»Eine Mark mehr« und zwei Generationen später

Arbeitsmigrantinnen als revolutionäre Subjekte: Emel Aydoğdus Inszenierung »Die Optimistinnen« am Gorki-Theater

  • Laura Rogalski
  • Lesedauer: 4 Min.
Ceren Bozkurt mit Gitarre vor der internationalen Streikberichterstattung
Ceren Bozkurt mit Gitarre vor der internationalen Streikberichterstattung

Aus dem politischen Anliegen des Abends wird bei der ersten Uraufführung im neu eröffneten Studio Я Maxim-Gorki-Theaters kein Hehl gemacht: Es geht in »Die Optimistinnen« um das Ausleuchten einer Lücke in der Geschichtsschreibung der Bundesrepublik. Eine doppelte Leerstelle: Arbeitskämpfe von Migranten in der alten Bundesrepublik bleiben unsichtbar, die von Migrantinnen erst recht. Erzählungen über weibliche Emanzipationsbewegungen sparen wiederum migrantische Personen aus. Die Romanvorlage von Gün Tank, erschienen 2022 bei S. Fischer, widmet sich Frauen, die oft nur in der »Familienzusammenführung« imaginiert werden. Erst die Töchter erzählen ihre Geschichten.

Emel Aydoğdus Inszenierung konzentriert sich auf diese erste Generation, die Gastarbeiterinnen und adaptiert damit den bühnentauglichen Teil des Romans, der in seiner zeitlichen Struktur doch etwas kompliziert geraten ist. An diesem Abend im Gorki sind sie die Protagonistinnen, die kämpferischen Arbeiterinnen der 70er Jahre, die unerbittlich für ihre Rechte einstehen.

Schon beim Betreten des kleinen Studiotheaters zeigt sich, dass ihr Widerstand als Unausweichlichkeit erzählt wird: Die Zuschauer*innen werden über die Bühne, auf der die vier Frauen miteinander schäkern und Çay anbieten, auf ihre Plätze geleitetet. Es wirkt so, als wollten sie sagen: Wir sind hier, an uns kommt ihr nicht vorbei. Das Stück folgt Nour, Tülay und Mercedes, die als Arbeitsmigrant*innen nach Deutschland gekommen sind. In der Oberfpalz in Bayern eint sie die prekäre Lebenssituation, geprägt von harter Arbeit in einer Porzellanfabrik, beengten Unterkünften und ungleicher Bezahlung im Vergleich zu den männlichen Kollegen. Ganz zu schweigen vom unverhohlenen Rassismus der alten Bundesrepublik.

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Dokumentarische Filmausschnitte der wilden Streiks bei einem Automobilzulieferer in Pierburg und Zeitungsartikel, die auf die gigantische Gaze-Installation von Eva Lochner projiziert werden, erzeugen Faktizität. Das suggeriert: Was ihr hier auf der Bühne seht, ist vielleicht nicht ganz genau so passiert, aber es ist geschehen. Den realen Hintergrund bildet das Streikjahr 1973, wo sich unter der Losung »Eine Mark mehr« migrantische Arbeiterinnen in Bayern, Berlin und Nordrhein-Westphalen organisierten.

Stellenweise wirkt im Studio  alles wie eine Art Klassenfahrt: Die drei kuscheln sich aneinander, turnen durch das ohne die Projektion seltsam deplatziert wirkende und einem gigantischen Kreuzfahrtschiff gleichenden Bühnenbild, um dann wieder in den Drill der Fabrik zu fallen. In blauen Kitteln stapeln sie synchron Spanplatten, bilden einen Arbeiterinnenchor. Sie organisieren Streiks und haben Erfolg damit, weil sie es schaffen, die anderen, die Facharbeiter und Gewerkschaften, auf ihre Seite zu ziehen. Untereinander sind sie sich ohnehin ganz nah, immer solidarisch. Ihr Protest kulminiert in einer apokalyptischen Szene des Widerstands: Mit Megafonen und Spraydosen stehen sie im künstlichen Nebel. War das Zusammenspiel der drei zuvor manchmal wuselig und unkoordiniert, läuft plötzlich alles wie in Zeitlupe ab.

Da fragt man sich, wie es passieren konnte, dass so oft von einer Kluft zwischen Arbeitskampf und Identitätspolitik gesprochen wird. Wem helfen noch altbekannte Narrative und eine traditionelle Revolutionsromantik? Das revolutionäre Subjekt, das nicht selten als alteingesessener Fabrikarbeiter dargestellt wird, ist an diesem Abend eine migrantische Arbeiterin.

Zu Beginn stellen sich Ceren Bozkurt, Yanina Cerón, Aysima Ergün und Sema Poyraz als Migrantinnen erster, zweiter, dritter Generation vor. En passant wird Position in der manchmal ermüdenden Debatte über Repräsentation im Theater bezogen: Ganz selbstverständlich schlüpfen die vier Frauen auch in die Rolle der vermutlich weißen, vor allem aber männlichen Aufseher, Chefs – und das mit scharfem Witz. Konsequent wird in der Besetzung durchgesetzt, was in anderen Versuchen, unerzählte Geschichte zu erzählen, scheitert.

Das geschieht so selbstverständlich, dass man sich kurz der Illusion hingeben könnte, es sei alles in Ordnung. Wenn das Publikum in die Lieder der vier Frauen einstimmt, feiert man gemeinsam ihre Errungenschaften. In Ergüns Monolog, der aus der mittlerweile fünf Jahre alten »Werden sie uns mit dem Flixbus deportieren?«-Kolumne von Mely Kiyak zitiert, bricht die Aktualität aber doch brutal ein in die Geschichte der drei, die sich leichtfüßig und hoffnungsvoll, oft von Bozkurt auf der Gitarre oder Saz begleitet, singend durch das Stück bewegen. Hier gelingt es, Verbindungslinien zwischen Tagespolitik und Bühnengeschehen zu ziehen. Angesichts der politischen Lage, der manifesten Pläne von rechtsextremen Politiker*innen, Migrant*innen massenhaft zu deportieren, wäre vielleicht grob fahrlässig, es nicht zu tun.

Daran, dass die Solidarität, um die es an diesem Abend geht, auch innerhalb der Linken immer schwieriger aufrechtzuerhalten ist, erinnert eine Intervention pro-palästinensischer Aktivist*innen vor dem Eingang des Studio Я, die gegen die (mittlerweile kassierte) Antidiskriminierungsklausel des Berliner Senats und die Positionierung des Gorkis nach den Angriffen der Hamas vom 7. Oktober protestieren. Wie es der Institution in der Zukunft gelingen kann, Solidarität zwischen unterschiedlichsten Teilen der postmigrantischen Gesellschaft herzustellen, ohne vollkommen zu verzweifeln, das würde man die Optimistinnen gern fragen.

Nächste Vorstellung: 8. 2.

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