Berlin Kreuzberg: Hafenplatz droht Untergang

Das Wohnquartier am Kreuzberger Hafenplatz muss weichen, die Zukunft der Mieter ist ungewiss

  • Günter Piening
  • Lesedauer: 5 Min.
Hafenplatz vor der Versenkung: Das Schicksal des 70er Jahrebaues scheint besiegelt, doch was wird aus seinen Bewohner*innen?
Hafenplatz vor der Versenkung: Das Schicksal des 70er Jahrebaues scheint besiegelt, doch was wird aus seinen Bewohner*innen?

Wenn in Zeiten von Klimanotstand und Wohnungsnot ein Quartier mit preiswerten Wohnungen komplett abgerissen werden soll, dann muss man schon überzeugende Begründungen haben. Und so wurden am 10. Januar für die Bürgerversammlung zur Vorstellung der Neubaupläne für den Kreuzberger Hafenplatz Architekt*innen, Stadtplaner*innen, Partizipationsprofis, ein Geschäftsführer der Gewobag und der zuständige Baustadtrat aufgefahren, um den Mieter*innen und Menschen aus der Nachbarschaft zu erläutern, dass ein Abriss den Weg freimacht für ein schöneres Quartier mit viel Kiezflair. Die Mieter*innen aber haben ganz andere Probleme.

Der in den 70er Jahren errichtete Gebäudekomplex mit dem markanten Terrassenturm (»Pyramide«) war 2016 – ein Jahr vor Ablauf der Sozialbindung – an die Hafenplatz GmbH verkauft worden, die einen Teilabriss und eine umfassende Sanierung ankündigte. Mehrheitsgesellschafter ist Janis Moriatis, der 2015 erstmals mit seiner ruppigen Kündigung des Lebensmittelladens »Bizim Bakkal« in der Wrangelstraße für Schlagzeilen sorgte. Mit den Jahren wurden die Abrisswünsche größer, nun ist der Komplettabriss geplant für ein neues »urbanes Quartier«, wie es im Investorensprech so schön heißt. Einen Teil der Bauten soll die landeseigene Gewobag übernehmen und dort geförderten Mietwohnungsbau schaffen.

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»Am Abriss führt kein Weg vorbei – wenn er nicht genehmigt wird, rechnet es sich nicht, dann steigen wir aus«, macht Gewobag-Geschäftsführer Thorsten Schulte gleich zu Beginn der Bürgerversammlung klar. Das ist eine starke Drohung gegen den Bezirk, der auch hier sozial geförderte Wohnungen haben will und auf die Gewobag angewiesen ist.

Der Totalabriss war in den auf der Bürgerversammlung präsentierten architektonischen Visionen darum bereits eingepreist. Zwei Architekturbüros stellten ihre Entwürfe vor, mit den üblichen gestaffelten Quaderbauten – mal ein wenig versetzt, mal etwas mehr Holz – mit bodentiefen Fenstern und einer Mischung aus Büro-, Gewerbe- und Dienstleistungsflächen. Der Anteil der Wohnungen blieb im Vagen und schwankt je nach Architekturbüro zwischen 600 und 940. Das Bauvolumen wurde gegenüber den ersten Planungen erheblich erweitert, es muss also in die Höhe gehen. Bei der Präsentation eines 80 Meter hohen Turms – das wäre fast so hoch wie das 89 Meter hohe ehemalige Postscheckamt nebenan – gerät eine der Architekt*innen ins Schwärmen: »Da oben bietet sich sicher ein großartiger Ausblick über Berlin!«

Aber wer wird dort wohnen? Bestimmt nicht die jetzigen Mieter*innen. Das Viertel zwischen Landwehrkanal und Askanischem Platz ist geprägt durch »eine hohe SGB-II-Hilfequote und viele Einwohner in prekären sozialen Lagen«, heißt es in einer Analyse des Bezirksamts Friedrichshain-Kreuzberg aus dem Jahre 2019. Fast ein Drittel der über 65-Jährigen sei auf Grundsicherung angewiesen. Auch bei den Bewohner*innen des Hafenplatzes ist der Anteil der Älteren in prekären Lebensverhältnissen, die sich keine hohe Miete leisten können, sehr hoch, weiß Felix Lackus, der in der »Pyramide« für den Verein Asum die Mieterberatung macht. »Die werden auf dem Wohnungsmarkt kaum eine Chance haben.«

Verzweiflung und Zukunftsangst waren denn auch in allen Beiträgen der Mieter*innen bei der Bürgerversammlung zu spüren. Und je mehr die Architekt*innen die Vorteile des neuen »Kulturhafens« priesen, desto mehr wuchs die Verärgerung. »Sie reden hier von Co-Working, Kiezflair und schickem urbanem Quartier – und wir wollen einfach nur preiswert wohnen bleiben«, platzte es schließlich aus einem heraus.

Das ist nach Baustadtrat Florian Schmidt auch garantiert. Keiner müsse Angst vor Verdrängung haben, allen Mieter*innen soll eine geförderte Wohnung im Komplex angeboten werden, beruhigte Schmidt, der vier Gutachten mitgebracht hatte, in denen auch aus ökologischen Gründen ein Totalabriss favorisiert wird. »Wenn wir den Eindruck haben, hier findet Verdrängung statt, dann machen wir das nicht.«

Einigen Mieter*innen kamen diese Sätze sicherlich bekannt vor. Bereits 2018, als die ersten Abrisspläne bekannt wurden, hatte Schmidt ihnen versichert, es werde keine Entwicklung »auf Kosten der Menschen, die hier leben« geben, der Bezirk werde keinem Konzept zustimmen, bei dem nicht alle Mieter*innen bleiben können. Dabei war die Verdrängung schon voll im Gange. Der Mieterverein beschrieb damals die Situation in dem Quartier so: »Der neue Eigentümer hat bereits mit der Entmietung begonnen und dafür eigens einen ›Mieterberater‹ eingestellt, der seine Unterstützung bei der Suche nach einer neuen Bleibe anbietet. In vielen Wohnungen gibt es Kakerlaken, der Fahrstuhl fällt immer mal wieder aus und auf den Fluren und im Hof türmt sich der Müll. Zwei Drittel der Wohnungen stünden inzwischen leer oder seien als Unterkunft für russische Bauarbeiter zweckentfremdet worden, berichten Mieter.«

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Heute ist es nach den Erfahrungen von Felix Lackus von Asum nicht mehr ganz so extrem. Der Leerstand habe sich verringert, in den Räumen des ehemaligen Studierendenwohnheims wohnen mittlerweile ukrainische Flüchtlinge. Die Müllberge sind verschwunden und der Aufzug fährt meistens. »Aber der Gesamtzustand des Hauses ist nach wie vor desolat und es wird nur das Allernötigste gemacht.«

Das, was den Mieter*innen am meisten Sorgen bereitet, sind die Mietverträge. Der Großteil hat befristete Verträge, schätzt Lackus. Begründet wird die seit Jahren bestehende Praxis, Mietverträge nur noch befristet abzuschließen, mit dem bevorstehenden Baubeginn. Da sich der aber immer wieder nach hinten schiebt, reiht sich eine Befristung an die andere. Aktuell werden »alle Mietverträge bis 2025 verlängert«, teilte Alexandra Gräfin von Stosch, Geschäftsführerin des Anteilseigners Artprojekt, auf der Veranstaltung mit.

Große Freude kam dadurch nicht auf. »Was passiert danach? Stehen wir mit den befristeten Mietverträgen dann auf der Straße?«, so die berechtigte Mieterfrage. Eine klare Aussage bekamen sie nicht. Man werde es versuchen, aber eine Entfristung könne sie nicht zusagen, vertröstete von Stosch.

Darauf will sich Baustadtrat Florian Schmidt nicht einlassen. Auf Nachfrage von »nd« lässt er einige Tage später mitteilen: »Das Bezirksamt fordert ausdrücklich, dass alle Mieter bleiben können, auch die mit befristeten Mietverträgen. Das Bezirksamt wird gemeinsam mit der Asum und den Vorhabenträgern ein Sozialplanverfahren konzipieren, das dann fester Bestandteil des Entwicklungsprozesses ist.«

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