Nach Correctiv-Recherche: Ist die deutsche Demokratie wehrhaft?

Staatsrechtler Andreas Fisahn zur Gefahr einer rechten Machtübernahme und zur Frage, wie sie verhindert werden kann

  • Interview: Pauline Jäckels
  • Lesedauer: 7 Min.
Viele sehen es als letzte Hoffnung im Kampf gegen rechts: ein Verbotsverfahren gegen die AfD.
Viele sehen es als letzte Hoffnung im Kampf gegen rechts: ein Verbotsverfahren gegen die AfD.

Die AfD ist auf dem Vormarsch, ihre rechtsextremen Züge werden immer deutlicher. Viele fordern ein Parteiverbot. Allerdings sind die Versuche, die rechtsextreme NPD zu verbieten, in der Vergangenheit gescheitert. Was wäre jetzt bei der AfD anders?

Da gibt es einige wichtige Unterschiede. Das NPD-Verbot ist zum einen ja daran gescheitert, dass V-Leute des Verfassungsschutzes in der Partei waren, sodass das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) argumentierte, es könne nicht mehr richtig unterscheiden, was überhaupt NPD-Meinung ist und was vom Staat der NPD untergeschoben wurde. Das war beim ersten Verfahren 2003. Dann kam das zweite Verfahren mit dem Urteil 2017. Bis dahin konnte das Gericht sehr ausführlich untersuchen, ob die NPD verfassungswidrig ist, und das Gericht entschied: Ja, sie ist verfassungswidrig. Ein Verbot kam aber trotzdem nicht. Die Begründung: Die NPD sei zu klein, um wirklich die freiheitlich-demokratische Grundordnung zu gefährden. Und genau das ist die wichtigste Voraussetzung für ein Parteiverbot.

Ist das bei der AfD anders?

Bei der AfD ist klar, dass sie nicht mehr kleinzureden ist. Man müsste aber natürlich eine ausführliche Begründung liefern, was denn an der AfD verfassungswidrig ist. Die große Herausforderung daran ist zu beweisen, dass die Partei als Ganze die freiheitlich-demokratische Grundordnung gefährdet, und nicht nur einzelne Mitglieder. All das muss vor so einem Antrag akribisch gesammelt und dann zur Verfügung gestellt werden. Bei dem zweiten NPD-Verfahren waren das rund 350 Seiten.

Würde deshalb ein Verbotsverfahren so lange dauern? Oft ist die Rede von drei Jahren ...

Es kommt immer auf den Fall an. Zuerst müsste der Antrag beim Bundesverfassungsgericht gestellt werden. Das kann nur die Bundesregierung, der Bundestag oder der Bundesrat. So ein Antrag müsste sehr ordentlich vorbereitet werden. Das heißt, es muss Material gesammelt, dann alles gelesen und noch einmal kontrolliert werden. Und das BVerfG schickt dann die gesamte Anklageschrift an die AfD, die dann der Größe der Anklage entsprechend viel Zeit hat, eine Gegenstellungnahme zu formulieren. Dann kommt irgendwann die mündliche Verhandlung, und danach das Urteil. Das dauert natürlich alles seine Zeit, deshalb sind drei Jahre wahrscheinlich gar nicht so verkehrt als Schätzung.

Bisher sieht es nicht so aus, als gäbe es in der Bundesregierung das Bestreben, ein solches Verfahren einzuleiten. Warum will das Innenministerium sich dieser Aufgabe nicht annehmen?

Das kann ich schwer beurteilen, aber es ist durchaus möglich, dass das Ministerium einfach zu viel anderes zu tun hat, um sich jetzt so einer aufwändigen Sache zu widmen. Inzwischen wurde in den Parteien angefangen, darüber zu diskutieren. Wobei eben viele argumentieren, dass sich die AfD nach einem Verbot noch mehr in ihre Märtyrerposition begeben und dadurch Stimmen gewinnen könnte.

Was halten Sie von dieser Sorge?

Das ist kein besonders starkes Argument. Die AfD präsentiert sich auch jetzt in dieser Märtyrerrolle. Außerdem müsste so ein Verbotsverfahren mit einer entsprechenden politischen Offensive seitens der Antragsteller, also der Regierungsparteien, aber am besten natürlich auch noch der CDU verbunden werden. Dann hätte das auch Aussicht auf Erfolg und diese Märtyrergeschichte würde nicht besonders verfangen. Das zweite Argument, das aus meiner Sicht wichtiger ist: Die AfD ist inzwischen so stark, dass ein Verbot zu einem bewaffneten Widerstand von rechts führen könnte. Natürlich gibt es deutlich militante Teile im rechten Spektrum, die dann bei Protesten mitmischen würden. Andererseits ist der Großteil der Bürger, die die AfD wählen, nicht unbedingt bereit zur Militanz. Sie würden nicht über das hinausgehen, was sich etwa die Bauern bei ihren Protesten geleistet haben. Ich würde aber sagen, dass im Grunde der Staat stark genug ist, um sich dagegen durchzusetzen. In dem Fall dürfte das Militär eingreifen.

Ein Verbot in drei Jahren könnte aber nicht verhindern, dass die AfD bis dahin ihre Macht ausweiten oder sogar an die Regierung kommen könnte.

Das stimmt, aber das ist kein Argument gegen ein Verbot. Denn das würde ja bedeuten: Wir machen es jetzt nicht und nachher wird es noch schlimmer. Die Frage ist natürlich, ob eine AfD, die in der Regierung sitzt, dann beispielsweise die sächsische Polizei mobilisieren könnte, etwa gegen die Bundespolizei. Man sagt ja immer, unser Grundgesetz ist so konzipiert, dass der Staat sich gegen solche Ausreißer wehren kann. Aber wenn man sich das genauer ansieht, ist das ausgesprochen schwierig. Etwa zu sagen, die Bundeswehr marschiert dann einfach da ein. Dazu kommt: Sowohl in der Bundeswehr als auch in der Polizei gibt es schon Netzwerke mit Verbindungen zum rechten Spektrum. Sie könnten unter einer AfD-Regierung mächtiger werden.

Sind Sie also für ein Verbot?

Ich würde es erst einmal mit der Aberkennung von Bürgerrechten einzelner Funktionäre nach Artikel 18 im Grundgesetz versuchen. Als erster in den Sinn kommt da der Thüringer AfD-Chef Björn Höcke, dessen Landesverband vom Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestuft wurde. Eine entsprechende Petition mit Hunderttausenden Unterschriften gibt es ja schon. Aber auch hier müssten Bundesregierung, Bundestag oder eine Landesregierung den Antrag stellen. Ein solches Verfahren gab es noch nie, das heißt aber nicht, dass man es nicht machen kann. Das Ganze wäre natürlich erheblich einfacher als ein Parteiverbot. Man müsste nicht beweisen, dass die ganze Partei verfassungswidrig ist, sondern nur, dass dieser einzelne Mensch seine Meinungsfreiheit, Demonstrationsfreiheit et cetera gegen die Verfassung einsetzt.

Aber würde das wirklich etwas bringen, gegen Einzelne vorzugehen?

Man könnte der Partei so wichtige Kader nehmen. Das müsste ja nicht nur Björn Höcke sein, das können ja noch andere sein. Und dann kommt es natürlich auch darauf an, welche Rechte aberkannt werden. Dazu kann gehören, dass die Person keine politischen Ämter mehr antreten darf, oder auch, dass ihre gesamte Meinungsfreiheit eingeschränkt wird – dass Höcke zum Beispiel nicht mehr zu Demos gehen oder sich in den sozialen Medien äußern darf. Mittelfristig wäre es so auch möglich, die gesamte Partei zu verbieten.

Können Sie das erläutern?

Wenn ich mehreren Leuten in der Partei die Bürgerrechte aberkenne, weil sie sich gegen die Verfassung stellen, könnte es für das Bundesverfassungsgericht ein Hinweis sein, dass die gesamte Partei die freiheitliche Grundordnung gefährdet. Ein direkter Vorteil eines solchen Verfahrens gegen Höcke wäre auch, dass es die anstehenden Wahlen in Thüringen betreffen könnte.

Wir halten fest: Ein Parteiverbot scheint erst einmal unwahrscheinlich. Welche anderen Möglichkeiten gibt es dann noch, um das Erstarken rechtsextremer Kräfte einzudämmen?

Schwierig, muss ich ehrlich sagen – insbesondere im Vorfeld. Natürlich kann die politische Intervention, die ja schon auf den Straßen und auch in den Parteien stattfindet, ausgeweitet werden. Aber rechtlich gibt es keine weiteren entscheidenden Instrumente. Solange die Partei zugelassen ist, solange die Politiker ihre Bürgerrechte haben, dürfen sie sich öffentlich versammeln, dürfen Demonstrationen abhalten, ihre Meinung äußern und sich zur Wahl aufstellen lassen. Da ist nicht viel zu machen.

Und nach einer Machtübernahme?

Mit der Notstandsgesetzgebung unter Artikel 20 Absatz 4 wäre Widerstand gegen eine verfassungswidrige Regierung möglich. Aber wenn diese einmal da ist, kann man dann zwar Widerstand leisten, aber nützt mir dann das Grundgesetz noch etwas? Und die zweite Option ist an die Putschidee angelehnt. Etwa könnten viele Akteure zusammen einen Generalstreik ausrufen, der sich nicht an die normalen Streikregeln halten muss. Aber da bleibt die Frage, ob genug Menschen da wären, die das dann auch tun.

Interview

Andreas Fisahn ist seit 2004 Professor für Rechtstheorie an der Universität Bielefeld. Seine Schwerpunkte sind die kritische Staats- und Rechtstheorie, Demokratietheorie sowie Euro- und Umweltrecht.

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