Ausbeutung von eingewanderten Arbeitern: Um den Lohn gebracht

Auch in Berlin werden eingewanderte Arbeitskräfte besonders häufig ausgebeutet, unter anderem als Leiharbeiter bei Tesla

Ob Reinigungs-, Bau- oder Transportbranche: Arbeitsausbeutung passiert überall, vor allem Nicht-Deutsche sind betroffen.
Ob Reinigungs-, Bau- oder Transportbranche: Arbeitsausbeutung passiert überall, vor allem Nicht-Deutsche sind betroffen.

Hunderte Menschen arbeiten im Tesla-Werk in Grünheide als Leiharbeiter*innen: Sie sind nicht bei Tesla selbst angestellt, sondern werden von einem Leihunternehmen dorthin ausgesandt. Das führt laut Benjamin Luig zu ausbeuterischen Arbeitsverhältnissen: »Keine Lohnfortzahlungen im Krankheitsfall, kurzfristige Kündigungswellen«, zählt Luig die Probleme bei Tesla auf. Er arbeitet in dem gewerkschaftsnahen Projekt »Faire Mobilität«, das ausländische Arbeiter*innen zu arbeits- und sozialrechtlichen Fragen berät und im Fall von Ausbeutung unterstützt. »Es kam schon vor, dass dann die polnischen Leiharbeitnehmer*innen mit dem Responder vor dem Werkstor stehen und nicht mehr reinkommen, weil sie nicht vorher von der Kündigung erfahren haben.«

Leiharbeit gehört zu einem der wichtigsten Bereiche, wo Luig und seine Kolleg*innen ausbeuterische Verhältnisse feststellen. Am Donnerstag stellen er und zwei weitere Expert*innen im Sozialausschuss des Abgeordnetenhauses die aktuelle Lage vor. Denn in Berlin wie in Brandenburg erleben insbesondere eingewanderte Arbeiter*innen regelmäßig Verstöße gegen das Arbeits- oder Sozialrecht: Sie wurden unter Umständen schon mit ausbeuterischen Verträgen angeworben und kennen ihre Rechte in Deutschland nicht. »Menschen sind durch die wirtschaftliche Lage bei sich zu Hause gezwungen, in Deutschland zu arbeiten, aber kommen hier in eine Lage, die noch prekärer und gefährlicher ist«, fasst Christoph Wapler (Grüne) die verheerenden Folgen zusammen.

Rund 4000 Migrant*innen haben sich 2023 an das Beratungszentrum für Migration und Gute Arbeit (BEMA) gewandt, um sich gegen mutmaßliche Arbeitsausbeutung zu wehren. Das erzählt Philipp Schwertmann von der BEMA im Ausschuss. Über die Hälfte der Ratsuchenden kam aus Nicht-EU-Ländern, rund 40 Prozent aus der EU. Das Geschlechterverhältnis stellt sich laut Schwertmann recht ausgeglichen dar: Ausbeutung beträfe eben nicht nur die klassisch männerdominierten Branchen wie Bau oder Transport, sondern auch Pflege, Gastronomie oder Reinigung. »Es ist immer wieder erstaunlich, in wie vielen Branchen das vorkommt.« Selbst in normalerweise sehr gut bezahlten Berufszweigen gebe es Betroffene, hin und wieder kämen auch Ärzt*innen oder Architekt*innen in die Beratung.

Um Arbeitsausbeutung zu definieren, nutzt Schwertmann ein Pyramidenmodell: Ganz unten stehen ausbeuterische Beschäftigungsverhältnisse, die zwar einvernehmlich, aber für die Beschäftigten trotzdem ungünstig sind. Darunter fallen etwa Urlaubsregelungen unter dem empfohlenen Niveau oder bestimmte Fälle von Solo-Selbstständigkeit. »Es gibt viele Beschäftigungsverhältnisse, die hier unten anfangen, dann aber nach oben wandern«, sagt Schwertmann. Nach oben: Das bedeutet, es kommt strafrechtlich relevante Ausbeutung hinzu, etwa Mindestlohnverstöße.

Besonders extreme, aber auch seltenere Fälle stehen in der Spitze der Pyramide. Da geht es um Zwangsarbeit, wenn also der Arbeitgeber durch Androhung von Gewalt, Nötigung oder Täuschung die Betroffenen in ein ausbeuterisches Arbeitsverhältnis zwingt. 2023 betreute die BEMA 49 Opfer von Zwangsarbeit und Menschenhandel.

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In Berlin liegt der Branchenschwerpunkt des Projekts »Faire Mobilität« im Baugewerbe und im internationalen Straßentransport, in Brandenburg berät sein Team vor allem Erntehelfer*innen. Die meisten Ratsuchenden kämen aus osteuropäischen Ländern. Ein typischer Fall aus der Baubranche: »Ein Ratsuchender aus Polen sucht uns auf, er hat Anspruch auf Krankengeld, aber er wurde vom Arbeitgeber nie angemeldet und hat auch nie eine Lohnabrechnung bekommen.« Häufig kämen dann die Kolleg*innen mit demselben Problem und es stelle sich ein tieferliegendes Problem heraus, etwa dass sie alle seit drei Monaten keinen Lohn erhalten hätten. »Aber nur drei Leute gehen individuell den Klageweg und klagen vor Gericht ein.«

Dass nicht alle Betroffenen den Weg vors Gericht nehmen, hat unterschiedliche Gründe. Betroffene, die ein ausbeuterisches Arbeitsverhältnis beenden, stehen unter Umständen vor einem Trümmerhaufen. Nicht nur der Job, auch die betrieblich gestellte Unterkunft fällt weg, und gerade in Berlin und im Berliner Umland findet sich auf die Schnelle nur schwer eine neue Wohnung. Besonders wenn mit der ausbeuterischen Arbeit auch soziale Isolation einherging, können die Menschen sich nicht auf ein soziales Netzwerk verlassen. Dazu kommen aufenthaltsrechtliche Probleme – ohne Arbeit endet in der Regel auch ein Arbeitsvisum. Zwar gibt es eigentlich eine sogenannte Bedenk- und Stabilisierungsfrist, die die Ausreisepflicht für maximal drei Monate aufschieben soll. Doch die funktioniert laut Schwertmann in der Praxis nur unzureichend. »Die Betroffenen müssten mindestens eine Duldung bekommen, damit sie sich sicher fühlen und die entsprechenden Aussagen machen können.«

Derzeit verlassen Betroffene oftmals das Land. Das führt nicht nur dazu, dass sie das Geld, das ihnen rechtsmäßig zusteht, nicht bekommen, auch die ausbeuterischen Arbeitgeber werden dadurch nur selten zur Rechenschaft gezogen. Das berichtet Norman Siegismund, der als Arbeitsgebietsleiter des Hauptzollamtes Berlin im Ausschuss spricht. »Wenn ein Opfer nicht bereit ist zu kooperieren, dann ist nichts gewonnen, dann können wir den Verantwortlichen nicht das Handwerk legen.« Schwertmann stimmt zu: »Das Drohpotenzial muss sich erhöhen, momentan haben Unternehmen keine Angst, wenn zwei oder drei Beschäftigte ihre Löhne einklagen, weil sie haben ja noch die anderen.«

Die Abgeordneten im Ausschuss sind sich fraktionsübergreifend einig: Arbeitsausbeutung muss bekämpft werden. Doch was genau auf Landesebene passieren sollte, da gehen die Meinungen auseinander. Damiano Valgolio (Linke) schlägt vor, eine Sonderduldung in Berlin einzuführen, um die aufenthaltsrechtlichen Probleme zu lösen, doch laut Arbeitssenatorin Cansel Kiziltepe (SPD) liegt hierfür die Zuständigkeit beim Bund. Ihr Haus plant dagegen ab kommenden Mai die Einrichtung einer Stelle, die von Arbeitsausbeutung Betroffene betreut und wenn nötig unterbringt.

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