Alexej Nawalny ist tot

Russischer Oppositioneller soll bei Spaziergang gestorben sein

  • Daniel Säwert
  • Lesedauer: 5 Min.
Alexej Nawalny war zuletzt bei seinen Verhandlungen nur noch per Video zugeschaltet.
Alexej Nawalny war zuletzt bei seinen Verhandlungen nur noch per Video zugeschaltet.

Russlands bekanntester Oppositioneller und Inhaftierter Alexej Nawalny soll tot sein. Nach einem Spaziergang habe der 47-Jährige sich schlecht gefühlt und kurz darauf das Bewusstsein verloren. Reanimationsversuche seien erfolglos gewesen, meldete die Gefängnisbehörde des Autonomen Kreises der Jamal-Nenzen, wo Nawalny zuletzt im Lager in der Kleinstadt Charp einsaß, am Freitagmittag.

In Moskau erklärte Kreml-Sprecher Dmitrij Peskow, dass Präsident Wladimir Putin über den Tod Nawalnys informiert worden sei. Putin, der sich zu dem Zeitpunkt in Tscheljabinsk befand, äußerte sich selbst nicht.

Oppositionelle zweifel offizielle Aussagen an

Nawalnys Mitstreiter warnten zunächst davor, der Todesnachricht zu glauben. »Wir haben keinen Grund, der Propaganda zu glauben. Ich glaube ihnen keine Sekunde. Begrabt Alexej nicht vorschnell«, schrieb Leonid Wolkow auf Telegram. Man habe ein Team nach Charp geschickt, das die Situation aufklären solle, hieß es. Wann es im Gefängnis ankommt und ob es dort überhaupt Zugang bekommt, ist unklar.

Oppositionelle und Journalisten machten die Regierung und persönlich Präsident Putin für den wahrscheinlichen Tod Nawalnys verantwortlich. »Wenn das stimmt, dann trägt unabhängig von den formalen Gründen Wladimir Putin persönlich die Verantwortung für den vorzeitigen Tod, indem er zunächst die Vergiftung Alexejs genehmigt und ihn anschließend ins Gefängnis gesteckt hat«, schrieb der ehemalige Oligarch und Putin-Gegner Michail Chodorkowskij bei Telegram. Am Rand der Münchner Sicherheitskonferenz sagte Nawalnys Frau Julia zur Todesnachricht: »Wir können Putin nicht glauben, sie lügen andauernd. Wenn es wahr ist, dann sollen er und seine Freunde wissen, dass sie die Verantwortung dafür tragen, was sie mit dem Land und meiner Familie gemacht haben. Und dieser Tag kommt bald.«

Isolationshaft verschlechterte die Gesundheit Nawalnys

Lokale Ärzte aus Labytnangi, die eine halbe Stunde um das Leben Nawalnys gekämpft hatten, nannten eine Thromboembolie als offizielle Todesursache. Nach russischen Medienangaben bemüht sich die Gefängnisverwaltung um eine Autopsie an Ort und Stelle. Damit, so die Befürchtung mehrerer Oppositioneller, könnte die wahre Ursache verschleiert werden. Nawalnys Gesundheit gilt schon länger als angeschlagen. Im August 2020 wurde der Politiker mit dem Nervengift Nowitschok vergiftet, überlebte den Anschlag aber, nachdem ihm Berliner Ärzte das Leben gerettet hatten. Seit seiner Rückkehr im Januar 2021 sitzt Nawalny im Gefängnis, wo er Haftstrafen für mehrere vermeintliche Verbrechen verbüßt.

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Dass Nawalny dort immer wieder mit der Gesundheit zu kämpfen hatte, führt die Menschenrechtlerin Eva Merkatschewa in einem später gelöschten Statement gegenüber dem Nachrichtenportal MSK1 auf die andauernde Isolationshaft des Politikers zurück. Während seiner Haftzeit wurde Nawalny 27 Mal in die sogenannte Strafisolation mit verschärften Haftbedingungen verlegt, oft auch direkt hintereinander. Die Anlässe dafür waren in der Regel nichtig, etwa weil Nawalny einen Aufseher nicht gegrüßt haben sollte. Vor einem Jahr stellten Anhänger des Politikers einen Nachbau einer solchen Kammer unter anderem in Berlin und Paris aus, um auf die Zustände im Gefängnis aufmerksam zu machen.

Trotz der Vorgeschichte zweifeln mehrere Weggefährten die offiziell verlautbarte Todesursache an. Erst am Donnerstag hatte Nawalny per Video an mehreren Gerichtsverhandlungen teilgenommen und dabei gesundheitlich stabil gewirkt. Beschwerden gab es seinerseits in letzter Zeit keine. »Bei ihm ist alles gut, wenn man die schlechten Umstände bedenkt«, sagte die Journalistin Julia Ioffe. Auch sein langjähriger Arzt Alexander Populan bestätigte gegebüber dem Nachrichtenportal Meduza, dass Nawalny in normaler Verfassung sei. Außerdem, so der Arzt, habe es bei Nawalny keinerlei objektive Risiken für eine Thromboembolie gegeben.

Nawalny war jahrelang das Gesicht der Opposition

Alexej Nawalny war in den vergangenen Jahren die schillerndste Figur der russischen Opposition. Immer wieder deckten er und seine Mitstreiter der Antikorruptionsstiftung den Machtmissbrauch und die Korruption in der politischen Elite Russlands auf. 2011 wurde er bei den Protesten gegen die gefälschte Dumawahl verhaftet, was einen öffentlichen Aufschrei auslöste. 2013 kandidierte er für das Amt des Bürgermeisters der russischen Hauptstadt Moskau und belegte mit 27 Prozent der Stimmen den zweiten Platz hinter dem bis heute amtierenden Sergej Sobjanin. Auch bei der Präsidentschaftswahl 2018 wollte Nawalny antreten, wurde aber trotz breiter Unterstützung nicht zugelassen.

Aus dieser Erfahrung heraus initiierte Nawalnys Stab die »intelligente Stimmenabgabe«, die dazu aufruft, den aussichtsreichsten Gegenkandidaten zur Regierungspartei Einiges Russland zu wählen, auch wenn man mit den Ansichten des Kandidaten nicht übereinstimmt. Dank dieser Strategie schafften es mehrere oppositionelle Abgeordnete in regionale Parlamente.

Putin-Gegner kritisierten Nawalny für seine Haltung

Trotz seiner herausgehobenen Stellung in der Opposition und seines Mobilisierungspotenzials gab es immer wieder Kritik anderer Kreml-Gegner an Nawalny. Viele oppositionell eingestellte Menschen in Russland fühlen sich von ihm nicht vertreten. So kosteten ihn Anbandelungen mit dem russischen Nationalismus (Nawalny rief dazu auf, am rechtsextremen »Russischen Marsch« teilzunehmen) und Hetze gegen Arbeitsmigranten aus Zentralasien die Sympathien der russischen Linken.

Der liberale Politiker und ehemalige Moskauer Lokalabgeordnete Maxim Katz kritisierte Nawalnys Politik als opportunistisch, da er nur Themen aufnehme, die aktuell in den Medien besprochen würden. Nawalny wollte sich so breite Unterstützung holen, ohne dabei die eigenen politische Position im Auge zu behalten, so Katz.

Spontane Gedenkkundgebungen in Russland

Obwohl Nawalny im Ausland stärker wahrgenommen wurde als in der Heimat, konnte er als politische Figur ausschließlich in Russland selbst funktionieren. In Russland war er ein Politiker, in der Emigration wäre er nur einer unter vielen gewesen und wahrscheinlich irgendwann nicht mehr wahrgenommen worden. Aus diesem Grund kehrte Nawalny im Januar 2021 nach seiner auskurierten Nowitschok-Vergiftung nach Moskau zurück, wohlwissend, dass er umgehend für viele Jahre ins Gefängnis gehen würde.

Trotz aller Differenzen bekundeten am Freitag auch rechte und linke Gruppen Trauer. Kritiker Katz lobte Nawalny als angenehmen politischen Gegner, mit dem er sich gerne gestritten habe. In vielen russischen Städten errichteten Menschen improvisierte Gedenkorte, an denen sie Blumen niederlegten und Bilder Nawalnys auftstellten.

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