die Faustschläge und bäuchlings auf dem Boden fixiert worden sei, habe er kaum atmen können. Dem Polizeihauptmeister wird deshalb fahrlässige Tötung durch Unterlassen vorgeworfen, da er diese gefährliche Situation zuließ und nicht änderte. Der Tod hätte »mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit dadurch vermieden werden können« so die Staatsanwaltschaft.

»Wenn ich etwas falsch gemacht habe, werde ich dafür einstehen«, sagt einer der Polizisten einleitend. Den Pfefferspraygebrauch, die Schläge und die Fesselung stellt er als begründet dar. Die Anwendung unmittelbaren Zwangs sei P. als Konsequenz angekündigt worden, wenn er nicht mitkommen würde.

Die Verteidigung geht nicht davon aus, dass der Angeklagte etwas falsch gemacht hat. Sie führt unterdessen Zweifel am Gutachten der Gerichtsmedizin Heidelberg an, auf das die Staatsanwaltschaft Bezug nimmt. Sie hat eigene Gutachten in Auftrag gegeben, die zu anderen Schlüssen kommen sollen: P. soll an Vorerkrankungen gestorben sein.

Dass Polizist*innen sich vor Gericht mit dem Vorwurf unrechtmäßiger Gewalt konfrontiert sehen, ist selten. Zudem werden einer Studie der Goethe-Universität Frankfurt am Main zufolge mehr als 90 Prozent der überhaupt eröffneten Ermittlungsverfahren gegen Polizeiangehörige wegen rechtswidriger Gewaltausübung eingestellt. Menschen mit psychischen Erkrankungen sterben nach einer Statistik der Organisation »Frag den Staat« auffällig oft durch Polizeischüsse.

Einer Studie der Goethe-Universität Frankfurt am Main zufolge, werden mehr als 90 Prozent der Verfahren wegen rechtswidriger Gewaltausübung gegen Polizist*innen mangels hinreichendem Tatverdacht eingestellt. Verhältnismäßig häufig nehmen nach Recherche der Organisation Frag den Staat tödliche Polizeischüsse einem Menschen in psychischen Ausnahmezuständen oder mit psychischer Erkrankung das Leben – in den vergangenen zehn Jahren in Rheinland-Pfalz, Bayern und Bremen jeder dritte. Eine vollständige Statistik gibt es nicht. In Mannheim starben nach Ante P. bis heute zwei weitere Personen im Zuge von Polizeieinsätzen.

Ein so tragischer Tod zieht weite Kreise, für Zeug*innen, Angehörige und Bekannte. Dagmar, die sich in der »Initiative 2. Mai« engagiert, war eine Kollegin des Verstorbenen. »Die Nachricht von seinem Tod wurde bei uns in der Werkstatt unter Tränen weitergegeben und aufgenommen.« sagt sie im Gespräch mit dem »nd«. Ein gepflanzter Apfelbaum im Garten der Arbeitsstelle soll an P. erinnern. Sie erwartet, dass es nach dem Prozess endlich eine Entschuldigung von offizieller Stelle gibt. »Und der Polizist sollte nicht mehr in diesem Beruf arbeiten« findet sie.

Die Initiative 2. Mai hat sich nach P.s Tod gegründet und ist mittlerweile auch eine Vernetzung mit anderen Angehörigen von tödlicher Polizeigewalt geworden. »Es ist wichtig, sich auszutauschen, voneinander zu lernen und zusammen zu kämpfen« sagt Sevda, eine der Aktivist*nnen. Die Initiative fordert unter anderem einen Opferfonds für Angehörige in dieser Situation. »Es ist gut, dass Prozess endlich stattfindet. Aber es ist auch schwer, eine enorme emotionale Belastung, dazu eine Menge Bürokratie und Kosten. Damit sollten die trauernden Familien nicht allein gelassen werden.«

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