Alexej Nawalny: Zweifel an offizieller Todesursache

Julia Nawalnaja will politische Arbeit fortführen. EU will Menschenrechtssanktionen nach dem Oppositionellen benennen

  • Daniel Säwert
  • Lesedauer: 4 Min.

Am dritten Tag nach Bekanntwerden des Todes von Alexej Nawalny suchen Angehörige und Mitstreiter weiter nach der Leiche des Oppositionspolitikers. Am Montagmorgen hatten Nawalnys Mutter und seine Anwälte erfolglos versucht, die sterblichen Überreste im Leichenschauhaus der Hauptstadt des Autonomen Kreises der Jamal-Nenzen, Salechard, ausfindig zu machen. »Sie wurden nicht hineingelassen. Einen der Anwälte haben sie buchstäblich hinausgedrängt. Auf die Frage, ob sich Alexejs Leiche dort befindet, antworten die Mitarbeiter nicht«, schrieb Nawalnys Pressesprecherin Kira Jarmysch auf X.

Am Sonntag veröffentlichten Journalisten von »Mediazona« die Aufnahmen von Verkehrskameras, die einen Konvoi mit einem Transporter der Gefängnisverwaltung in der Nacht zum 17. Februar zeigen. Die Journalisten vermuten, dass sich im Konvoi Nawalnys Leiche befand.

In einem von der Menschenrechtsorganisation OVD-Info initiierten Aufruf forderten bis Montagnachmittag knapp 62 000 Menschen die Herausgabe der Leiche an die Angehörigen. Auf Unterstützung der russischen Regierung können sie dabei nicht hoffen. »Damit haben wir nichts zu tun. Das gehört nicht zu den Aufgaben der Präsidialverwaltung«, erklärte Kremlsprecher Dmitri Peskow am Montag bei einem Pressebriefing in Moskau.

Zweifel an offizieller Todesursache

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Zur Untersuchung der Todesumstände Nawalnys sagte Peskow lediglich, dass diese »laufe«. Ergebnisse gebe es aber noch keine, so der Kremlsprecher. Bereits am Freitag hatten Journalisten erste Zweifel an der offiziellen Todesursache geäußert.

Das Online-Medium Moschem objasnit veröffentlichte am Montag eine Liste mit den bisherigen Ungereimtheiten. Neben der Todesursache wirft auch der Todeszeitpunkt Fragen auf. Bereits am Freitag wies ein Journalist darauf hin, dass der Hofgang im Lager Polarwolf am frühen Morgen und nicht am Mittag stattfinde, wie von der Gefängnisverwaltung angegeben. Außerdem, so äußerten sich mehrere Zeugen gegenüber »Nowaja Gaseta«, habe es schon am Vorabend Unruhen gegeben. Demnach wurden die Insassen in ihren Baracken eingeschlossen, bevor »irgendwelche Autos« ins Lager gekommen seien. Nach Recherchen von Meduza schrieben auch die Nachrichtenagenturen Ria Nowosti und Tass zunächst vom 15. Februar als Todestag, änderten die Angaben dann aber auf den 16. Februar.

Leiche wird erst in zwei Wochen freigegeben

Bereits die Verlegung sei ein Hinweis auf einen bevorstehenden Mord gewesen, heißt es bei Moschem objasnit. Das Lager Polarwolf gilt als Folterlager, in dem Insassen regelmäßig körperliche Gewalt erleben.

Je mehr Zeit vergeht, desto schwieriger dürfte die Aufklärung der Todesursache Nawalnys werden. Im Interview mit der Plattform Takie dela sprach die Rechtsmedizinerin Olga Fatejewa davon, dass das Labor in Salecharf wegen mangelnder Ausrüstung mögliche Giftspuren nicht finden könnte. Auch die blauen Flecken, die der Körper aufweisen soll, seien nur bedingt aussagekräftig. Eine Untersuchung im Ausland vorzunehmen, sei allerdings sehr schwer, allein wegen der bürokratischen Hürden, sagte die Rechtsmedizinerin. Auch der Zeitfaktor spielt eine Rolle. Man werde die Leiche frühestens in zwei Wochen erhalten, schrieb Jarmysch am Montagabend. Solange bräuchten die Ermittler, um eine »chemische Expertise« durchzuführen.

Julia Nawalnaja will weitermachen

Russlandweit versammelten sich am Wochenende Menschen, um Alexej Nawalny zu gedenken. In 190 Städten entstanden spontane Denkmale für den Politiker, häufig an den Mahnmalen für die Opfer stalinistischer Repressionen. Vielerorts griff die Polizei durch, nahm insgesamt 389 Menschen fest. In St. Petersburg mussten die Verhafteten teilweise in weit entfernte Orte gebracht werden, weil die Untwersuchungsgefängnisse in Russlands zweitgrößter Stadt bereits voll belegt waren.

Nawalnys Ehefrau, Julia Nawalnaja, erklärte am Montag in einer Videobotschaft, die Arbeit ihres Mannes fortführen zu wollen. »Ich werde die Sache Alexej Nawalnys fortführen. Ich werde weiter für unser Land kämpfen. Und ich rufe euch auf, euch neben mich zu stellen.«

Ruf nach neuen Sanktionen

Bei einem Treffen mit dem Außenbeauftragten der Europäischen Union, Jose Borrell, kündigte Nawalnaja zudem an, die Namen der Verantwortlichen für den Tod ihres Mannes zu veröffentlichen.

Vor dem Treffen hatte Borrell neue Sanktionen gegen die Verantwortlichen gefordert. Eine ähnliche Liste hatte es bereits 2010 nach dem Tod des Wirtschaftsprüfers Sergej Magnitzi im Gefängnis gegeben. Borrell schlug außerdem vor, das EU-Sanktionsinstrument zur Bestrafung von schweren Menschenrechtsverstößen in »Nawalny-Menschenrechtssanktionsregime« umzubenennen.

Der Blogger und ehemalige Moskauer Kommunalabgeordnete Maxim Katz kritisierte die Pläne, Sanktionen nach Nawalny zu benennen. Auf X bezeichnete er Borrells Vorschlag als »Verspottung«. Schließlich haben die Sanktionen zum großen Teil dazu beigetragen, dass Putin sich zu Kriegsbeginn an der Macht halten konnte, indem er Kapitalabzug und Brain Drain aufhalten konnte. Katz erinnerte auch daran, dass oppositionell gesinnte Russen monatelang auf Visa warten müssen, Probleme bei der Eröffnung von Bankkonten haben und die EU-Grenze nicht mit dem Auto überqueren dürfen. »Und das alles wollen sie nach Nawalny benennen?«

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