EU-Parlament will gegen von der Leyen klagen

Untersuchung der umstrittenen Freigabe von Fördermitteln für Ungarn eingeleitet

  • Fabian Lambeck
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Entscheidung der EU-Kommission kam überraschend: Über Nacht hatte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen im Dezember einen Teil der eingefrorenen EU-Zahlungen an Ungarn in Höhe von rund zehn Milliarden Euro freigegeben. Das Manöver erfolgte kurz vor einem EU-Gipfel, auf dem über mögliche Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine abgestimmt werden sollte. Ungarns Premierminister Viktor Orbán hatte vorab mit einem Veto gedroht. Bei der entscheidenden Abstimmung am 14. Dezember enthielt er sich dann der Stimme. Der Zusammenhang zwischen der Freigabe der Gelder und Orbáns überraschender Enthaltung war offensichtlich. »Der Dezember-Deal mit Orbán war schmutzig und basierte nicht auf tatsächlichen Reformbemühungen in Ungarn«, so der Grünen-Abgeordnete Daniel Freund. Er initiierte mit anderen EU-Abgeordneten eine bemerkenswerte Resolution.

Schmutziger Deal mit Orbán

Tatsächlich stören sich nicht nur die Grünen an dem schmutzigen Deal. Schließlich waren die Mittel aus der EU-Regionalförderung wegen erheblicher Zweifel an der Rechtsstaatlichkeit in Ungarn eingefroren worden. Orbán hat diese Zweifel trotz erster Reformen bislang nicht ausräumen können. Und so formierte sich im Parlament eine große Koalition aus Christdemokraten, Sozialdemokraten, Liberalen, Grünen und Linken, die die Entscheidung der Kommission vor Gericht bringen will. Der Rechtsausschuss des Parlaments solle »so schnell wie möglich die notwendigen Schritte« für eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) einleiten, heißt es in der gemeinsamen Resolution, die am Donnerstag in Straßburg eine große Mehrheit fand. Ein Vorgang mit Seltenheitswert, der zeigt, wie tief der Frust bei den Abgeordneten sitzt. Selbst die christdemokratische EVP, der Orbáns Partei Fidesz bis 2021 angehörte, unterstützt die Klage.

Grüne und FDP liebäugeln sogar mit einem Misstrauensantrag. »Sollte Ursula von der Leyen mit dem Geldverschenken an Orbán weitermachen, wird die liberale Fraktion ihr Stimmgewicht nutzen und einen Misstrauensantrag gegen von der Leyen einbringen«, drohte Moritz Körner, der Vorsitzende der FDP im EU-Parlament, am Donnerstag.

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Orbán hält an Erpressungspolitik fest

Die Schutzgeldzahlung vom Dezember hat Orbán jedenfalls nicht milder gestimmt. Momentan blockiert er die Freigabe von Hilfen für die Ukraine in Höhe von 50 Milliarden Euro. Ein EU-Gipfel Anfang Februar soll hier eine Lösung finden und viele Abgeordnete fürchten, dass die EU sich wieder erpressen lässt. Von der Leyen konnte diese Befürchtungen am Mittwoch in Strasbourg nicht zerstreuen. Im Gegenteil: Die Kommission halte derzeit rund zwölf Milliarden Euro an EU-Haushaltsmitteln zurück, die Ungarn zustünden, so die Kommissionspräsidentin. Hinzu kämen noch milliardenschwere Corona-Hilfen. Orbán hat also gute Gründe, bei seiner Erpressungspolitik zu bleiben.

Die Parlamentarier fordern in ihrer Entschließung drastische Schritte. Demnach sollen die EU-Staaten eine weitere Phase des Artikel-7-Verfahrens zum Schutz der Grundwerte der EU einleiten, um Ungarn das Stimmrecht auf EU-Ebene zu entziehen. Seit 2018 läuft so ein Verfahren gegen Budapest, allerdings kommt es nicht voran und Einstimmigkeit ist erfordert. Im Juli übernimmt Ungarn turnusgemäß die Ratspräsidentschaft. Der Fraktionsvorsitzende der Linken im EU-Parlament, Martin Schirdewan, forderte am Donnerstag, »die Ratspräsidentschaft für Ungarn auszusetzen und gleich an das nächste Land, an Polen, zu übergeben«. Sonst droht ein Horrorszenario: Denn der amtierende Ratspräsident Charles Michel will bei der Europawahl im Juni als Kandidat antreten und deshalb sein Amt vorzeitig abgeben. In diesem Fall könnte Orbán ab Juli auch die Ratspräsidentschaft übernehmen, denn die Amtszeit von Michel endet erst im November. »Die EU-Regierungen müssen sich schnell auf einen Nachfolger für Michel einigen, damit Orbán hier nicht zum Zug kommt«, fordert Schirdewan.

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