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Rassismus in Doberlug-Kirchhain: Einkaufen mit Rucksack verboten
Geflüchtete aus der brandenburgischen Unterkunft in Doberlug-Kirchhain schildern schreckliche Zustände und Rassismus
Fehlende Rechtsberatung, schlechtes Essen, kein Bus am Wochenende und rassistische Übergriffe: Das sind nur vier von insgesamt elf Beschwerdepunkten, mit denen sich Bewohner*innen der Geflüchtetenunterkunft in Doberlug-Kirchhain Anfang der Woche an ihre Heimleitung und die Öffentlichkeit gewandt haben.
Den Brief haben die Asylbewerber*innen mit der Unterstützung der Berliner Organisation No Border Assembly verfasst und am Montag per Mail an das Team der Johanniter geschickt, das die Unterkunft im brandenburgischen Landkreis Elbe-Elster betreibt. In der Unterbringung, die bis Juni 2023 vom Land Brandenburg als Erstaufnahmezentrum betrieben wurde und nun in die Zuständigkeit des Landkreises fällt, stehen 700 Plätze zur Verfügung. Aktuell leben dort laut Landkreis 483 Menschen.
Bereits im Juni 2023 protestierten Geflüchtete mit einer Sitzblockade gegen katastrophale Zustände. »Dann wurden immer wieder Verbesserungen versprochen, aber nicht umgesetzt«, sagt Charlie von der No Border Assembly zu »nd«. Charlie hat das Camp zusammen mit anderen Aktivist*innen schon mehrmals besucht. In Gesprächen mit Bewohner*innen kristallisierten sich die wichtigsten Forderungen heraus. »Dann haben wir eine erste Version des Briefes mit sechs Leuten formuliert, uns in der Chatgruppe Feedback geben lassen und der fertige Brief wurde von den Bewohner*innen selbstständig weitergeschickt und unterschrieben.« Über 100 Menschen hätten das Schreiben signiert.
Die Liste der Forderungen ist lang. Die Bewohner*innen verlangen »einen sofortigen Zugang zu Informationen über ihre Rechte als Asylbewerber*innen in Deutschland«. Dieser Zugang stünde ihnen eigentlich gesetzlich zu, sagt Charlie. »Offiziell sollen sie zu den Sozialarbeiter*innen gehen, aber die können oft nicht weiterhelfen und es herrscht ganz viel Unfreundlichkeit.« Die von No Border Assembly selbst organisierte Beratung müsste bei sehr grundlegenden Fragen anfangen und etwa erklären, welche Behörde für was zuständig ist.
Auch was interne Auskünfte angeht, würden die Bewohner*innen nur schlecht informiert. »Alle Plakate und Ankündigungen sind auf Deutsch. Die Johanniter sagen, es gäbe eine wöchentliche Versammlung, aber davon weiß kein Bewohner.« Insgesamt lassen Charlies Schilderungen und die im Brief formulierten Vorwürfe einen respektlosen Umgang der Johanniter-Mitarbeiter*innen mit ihren Schutzbefohlenen vermuten: Zimmerumzüge würden nicht kommuniziert, sondern in Abwesenheit der Bewohner*innen durchgeführt, wobei schon öfters persönlicher Besitz verloren gegangen sei. Briefe würden teilweise nur mit großer Verzögerung zugestellt, vertrauliche Informationen durch Sozialarbeiter*innen weitergegeben. Um den Schlüssel für die Gemeinschaftsküchen zu bekommen, müssten die Bewohner*innen dem Sicherheitsdienst ihre Ausweise geben.
Die Mitarbeiter*innen des Sicherheitsdienstes würden die Bedürfnisse der Geflüchteten bewusst ignorieren. »Es gab schon häufig Fälle, dass die Security-Leute sich geweigert haben, bei einem medizinischen Notfall den Krankenwagen zu rufen«, berichtet Charlie. Eine gefährliche Hilfeverweigerung, vor allem weil das Camp rund drei Kilometer entfernt von Doberlug-Kirchhain liegt. »Durch den Wald läuft man schon so 50 Minuten und die Wege werden im Winter nicht geräumt.«
Aktuell fährt ein Bus nur dreimal am Tag vom Camp zur Stadt, am Wochenende gibt es gar keine Verbindung. Für Noah hat deshalb die Forderung nach einer besseren Busanbindung Priorität. Der 25-jährige Geflüchtete aus Kenia wohnt seit Dezember 2022 in der Unterkunft und wartet auf eine Antwort in seinem Asylverfahren. Er hat an dem Brief mitgeschrieben.
Auf Englisch erzählt er »nd« von seinem Leben in Isolation: »Du kannst dich nicht frei bewegen, wenn du zu einem Termin musst in der Ausländerbehörde oder zum Arzt, dann kommst du zu spät.« Die Busfahrzeiten kollidierten zudem mit den Essenszeiten. Für das Kantinenessen wiederum ziehe der Landkreis 100 Euro im Monat von den Sozialleistungen ab. »Mit meinen Ausgaben für Fahrkarten und Anwalt bleibt mir kein Geld für anderes Essen«, sagt Noah. Er habe deshalb seinen Deutschunterricht in Berlin abbrechen müssen.
Was den Kontakt zu den Bewohner*innen von Doberlug-Kirchhain betrifft, berichtet Noah* von krassem Rassismus. Beim Supermarkt müssten er und die anderen Geflüchteten ihre Rucksäcke am Eingang stehen lassen, »manchmal kontrollieren sie auch unsere Hosentaschen«. Im Späti würde er überhaupt nicht bedient werden. Manche Busfahrer ließen ihn einfach an der Haltestelle stehen. Charlie bestätigt, dass auch andere Bewohner*innen diese Erfahrungen gemacht hätten. Im offenen Brief fordern die Geflüchteten deshalb ein »spezielles Unterstützungssystem« insbesondere für diejenigen, die von anti-schwarzem Rassismus betroffen sind.
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Während sie in der Stadt mit Rassismus konfrontiert sind, vermissen die Bewohner*innen im Camp Freizeit- und Bildungsangebote. Gemeinschaftsräume wie ein Sportraum oder ein Kaffee-Zimmer hätten die Johanniter bei der Übergabe im Sommer geschlossen, so Noah. »Alles was du hier tun kannst, ist, in deinem Zimmer herumsitzen, schlafen und essen. Das kann sehr deprimierend sein.«
Noah selbst hatte mit im vergangenen Jahr mit Depressionen zu kämpfen. »Ich habe um psychologische Hilfe gebeten. Doch erst als ich suizidal war, hat man mich in ein Krankenhaus gebracht.« Ein Mitbewohner aus Afghanistan habe sich im September 2023 am Bahnhof von Doberlug-Kirchhain das Leben genommen. »Doch hier im Camp spricht niemand darüber.« Charlie von der No Border Assembly bestätigt den Suizid.
Die Johanniter äußern sich nicht zu dem offenen Brief und verweisen auf den Landkreis. Der nimmt am Mittwoch dazu Stellung: Die geschilderten Probleme nehme man »sehr ernst« und stehe im Austausch mit den beteiligten Dienstleistern. Doch »einige der Inhalte« könnten erst überprüft werden, »wenn dazu konkrete Sachverhalte benannt werden«. Der Landkreis wirft den Personen hinter dem Brief vor, nicht zuerst das Gespräch gesucht und den Brief nicht persönlich an die Betreiber und den Landkreis übergeben zu haben. Charlie von der No Border Assembly widerspricht: Zwei Versuche, den Brief in den vergangenen Wochen persönlich zu übergeben, seien gescheitert.
Bodo Broszinski (FDP), Bürgermeister von Doberlug-Kirchhain, hält die Beschwerden für übertrieben. »Das könnte man doch für jede Gemeinschaftsunterkunft in ganz Deutschland sagen und bloß den Städtenamen ändern«, sagt er zu »nd«. Er wundere sich, dass die Bewohner*innen mit ihren Sorgen nicht persönlich zu ihm gekommen seien – und lässt Zweifel an der Authentizität des Briefes durchklingen: »Ich staune über diese wirklich gute Ausdrucksweise.«
Was die schlechte Busanbindung betrifft, so sei er bereits mit Landkreis und Verkehrsmanagement in Kontakt getreten. »Wir arbeiten da gemeinsam dran, und ich hoffe, dass sich eine optimalere Lösung finden lässt.« Die Berichte von Rassismus in Doberlug-Kirchhain wehrt er jedoch pauschal ab. »Das kann ich mir nicht vorstellen, ich bin Kind dieser Stadt, davon hätte ich gehört.« Es gibt also keine Rechten in Doberlug-Kirchhain? »Mir ist keine Szene bekannt.«
*Name geändert
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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