Schön gerechnete Klimabilanz

Bilanz der Treibhausgasemissionen basiert auf Wunschdenken

  • Jörg Staude
  • Lesedauer: 3 Min.

Eine frohe Botschaft verkündete Wirtschafts- und Klimaminister Robert Habeck (Grüne) am Freitag bei der Präsentation der Bilanz der Treibhausgasemissionen: Deutschland sei erstmals auf Kurs, die Klimaziele für 2030 einzuhalten. »Klimaschutz und Wertschöpfung, Wachstum und Produktion und eine klimaneutrale Wirtschaft können zusammengehen«, so Habeck.

Er wiederholte auch sein Mantra, wonach die Ampel 2021 eine riesige Klimalücke von 1,1 Milliarden Tonnen CO2 von der Vorgängerregierung geerbt hatte. Diese Menge an Treibhausgasen musste Deutschland bis 2030 noch einsparen, damit die Vorgaben des Klimaschutzgesetzes erfüllt werden und am Ende die Emissionen um 65 Prozent unter denen von 1990 liegen. Vor einem Jahr hatte das Umweltbundesamt (UBA) der Politik noch bescheinigt, dass diese Lücke deutlich kleiner geworden sei, aber immer noch mindestens 200 bis 300 Millionen Tonnen betrage. Dies war Wasser auf die Mühlen der Umweltbewegung. Sie kritisierte die geplante Entkernung des Klimaschutzgesetzes und zog erneut vor das Bundesverfassungsgericht.

Jetzt verkündete Habeck, dass die Lücke geschlossen sei. Noch besser: Laut der aktuellen, vom UBA erstellten Klimaprojektion, werde Deutschland bis 2030 fast 50 Millionen Tonnen weniger emittieren als erlaubt. Aus Sicht Habecks funktioniert damit auch die Idee der Ampel, dass künftig die Emissionen zwischen den Sektoren ausgeglichen werden dürfen. So wird der Bereich Energie rund 175 Millionen Tonnen CO2 weniger ausstoßen als erlaubt – der Verkehr liegt dagegen um 180 Millionen Tonnen über dem gesetzlichen Limit. Die Gebäude überziehen bis 2030 um 32 Millionen Tonnen, während Industrie, Landwirtschaft und Abfallsektor ihre CO2-Budgets um zusammen rund 80 Millionen Tonnen unterbieten.

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Das plötzliche Verschwinden von mehreren hundert Millionen Tonnen CO2 aus der Projektion binnen eines Jahres ist natürlich erklärungsbedürftig. In Kurzfassung geht die vom Minister und dem UBA-Präsidenten Dirk Messner vorgetragene Erläuterung so: Man habe zuvor mit zu hohen Erdgaspreisen kalkuliert und deswegen mit viel mehr besonders klimaschädlicher Stromerzeugung aus Kohle. Das werde nicht in dem Umfang eintreten, weil die Gaspreise sich wieder dem Niveau von vor dem Ukraine-Krieg näherten. Auch rechnet die aktuelle Projektion mit höheren CO2-Preisen im EU-Emissionshandel. Sollten diese nicht eintreffen, könnten laut UBA im Energiesektor bis 2030 auch leicht wieder bis zu 50 Millionen Tonnen CO2 mehr hinzukommen.

Habecks Darstellung ist damit eine Wette auf die Zukunft und beruht auch auf Luftbuchungen. So rechnet das UBA in den Energie-Szenarien mit einem weitgehenden Kohleausstieg bis 2030. Dieser ist im Osten aber alles andere als sicher und wird von den dortigen Landesregierungen bisher abgelehnt. Die große Einsparung im Bereich Landwirtschaft findet weitgehend auf dem Papier statt, da die Klimawirkung von Lachgas aus der Düngung um fast 40 Prozent niedriger angesetzt wird als bisher. Außerdem schlägt sich die zunehmende Fluglust nicht in der CO2-Projektion nieder, weil dort nur Inlandsflüge berücksichtigt werden.

Die Kompensation der zu hohen Emissionen aus dem Verkehr und den Gebäuden hilft zudem nicht dabei, die Pflichten aus der europäischen Lastenteilung laut EU-Klimaschutzverordnung zu erfüllen. Deutschland müsste daher Emissionsrechte im Umfang von bis zu zehn Milliarden Euro dazukaufen. Aus der Sicht von Habeck und den Grünen ist das eine erneute Warnung an die FDP. Der Koalitionspartner verweigert sich seit Monaten einer Lösung des Problems, legt selbst aber keinen Vorschlag zur Vermeidung der Strafzahlung vor.

Viele Ungereimtheiten in der Klimabilanzierung helfen Deutschland gerade dabei, besser dazustehen. Wissenschaftler fordern daher seit Langem mehr Ehrlichkeit. Der Trend der Politik geht derzeit eher zum Schönrechnen der Klimabilanz.

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