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DaMigra: »Wir Migrantinnen werden in die Prekarität gedrängt«

Die Ausbeutung migrierter Frauen hat in Deutschland System, kritisieren die Frauenorganisationen von DaMigra und fordert: »Wir wollen mitbestimmen«

Migrantinnen landen besonders häufig in prekären Jobs. Das ist kein Zufall, sondern System, meinen Frauenorganisationen von DaMigra.
Migrantinnen landen besonders häufig in prekären Jobs. Das ist kein Zufall, sondern System, meinen Frauenorganisationen von DaMigra.

Wenn einer Frau aus Thailand bei einer Jobberatung gesagt wird, sie solle doch lieber in einem Massagesalon arbeiten, statt ihr Diplom anerkennen zu lassen, oder eine Frau bei der Schutzberatung hört, sie solle sich nicht so anstellen, Gewalt gegen Frauen sei doch normal in ihrer Kultur – »ist das dann Rassismus oder Sexixmus?,« fragt Dr. Delal Atmaca, Geschäftsführerin des Dachverbandes der Migrantinnenorganisationen (DaMigra) bei der Auftaktveranstaltung des »Migrantinnen März 2024«, der die Erfahrungen von migrierten Frauen in Deutschland sichtbar machen soll.

Für Migrantinnen sind solche Erlebnisse Alltag. »Die Verbindung von Rassismus und Sexismus spielt sich überall im Leben ab, beides lässt sich kaum voneinander unterscheiden« erklärt Atamaca. Bei der Gesprächsrunde, an der acht Vertreterinnen verschiedener Migrantinnenorganisationen teilnahmen, wurde deutlich: Die erste und wichtigste Hürde auf dem Weg zur Gleichberechtigung migrantischer Frauen ist die Jobsuche.

Forough Hossein Pour, die seit sieben Jahren Frauen mit Flucht- und Migrationsgeschichte berät, macht greifbar, wie viele Steine Migrantinnen in den Weg gelegt werden: »Etwa 80 Prozent der Tausenden Frauen, die jedes Jahr zu uns kommen, haben eine Berufsqualifikation.« Viele von ihnen hätten aber gar nicht die Möglichkeit, ihre Qualifikation anerkennen zu lassen, so Hossein Pour. »Für die Authentifizierung der Dokumente ist zum Beispiel die deutsche Botschaft in Teheran zuständig. Aber wie soll eine geflüchtete Frau zur Botschaft in Teheran kommen?«

Hat eine Frau dann tatsächlich alle Dokumente zusammen, um einen Antrag auf eine Qualifikationsprüfung zu stellen, kommt es häufig vor, dass die zuständige Stelle ihr schreibt, sie solle den Antrag lieber zurücknehmen. Die Begründung: Bei der Prüfung werde erfahrungsgemäß ohnehin keine Gleichwertigkeit ihrer Qualifikation festgestellt. »Ein Jahr lang hat die Frau alle Papiere zusammengesucht, um am Ende auf ihren Antrag zu verzichten«, beklagt Hossein Pour.

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Dann bleibt der ihr nur noch übrig, in Deutschland eine Prüfung zu ihren Fachkenntnissen zu machen, das könne man sich in etwa wie ein Staatsexamen vorstellen. »Darauf muss sich die Frau dann vorbereiten. Jetzt hat sie aber Kinder und arbeitet in irgendeinem Hilfsjob, um ihren Aufenthalt zu sichern«, erklärt die Beraterin. Wenn sie die Prüfung nicht besteht, muss sie weiter als Pflegehelferin oder in einem anderen prekären Job arbeiten. »Und selbst wenn sie die Prüfung geschafft hat, dann wird sie beim ersten Vorstellungsgespräch gefragt, ob sie bereit ist, ihr Kopftuch abzulegen.«

Auch Frauen, die hier in Deutschland studiert haben, sind nicht vor der vielfachen Diskriminierung geschützt, kritisiert Doga Akyürek vom Türkischen Frauenverein. »Ich habe mit einer Klientin gearbeitet, die 38 Jahre alt und promoviert ist. In einem anderen Land könnte sie als Doktorandin arbeiten. Hier kann sie fast nichts machen, weil sie Kopftuch trägt.« Immer komme die Frage: »Sind Sie bereit, ihr Kopftuch abzulegen?«

Eigentlich ist gesetzlich klar geregelt: Arbeitgeber*innen dürfen weder bei der Bewerbung noch im Arbeitsalltag wegen ihres Glaubens oder der Ausführung ihrer Religion benachteiligt werden. Selbst bei staatlichen Stellen, wo das Neutralitätsgebot greift, haben Gerichte mehrfach entschieden, dass Frauen ein Job etwa als Lehrerin nicht verwehrt werden kann, weil sie Kopftuch tragen. Die Realität ist aber eben oft eine andere. Gegen einen Diskriminierungsfall kann zwar geklagt werden, ein solcher juristischer Schritt ist aber mit so vielen weiteren Hürden verbunden, dass insbesondere Frauen in prekären Lebenssituationen eher selten davon Gebrauch machen.

Die Diskriminierung, die Frauen im Allgemeinen erleben, erfahren Migrantinnen noch viel stärker, so Atmaca: »Wir migrierte, wir geflüchtete Frauen haben nicht nur gläserne Decken über uns, die den Weg nach oben versperren, sondern sind von gläsernen Fenstern und Türen ringsherum umgeben.« Das Problem liegt also nicht nur im Alltagsrassismus, den migrantische Frauen auf der Straße, bei der Arbeits- oder Wohnungssuche erleben, sondern in den rassistischen und gleichzeitig sexistischen Strukturen, die Frauen systematisch in die wirtschaftliche Prekarität drängen. Dadurch wird häufig auch die Abhängigkeit von Männern gefördert.

Dass migrantische Frauen so häufig in Jobs arbeiten, die schlecht bezahlt sind und ihren Qualifikationen nicht entsprechen, sei genau so gewollt, »weil man eine Reservearmee braucht, um das Wirtschaftssystem aufrechtzuerhalten«, meint Atmaca. »Unsere Vorständin, die schon in den 60er Jahren hier als Krankenschwester gearbeitet hat, erzählt von damals genau das Gleiche.« Heutzutage gebe Deutschland damit an, wie modern das Land sei und welche tollen Antidiskriminierungsgesetze es hier gebe. »Dabei hat sich seither gar nicht wirklich etwas geändert.«

Um doch etwas am System zu ändern, fordert der Dachverband einen Platz am Tisch der Entscheider*innen. »Es ist Zeit für eine gerechte Verteilung der Macht, die den Menschen, die weniger Privilegien besitzen, Handlungsmacht zurückgibt. Wir richten uns an die Machtinhaber*innen, an die Politik, die Medien, den Arbeitsmarkt und Bündnisse mit einer klaren Botschaft: Rutscht rüber – wir bestimmen mit!«

Im Zeitraum zwischen dem Weltfrauentag am 8. März und dem Internationalen Tag gegen Rassismus am 21. März will DaMigra mit 16 unterschiedlichen Veranstaltungen sichtbar machen, wie Rassismus und Sexismus die politische, soziale und wirtschaftliche Teilhabe von migrantischen Frauen erschweren und was besser laufen muss.

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