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Bei Notstand in Berlin: Katastrophenschutz von unten

Hohe Hilfsbereitschaft der Bevölkerung im Krisenfall soll gestärkt werden

  • Moritz Lang
  • Lesedauer: 3 Min.
So könnte eine Katastrophe aussehen: Feuerwehrübung im U-Bahntunnel.
So könnte eine Katastrophe aussehen: Feuerwehrübung im U-Bahntunnel.

Schreckensszenarien von Plünderungen und Chaos bleiben in tatsächlichen Katastrophensituationen meist aus. Die Sicherheitsforscherin Birgitta Sticher von der Hochschule für Wirtschaft und Recht (HWR) kann den Innenausschuss des Abgeordnetenhauses am Montag beruhigen. Bei Stromausfällen, Fluten oder Krisen anderer Natur sei die Hilfsbereitschaft der Menschen meist höher als sonst. Die Wahrscheinlichkeit von Plünderungen steige nur dann, wenn das Vertrauen in die Institutionen schwach ist und deren Antwort auf eine Katastrophe als ungerecht empfunden wird – die Versorgung also in die eigene Hand genommen werden muss.

Damit es dazu nicht kommt, sind die Institutionen in der Pflicht. Über den Stand der Vorbereitungen für den Extremfall wurde im Auschuss berichtet: Um etwa während eines Blackouts kompetente Bürger*innen einzubinden und auch die Informationsübermittlung von unten, also von der Bevölkerung an Institutionen, zu ermöglichen, haben verschiedene Akteure bundesweit das Konzept der »Katastrophen-Leuchttürme« entworfen. Von diesen notstrombetriebenen Koordinationsstellen werden zurzeit 39 von den Bezirken geplant. Zusätzlich soll es 147 ehrenamtlich besetzte Informationspunkte geben, die fußläufig zu erreichen sein sollen. Besonders gut läuft es laut Sticher in Lichtenberg.

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»Lichtenberg hat den Vorteil, dass ich eine Vollzeitstelle, ein abgeschlossenes Studium in dem Bereich und Erfahrung auf internationaler Ebene habe«, sagt Philipp Cachée, Katastrophen- und Zivilschutzbeauftragter des Bezirksamts Lichtenberg. In anderen Bezirksämtern sei oft keine ganze Stelle für Katastrophenschutz vorgesehen. Auch mangele es oft an Expertise. Bessere Bezahlung könne die nötigen Fachleute anlocken, so Cachée weiter.

Eine große Herausforderung ist laut Cachée das Sammeln von Kontakten von medizinischem Personal, Apotheken oder Fachwirtschaft, die in die Krisenbewältigung eingebunden werden können. Oft sind diese Informationen geheim – dies erschwere die Kommunikation, da es für ihn noch keine Möglichkeit gebe, klassifizierte Dokumente digital auszutauschen, so Cachée weiter. Um sich ein Bild über den Status quo zu verschaffen, soll es im vierten Quartal dieses Jahres in Lichtenberg eine wissenschaftlich begleitete »Realübung im Vollalarm« geben.

Auf weitere Hürden für den Katastrophenschutz weist auch Gudrun Sturm hin, die Landesgeschäftsführerin des Deutschen Roten Kreuzes Berlin. Das Rote Kreuz habe die gleichen Probleme wie Berliner*innen auf Wohnungssuche: »Uns werden Garagen gekündigt und es ist fast unmöglich, neue Standorte zu finden.«

Der Rekord von vier Millionen Euro jährlich für den Katastrophenschutz im Doppelhaushalt 2024/25 bringe nichts, wenn das Bewirtschaftungsgesetz erst nach der Sommerpause käme. Da dies teils kleinteilig festlege, wofür die Mittel zu verwenden seien, gebe es keine Sicherheit. »Wir wissen nicht, wie wir die Gelder ausgegeben können«, sagt Sturm. Niklas Schrader, Sprecher für Innenpolitik der Linken, warnt vor möglicher Zurückhaltung von Mitteln: »Es gehört zur Ehrlichkeit zu sagen, dass es mit dem vorgehaltenen Geld noch nicht entschieden ist.«

Die Vorbereitungen müssten auch an die jeweiligen Bezirke angepasst werden, aber anders als man vielleicht im ersten Moment denkt. »Es sind nicht Menschen in prekären Lebenslagen, die nicht helfen«, sagt Professorin Sticher. Vergleiche von wohlhabenderen Gegenden wie Zehlendorf mit sozial schwächeren wie Wedding habe gezeigt, dass in letzteren praktische Hilfe in Krisensituationen sehr viel ausgeprägter ist. Denn wer mehr Ressourcen hat, empfinde auch weniger Notwendigkeit, sich mit anderen zusammenzutun. Da Berlin so unterschiedlich sei, bedürfe es einer Sozialraumanalyse, die lokale Vulnerabilitäten und Resilienzen richtig einschätze. »Die Bezirke müssen noch viel mehr in ihrer Rolle gestärkt werden«, sagt Sticher.

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