Großbritannien: Ruanda-Gesetz nimmt Hürde

Britische Regierung will umstrittene Abschiebepläne an der Justiz vorbei umsetzen

  • Sascha Zastiral, London
  • Lesedauer: 4 Min.

Premier Rishi Sunak möchte Zuversicht ausstrahlen, als er am Donnerstagvormittag in seinem Amtssitz in der Downing Street an das Rednerpult tritt. »Die konservative Partei ist zusammengekommen und das Ruanda-Gesetz wurde verabschiedet«, sagt Sunak und blickt dabei in die Kamera. »Jetzt ist es an der Zeit, dass die Lords dieses Gesetz ebenfalls verabschieden.«

Das geplante Gesetz legt einseitig fest, dass das ostafrikanische Ruanda für nach Großbritannien gelangte Flüchtlinge ein sicherer Drittstaat sei. Gerichte sollen das damit nicht länger prüfen dürfen. Kritiker sehen in dem geplanten Gesetz aus gutem Grund einen autoritären Eingriff in die Unabhängigkeit der Justiz.

Während der zweitägigen Debatte im Unterhaus am Dienstag und Mittwoch war von der beschworenen Tory-Einigkeit nicht viel zu sehen. Mehr als 60 Rebellen vom rechten Rand der konservativen Partei stimmten gegen den Willen der Regierung für eine Reihe von Änderungsanträgen, die das Ziel hatten, das Gesetz weiter zu verschärfen. Zwei stellvertretende Parteichefs traten sogar von ihren Posten als Vize-Parteichefs zurück, damit sie sich den Rebellen anschließen konnten.

Die Änderungsanträge gingen nur deswegen nicht durch, weil auch die Opposition dagegen stimmte. Bei der endgültigen Abstimmung darüber, ob der Gesetzentwurf in die nächste Runde des Gesetzgebungsprozesses gehen sollte, stimmten die Rebellen wohl vor allem deswegen zu, um Sunak nicht versehentlich zu stürzen.

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Das innerparteiliche Hickhack dominiert die Schlagzeilen. Das fügt dem ohnehin ramponiertem Ansehen des Premiers weiteren Schaden zu. In einer aktuellen Wahlumfrage baute die oppositionelle Labour-Partei ihren Vorsprung vor den Tories auf geschlagene 27 Prozent aus.

Und weiterer Streit um das Ruanda-Gesetz ist garantiert. Denn im House of Lords, wo die Tories keine Mehrheit haben, formiert sich bereits seit Wochen Widerstand. Der Jurist Alex Carlile, der als Parteiloser im Oberhaus sitzt, bezeichnete die Pläne als »Schritt in Richtung Totalitarismus«. Die Mitglieder des Oberhauses könnten für eigene Änderungsanträge stimmen oder versuchen, den Gesetzentwurf ganz zu stoppen.

Die kontroversen Abschiebepläne hat Sunak von seinem Vor-Vorgänger Boris Johnson geerbt. Der gab diese im April 2022 bekannt – just zu der Zeit, als er sich nach einer Reihe von Skandalen gegen Rücktrittsforderungen stemmte. Die damalige Innenministerin Priti Patel und Ruandas Außenminister Vincent Biruta unterzeichneten kurz darauf ein entsprechendes Abkommen.

Die Abschiebungen sollen Flüchtlinge davon abhalten, in Booten von Frankreich aus über den Ärmelkanal nach Großbritannien zu kommen. Jedes Jahr wagen Tausende die gefährliche Überfahrt. Ihre Zahl ist relativ überschaubar: Im vergangenen Jahr kamen weniger als 30 000 auf diesem Weg nach Großbritannien. Die Zahl der (legalen und irregulären) Netto-Zuwanderer betrug 2022 laut der Statistikbehörde ONS 745 000. Bislang wäre Ruanda lediglich dazu in der Lage, einige Hundert Flüchtlinge im Jahr aufzunehmen. Und das, obwohl London bereits mindestens 240 Millionen Pfund nach Kigali überwiesen an.

Das Phänomen der Bootsflüchtlinge ist eine direkte Folge des EU-Austritts. Denn seit dem Ende der Brexit-Übergangsfrist Anfang 2021 hat Großbritannien kein Rückführungsabkommen für Flüchtlinge mit seinen europäischen Nachbarländern mehr.

Die Ruanda-Pläne stießen schnell auf juristische Hürden. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg stoppte im Juni 2022 den ersten geplanten Flug nach Ruanda. Britische Gerichte begannen, sich mit den geplanten Abschiebungen zu befassen. Der Supreme Court in London, das oberste Gericht des Landes, erklärte die Pläne im vergangenen Oktober in letzter Instanz für illegal.

Rishi Sunaks Regierung unterzeichnete daraufhin im Dezember ein leicht abgewandeltes Abkommen mit Kigali. Und sie setzte den umstrittenen Gesetzentwurf in Gang, mit dem sich London aus der Sicht von Kritikern über die Gerichte und internationales Recht hinwegsetzen möchte.

Die ruandische Regierung reagiert auf das Hickhack in London unterdessen zunehmend genervt. Kein Wunder, schließlich rückt der Streit die problematische Menschenrechtslage in dem Land immer wieder ins Rampenlicht.

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