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Hugo Chávez: Zwischen Basisdemokratie und Autoritarismus

Vor 25 Jahren übernahm Hugo Chávez erstmals das Präsidentenamt in Venezuela. Von seinen Errungenschaften ist nicht mehr viel übrig

  • Tobias Lambert
  • Lesedauer: 6 Min.

Derzeit feilschen Regierung und rechte Opposition in Venezuela um die Bedingungen für die diesjährige Präsidentschaftswahl. Einen Wahltermin gibt es noch nicht, aber eines steht bereits fest: Die prominentesten Regierungsgegner*innen dürfen nicht kandidieren. Und eine linke Opposition versucht die Regierung mit allen Mitteln zu verhindern. Nicht nur dies zeigt, wie viel sich in 25 Jahren verändert hat, seit Hugo Chávez am 2. Februar 1999 erstmals als Präsident vereidigt wurde. Hatte dieser es zu Lebzeiten doch stets geschafft, deutliche demokratische Mehrheiten von seinem politischen Projekt zu überzeugen. Der Chavismus als politische Kraft vereinte zivile sowie militärische Strömungen der venezolanischen Linken aus dem 20. Jahrhundert. Dem diskreditierten Parteiensystem setzte er eine »partizipative und protagonistische Demokratie« entgegen.

1992 war der damals unbekannte Chávez mit einem Putsch gescheitert. Durch einen kurzen Fernsehauftritt gelang ihm jedoch ein medialer Coup, der die Basis für seinen politischen Aufstieg nach der Haftentlassung 1994 legte. Die als wichtigstes Wahlkampfversprechen 1999 beschlossene neue Verfassung stärkte sowohl die Rolle des Präsidenten, als auch Elemente direkter und partizipativer Demokratie.

Anfangs strebte Chávez eine Art »dritten Weg« zwischen Kapitalismus und Sozialismus an. Wirklich ungemütlich wurde er für die Eliten erst Ende 2001, als er 49 Gesetze in wirtschaftlichen und sozialen Kernbereichen dekretierte. Die ärmere Bevölkerungsmehrheit verteidigte zwischen 2002 und 2004 Chávez entschieden gegen offene Umsturzversuche. Mit dem beginnenden Erdölboom 2003 legte die Regierung an den traditionellen Institutionen vorbei umfassende Sozialprogramme (Misiones) auf, die vor allem in den Bereichen Gesundheit, Bildung und Lebensmittelsicherheit erfolgreich waren. Zudem enteignete sie Agrarland und förderte alternative Unternehmensformen wie Kooperativen oder Arbeitermitverwaltung in Betrieben. Die meisten Bewohner*innen der informell errichteten Armenviertel (Barrios) erlebten nie zuvor gesehene Partizipationsmöglichkeiten und materielle Verbesserungen. Innerhalb Lateinamerikas brachte Chávez mit den Petrodollars zudem verschiedene Integrationsprojekte voran.

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Schattenseiten des Rohstoffexports

Nach dem gewonnenen Machtkampf kontrollierte die Regierung nun alle Staatsgewalten, das Militär und den Erdölkonzern PDVSA. 2005 erklärte Chávez einen nur vage definierten »Sozialismus des 21. Jahrhunderts« zum Ziel und gewann die Präsidentschaftswahl im Folgejahr deutlich. 2007 scheiterte eine sozialistische Verfassungsreform per Referendum knapp, auch weil sie – im Gegensatz zur Verfassung zehn Jahre zuvor – zu sehr von oben ausgearbeitet worden war. Dennoch baute die Regierung die wirtschaftliche Rolle des Staates aus, nationalisierte zunächst Schlüsselindustrien und später zahlreiche weitere Unternehmen.

Der Erdölboom ermöglichte es, die staatlichen Ausgaben schier unbegrenzt zu erhöhen, brachte jedoch auch erhebliche Probleme mit sich. Aufgrund einer Überbewertung der Landeswährung Bolívar zum US-Dollar fluteten relativ billige Importe das Land, was der heimischen Produktion schadete. Die anfangs angestrebte Diversifizierung der Wirtschaft blieb weitgehend aus. Zudem förderte die Devisenschwemme Korruption und Missmanagement auf allen Ebenen. Über das mehrstufige Devisensystem mit präferenziellem Zugang zu verbilligten US-Dollar verschwanden viele Milliarden in den Taschen von Funktionär*innen und Unternehmer*innen. In die Erdölindustrie hingegen wurde kaum noch investiert.

Innerhalb der chavistischen Bewegung bestand stets ein Spannungsfeld zwischen autoritären Ansätzen von oben und demokratisierenden Einflüssen von unten. Chávez verkörperte beide Ansätze gleichermaßen, die in einem teils produktiven, teils konfrontativen Verhältnis zueinander standen. Den Basisbewegungen galt der Comandante als verlässlichster Verbündeter innerhalb des Staatsapparates. Die Rolle des starken Präsidenten schwächte aber die – häufig korrumpierten – Institutionen, ohne ausreichend funktionierende Kontrollmechanismen zu etablieren. Ab 2005 propagierte Chávez die Schaffung Kommunaler Räte, in denen die Bevölkerung vor Ort basisdemokratisch über die Verwendung von Geldern entscheiden sollte. Als höhere Ebene brachte er wenig später »Comunas« ins Spiel, die sich aus mehreren Räten bilden und auch produktive Betriebe in sozialem Eigentum betreiben sollten. Mittels der 2007 gegründeten Vereinten Sozialistischen Partei Venezuelas (PSUV) übte die Regierung immer mehr Kontrolle über die ursprünglich von unten entstandenen Partizipationsmechanismen aus.

Da bei den meisten Wahlen das Überleben des gesamten politischen Prozesses im Mittelpunkt stand, wurden Polarisierung und Wahlsiege allmählich zum Selbstzweck. Wenngleich alle Abstimmungen der Chávez-Ära transparent abliefen, ging die Regierung nach 2006 teilweise dazu über, oppositionelle Fortschritte durch undemokratische Manöver auszubremsen. Dazu zählten etwa die Verwendung staatlicher Ressourcen für Wahlkämpfe, willkürliche Regeländerungen oder als Verwaltungsakt verhängte Antrittsverbote für einzelne Politiker*innen.

Nachfolger Maduro erbt die Krise

Nach Chávez’ Krebstod im März 2013 gewann sein Wunschnachfolger Nicolás Maduro die neuerliche Präsidentschaftswahl nur denkbar knapp. Ohne das Charisma seines Vorgängers und unter widrigen wirtschaftlichen sowie außenpolitischen Bedingungen geriet der Chavismus in eine schwere Krise. Ab 2014 brachen zuerst die Erdölpreise und anschließend praktisch alle wirtschaftlichen Indikatoren ein, da nun das Geld für Lebensmittelimporte, Sozialprogramme und bereits begonnene Bauvorhaben fehlte. Vor allem in den Jahren 2016 und 2017 prägten Hyperinflation und Versorgungsmängel das Land. Angesichts eines drohenden Machtverlustes warf die Regierung zentrale Pfeiler des chavistischen Projektes über Bord und schränkte sowohl liberal- als auch basisdemokratische Rechte ein. Gleichzeitig gewann innerhalb der rechten Opposition wieder der offen konfrontative Flügel die Oberhand. Bei jeweils mehrmonatigen Protesten 2014 und 2017 kam es auf beiden Seiten zu Gewalt und insgesamt fast 200 Todesopfern. War die Repression unter Chávez deutlich gesunken, gingen die Sicherheitskräfte vor allem in den Barrios mittlerweile brutal gegen vermeintliche Kriminelle vor.

Nach dem oppositionellen Teilboykott der Präsidentschaftswahl im Mai 2018 eskalierte der Konflikt. Im Januar 2019 erklärte sich der Parlamentsvorsitzende Juan Guaidó mit US-Unterstützung zum Interimspräsidenten. Die US-Sanktionen, die Donald Trump ab 2017 auf den Erdöl- und Finanzsektor ausweitete, verschärften die Krise, verfehlten aber ihr Ziel eines Regime Change. Mithilfe einer Kern-Anhängerschaft, dem Militär und internationalen Partnern wie Russland, China, Iran und der Türkei konnte sich Maduro im Amt halten.

Im Zuge des Machtkampfs und der Sanktionen änderte die Regierung schließlich ihre Wirtschaftspolitik in Richtung eines weitgehend unregulierten Kapitalismus aus intransparenten Privatisierungen und Investitionsanreizen für Privatunternehmen. Durch die Legalisierung des US-Dollars als Zahlungsmittel und die Abschaffung von Preiskontrollen entspannte sich die Versorgungslage ab 2019 zwar. Die soziale Ungleichheit jedoch hat deutlich zugenommen.

Mittlerweile vertraut die Regierung vor allem auf ihr nahe stehende Privatunternehmer und kooptierte Basisorganisationen, die lediglich Entscheidungen der Regierungspartei umsetzen. Doch gibt es noch einen linken »Chavismus von unten« – auch wenn er politisch weitgehend marginalisiert ist. In seiner letzten programmatischen Rede am 20. Oktober 2012 hatte Chávez sich vehement für die Stärkung basisdemokratischer Comunas, in denen mehrere Kommunale Räte zusammengeschlossen sind, ausgesprochen. Seit seinem Tod experimentieren zahlreiche alte und neue Projekte unter den Bedingungen der Krise mit demokratischen und solidarischen Betriebsformen. Derartige Initiativen halten den radikaldemokratischen und sozialistischen Teil von Chávez’ Erbe bis heute hoch.

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