George-Grosz-Ausstellung: Apokalypse im Klebebild

Collagieren war für George Grosz eine künstlerische Befreiung. In Berlin zeigt eine Ausstellung den so entstandenen Werkteil

  • Gunnar Decker
  • Lesedauer: 6 Min.
Will man das essen? George Grosz, »Cookery Class«, Collage, 1958
Will man das essen? George Grosz, »Cookery Class«, Collage, 1958

Das Kleine Grosz-Museum, schon einmal in dieser Zeitung porträtiert, befindet sich im Gebäude einer ehemaligen Tankstelle in Berlin, nahe dem Nollendorfplatz. Um einen Anbau erweitert wirkt der Ort wie eine Art »Tankstelle für Verlierer«, wie es Gerhard Gundermann in einem Lied nannte: eine Oase der Ermutigung für jene, die sich – damals wie heute – in einer falschen Wirklichkeit gefangen gesetzt fühlen.

So einer war auch George Grosz. Er wollte Künstler bleiben und nicht politischer Agitator werden – was ihm angesichts der herrschenden Geistverlassenheit nicht immer leicht fiel. Darum erfand er die Collage, eine Spielwiese, die er damals noch schlicht »Klebebild« nannte. Als passionierter Spieler mit Bildern und Bildausschnitten war Grosz auch ein begabter Legendenbildner. Legenden sind Geschichten, die von der Suggestion leben, selbst wenn sie anders passiert sein sollten; sie sind eine Frage der Präzision im Vagen. Bei Grosz können wir lesen, warum die mutwillige Zersplitterung des vorgefundenen Materials, meist waren es Fotografien, für ihn solch eine künstlerische Befreiung war. Zunächst müssen die gängigen Bilder von schöner heiler Welt zerrissen oder mit der Schere zerschnitten – also zerstört – werden, erst dann kann man die Fragmente mit Kleber und Fantasie zu neuen Bildern zusammensetzen.

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Nur so gelangt man zu neuen Ansichten der Welt. Es sind berühmt gewordene Sätze von einem, der nicht zuletzt sich selbst zu inszenieren verstand, notiert 1918: »Als John Heartfield und ich 1916 in meinem Südender-Atelier an einem Maitage frühmorgens um 5 Uhr die Photomontage erfanden, ahnten wir beide weder die großen Möglichkeiten, noch den dornenvollen, aber erfolgreichen Weg, den diese Entdeckung nehmen sollte. Wie das ebenso manchmal im Leben ist, wir waren auf eine Goldader gestoßen, ohne es zu wissen.«

Die Welt der Bilder und der Bedeutungen sollte im Folgenden mittels Collage revolutioniert werden, die Dada-Bewegung brachte es darin weit. Diese erfundenen, aus aufgefundenen Partikeln zusammengesetzten Bilder konfrontierten die Selbstdarstellung von Politik und Kommerz mit deren mehr oder weniger geschickt verborgenen hässlichen Seite. Die dann durch den Gedanken hindurch gegangenen Bilder haben ihre Harmlosigkeit gründlich verloren.

Die Verbindung von George Grosz und John Heartfield barg kritische Möglichkeiten bis hin zum Skandal. Sie erwies sich vor allem unmittelbar nach Ende des Ersten Weltkrieges als fruchtbar. John Heartfield war, zusammen mit seinem Bruder Wieland Herzfelde und dessen Malik-Verlag, zweifellos politischer in seinen Ambitionen als Grosz. Für ihn war die Collage schließlich ein Mittel für seine berühmt gewordenen Plakate, mit denen er in den 1920er Jahren Hitler und die NSDAP als Verbrecher bloßstellte, die nach der Macht griffen.

Gemeinsam schufen Grosz und Heartfield Collagen, die mit einfachen Bildmitteln über politische Zusammenhänge aufklären wollten. So schmückte 1920 die Collage »Die Stützen von Altar, Thron und Vaterland« eine Publikation des Malik-Verlages. Darauf die Zeichnung von drei feisten Gestalten, die an Honoré Daumiers Karikaturen erinnern. Aber diese Zeichnungen sind – das eben ist neu – teilweise überklebt mit Bildfragmenten, die aus der offiziellen Selbstdarstellung der Repräsentanten »entwendet« und nun gegen diese verwendet werden. So lesen wir unter der Collage mit den drei staatstragenden Figuren (die schon etwas von verfremdeten Figurinen haben): »Wir schieben alle! Wir prassen vereint! Wir haben nur einen Feind: Russland!« Fallen einem dazu gegenwärtige Bezüge ein?

Die in der Ausstellung versammelten Collagen stammen zumeist aus dem Archiv der Akademie der Künste in Berlin, mit der zusammen das – privat geführte – Kleine Grosz-Museum diese Sonderausstellung im ersten Stock zeigt, während im Parterre die Dauerausstellung über den künstlerischen Werdegang von Grosz zu sehen ist. Die Collagen-Sonderausstellung wurde von Birgit Möckel und Rosa von der Schulenburg kuratiert. Für sie ist der Hamletsche »Riss in der Welt« das zentrale Motiv des Collagen-Kosmos von George Grosz. Mit der eigenen Kunstwelt sich gegen die zerstörerische Außenwelt wappnen, das war zeitlebens sein Credo.

In den 1920er Jahren in Berlin warf er böse Blicke auf jene, die nach dem Untergang des Kaiserreiches das Personal der Weimarer Republik bildeten: finstere Gestalten von gestern, offene oder heimliche Feinde der Republik. Profitgier, Militanz und Standesdünkel prägten diese höchst korrupte Klasse, die schließlich in Hitler ihren Führer fand. Mit ihm wollten sie endlich Russland erobern, Kommunisten und Juden ausrotten.

Ebenfalls mit Heartfield schuf Grosz Bühnenbilder, etwa zu Jaroslav Hašeks »Die Abenteuer des braven Soldaten Schwejk« für Erwin Piscators Proletarisches Theater. Diese waren auch der Form nach avantgardistisch, geradezu collagenhaft zusammengesetzt, wie Grosz erinnert: »Jedenfalls setzte Erwin die Photo-Montage sinngemäß in den Bühnenrahmen ein, montierte den alten Kulissenzauber glatt um und gab der Bühne wieder jene Lebendigkeit und Geschehensfülle, die das richtige Theater haben muss.« Als »moderner Schlachtenmaler«, als der Grosz sich verstand, zeigte er bei jeder Gelegenheit, was Krieg für die Soldaten bedeutet: Tod und Zerstörung, Verstümmelung an Körper und Seele, zuletzt Vernichtung von allem, was einen Wert hat.

Im Fokus dieser höchst intelligent gemachten kleinen Ausstellung stehen jedoch Exponate aus der Zeit von George Grosz in den USA, wo er von 1932 bis 1959 lebte. Wenige Wochen nach seiner Rückkehr nach Berlin starb er nach einem Treppensturz. Interessant die Sammelwut von Grosz, die sich in seinen Collagenbüchern zeigt. Eine Art Bildtagebücher, wie jenes, das er von 1941 bis 1957 führte und das den Titel »Textures. The Musterbook« trägt. Hier hat er Ausgeschnittenes aus dem »New Yorker«, aus Kaufhauskatalogen und Werbesendungen auf eine höchst apokalyptische Weise zusammengestellt. Es ähnelt jenem bizarren Welttheater eines Hieronymus Bosch, den er bewunderte. Die obszöne Überfülle der Warenwelt feiert hier einen Triumph, der mit ständigem Brechreiz einhergeht. Berge von Fleisch und Wurst, dazwischen aggressiv beworbener Whisky und lächelnde Modepuppen, denen Grosz – wenn man genau hinschaut, sieht man es – die Augen ausgestochen hat, manches wurde übermalt. Lauter Monster, die die angepriesene schöne neue Konsumwelt in eine moderne Hölle verwandeln.

Welch böser Aberwitz durchzieht doch diese amerikanischen Albtraumszenarien, die nicht aus Mangel, sondern Überfluss gemacht scheinen. Der Hype um Tiefkühlkost (eine Neuheit, die Grosz abstieß und anzog zugleich) und automatisierte Küchengeräte wird sichtbar. Im Ganzen viel Überdruss und Langeweile. Das zeigt sich auch in den ausgestellten Postkarten, die Grosz an Freunde schickte. Die Veränderung eines kleinen Details genügt, um ein auf den ersten Blick freundlich scheinendes Foto bis zur Kenntlichkeit zu entstellen: Die Fratze tritt an die Stelle des dauerlächelnden Gesichts.

Aber auch sich selbst sah er nicht weniger streng. So schickte er dem Kunstkritiker und -sammler Paul Westheim 1947 eine Ansichtskarte, auf der er seinen Kopf auf eine Matrosenuniform montierte, mit einer Pfeife im Mund und einer weißen Leerstelle, dort, wo sein rechtes Auge sitzen sollte. Aber es ist ihm irgendwo unterwegs abhandengekommen. Ein deformierter Mensch, auch er. Welch ein trauriger Witz, der diese Collagen der Amerika-Zeit durchzieht. Man hat das penetrante Gefühl von Stillstand und Leere. Es wirkt, als denke George Grosz mit Melancholie an jene Zeit zurück, da der Feind noch klar umrissene Konturen hatte.

»George Grosz. A Piece of my World in a World without Peace. Die Collagen«. Bis zum 3. Juni, Das kleine Grosz-Museum, Berlin.

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