Berliner Bezirk zerstört antirassistisches Oranienplatz-Denkmal

Das selbst errichtete Denkmal auf dem Oranienplatz wurde vermutlich vom Grünflächenamt zerstört

Nach der Zerstörung: Kundgebung am Denkmal für die Opfer von Rassismus und Polizeigewalt auf dem Oranienplatz
Nach der Zerstörung: Kundgebung am Denkmal für die Opfer von Rassismus und Polizeigewalt auf dem Oranienplatz

»Es ist ein Anschlag auf antirassistisches Gedenken durch Berliner Behörden«, sagt Vincent Bababoutilabo. Er steht am Montagabend auf dem Oranienplatz in Kreuzberg neben einem ramponierten Betonsockel: in drei Teile zerbrochen, die notdürftig aufeinandergestapelt und zusammengespachtelt wurden, mit Graffiti beschmiert. Das Denkmal für die Opfer von Rassismus und Polizeigewalt sah schon einmal besser aus.

Bababoutilabo, Aktivist und Mitglied der Links*Kanax, einem Zusammenschluss migrantischer Genoss*innen innerhalb der Linkspartei, hält eine Rede auf einer Kundgebung, zu der sich kurzfrisitg rund 50 Menschen versammelt haben. Sie eint die Empörung über das bezirkliche Handeln und den respektlosen Umgang mit dem selbst errichteten Gedenkstein.

Es begann am Donnerstag. Da bemerkten Nachbar*innen, dass die Betonstele verschwunden war. In der rechteckigen Eisenplatte, wo der Sockel vorher gestanden hatte, klaffte ein Loch, abgesperrt von rot-weißen Baustellenzäunen. Die Initiative #WoistunserDenkmal, die sich um einen antirassistischen Gedenkort am Oranienplatz bemüht hatte und sich seit der Errichtung durch Unbekannte im September 2020 um die Instandhaltung kümmert, suchte auf Instagram nach Zeug*innen: »Bitte meldet euch, falls ihr etwas gesehen habt.« Denn auch wenn Bauzäune und die »professionelle Entfernung eines 300 kg Sockels« auf institutionelles Handeln hinwiesen, lägen bisher keine Informationen vor.

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Aufklärung kam dann am Freitag. Das Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg verschickte ein Schreiben mit der Erklärung, »dass das Denkmal vorübergehend gesichert und eingelagert wurde«. Bis Montag sollte es »an Ort und Stelle wieder aufgestellt« werden.

Zudem bekannte sich das Bezirksamt zum Beschluss der Bezirksverordnetenversammlung vom Oktober 2020. Darin hatte sich das Kommunalparlament für einen gemeinsamen Prozess mit #WoistunserDenkmal ausgesprochen, um perspektivisch ein demokratisch legitimiertes und ordentlich errichtetes Denkmal zu schaffen. Bis dahin solle das bestehende Denkmal »weder entfernt noch versetzt werden, sondern in der bestehenden Form und an diesem Ort erhalten und gepflegt werden«.

Eine weitere Erklärung erreichte die Initiative über Insider aus dem Bezirksamt. Demnach habe das Grünflächenamt in Eigenregie gehandelt und das Denkmal »wegen Vermüllung vorübergehend gesichert«, um es zu reinigen. Das Bezirksamt bestätigte den Vorgang auf Nachfrage von »nd« nicht.

Wie angekündigt kehrte die Betonstele am Montag zurück an ihren Platz – allerdings in drei Teilen und offensichtlich nicht gereinigt. Ein Video der Initiative zeigt, wie ein Mitarbeiter des Grünflächenamtes Mörtel auf die Bruchstellen schmiert und ein Kran die Stücke aufeinandersetzt. Dass die Stele versehentlich zu Bruch gegangen ist, kann sich Jesko Fezer von #WoistunserDenkmal nicht vorstellen. »Das Ding wiegt 300 Kilogramm. Das wurde zerlegt oder rausgehebelt, aus praktischen Gründen: 100 Kilogramm kann man besser heben.« Seiner Ansicht nach hatten die Verantwortlichen weder eine Sicherung noch Reinigung vor, sondern eine langfristige Entfernung.

Auf die Frage, wie genau es dazu kam, dass vermutlich das Grünflächenamt entgegen eines BVV-Beschlusses handelte, antwortete das Bezirksamt bis Redaktionsschluss nicht. »Da muss irgendeine Form von Behördenversagen im Spiel sein, entweder die Mitarbeitenden waren nicht informiert oder sie haben den Beschluss ignoriert«, sagt Linke-Politikerin Elif Eralp zu »nd«. Sie fordert Aufklärung: »Gerade in Zeiten des massiven Rechtsrucks zeugt das von mangelnder Sensibilität gegenüber dem Thema Rassismus.«

Viele unterschiedliche Redner*innen machten am Montagabend deutlich, welchen symbolischen Wert der Oranienplatz für sie hat. Bababoutilabo erinnert an die Besetzung durch geflüchtete Aktivist*innen 2012: »Das hat mich politisch tief geprägt.« Der Platz entwickelte sich so zu einem wichtigen Treffpunkt für die antirassistische Bewegung. »Wir standen auch hier 2015, als im Sommer der Migration Tausende Menschen die Zäune des Grenzregimes eingerissen haben.« Mittlerweile sei der O-Platz zum Gedenkort geworden: »Wir legen hier Blumen ab, zünden Kerzen an.«

Dass das Denkmal als Mittelpunkt des Platzes einfach zerstört wurde, empfindet Bababoutilabo als Ausdruck einer rassistischen Grundstimmung. »Wir wissen, es gibt ein Problem mit rechten Einstellungen in Behörden – anscheinend nicht nur bei der Polizei, sondern auch beim Grünflächenamt.«

Noch ist nicht klar, wie es mit dem demolierten Stein weitergeht. Mitstreiter Aziz spricht sich dafür aus, die Schäden am Denkmal nicht zu verstecken: »In gewisser Weise steht es ihm auch, dass es die Narben und Furchen der Gesellschaft trägt.«

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