»Ein stetes Stolpern nach vorn«

Wie schreibt man linke Literatur? Ein Gespräch mit Ken Merten über seinen Debütroman »Ich glaube jetzt, dass das die Lösung ist«

  • Interview: Vincent Sauer
  • Lesedauer: 6 Min.

Der Titel Ihres Romans ist ungewöhnlich, es ist ein ganzer Satz: »Ich glaube jetzt, dass das die Lösung ist.« Von welchen Problemen denn?

Auf der Ebene des Settings ist es die kurdische Befreiungsbewegung, die ein Projekt aufzubauen versucht, das für Linke Vorbildcharakter hat. Die Romanhandlung spielt im Jahr 2017, als der sogenannte Islamische Staat zurückgedrängt werden konnte. In diese Situation kommt die Hauptfigur I. nach Syrien. Nicht als politischer Kader, sondern als einer, der persönlich unzufrieden ist mit seinem Leben in Dresden, der auf Haltungssuche ist, und auch als der Trottel, der man ist, wenn man verliebt ist. Kim, mit der er über Irak nach Nordsyrien reist, ist eigentlich diejenige, die sich politisch-motiviert den internationalen Brigaden anschließt. Aber auch sie ist unzufrieden, mit dem selten offensiv geführten Klassenkampf von unten und dem stockenden Aufbau antikapitalistischer Strukturen in der Bundesrepublik.

Bleiben wir erst mal in Deutschland. Die Handlung setzt in Dresden ein, aber im Anti-Elbflorenz: I.s Vater ist Alkoholiker, weil gescheiterter Künstler. Die Mutter ist ab in den Westen, dann weiter nach Spanien. I. hat seine Freundin Amira mal vor Nazis beschützen wollen und wurde verkloppt, denn er ist kein Antifa-Muskelmacker. Es gibt einen heftigen Kontrast zwischen dem Privatleben des linken Studenten in Sachsen und dem Traum vom Freiheitskampf in der Ferne.

In mancher Hinsicht ist der Roman auch eine Antwort auf Karl May und sein Buch »Durchs wilde Kurdistan«. I. ist dann aber eben nicht der weiße Supermensch aus dem Abendland, der den Tag oder gleich das Jahrzehnt rettet, sondern eine Figur mit langer Mängelliste. Ehrlich und willens zu lernen, aber eben schon ein Lappen, der wiederholt scheitert, etwa gegenüber einem Dozenten und dessen reaktionärem Eliten-Denken. I. als Figur hat Potenzial zur Entwicklung. Amira – als Freundin, Zweitfamilie, aber auch gewerkschaftlich aktive Kommunistin – sieht das und vermittelt ihm, dass eben dieses Potenzial gebraucht wird, auch in Dresden, der Stadt mit dem großen humanistischen Erbe und der antifaschistisch-sozialistischen DDR-Geschichte, die zur Kapitale von Pegida geworden ist.

Was war Ihnen wichtig bei der Darstellung von Dresden bzw. der linken Szene? Viele Leser*innen könnten da ja einige eigene Erfahrungen wiedererkennen.

Die linke Szene scheint mir da in der Realität schon romanhaft: Mehr oder weniger kennen sich alle, haben alle ihre Standpunkte und tun sich – Stichwort: Bündnis Dresden Nazifrei – oft zähneknirschend zusammen. Wenn im Buch mit Amira die Vertreterin des Lenin’schen Teewasserkampfs am Rande eines Protests gegen die AfD auf der Prager Straße mit der sprungbereiten, spontaneistischen Kim streitet, dann verweist das auf den Diskussionsbedarf und darauf, dass nicht miteinander zu reden auch keine Lösung ist. Danach weiß man wenigstens fundiert, dass man uneins ist.

Nun ist I. – der Lappen mit Potenzial – zwar der Protagonist, aber Sie verzichten auf die allseits beliebte Ich-Perspektive. Die Sprache des Romans ist auf eine sehr gelungene Weise eigentümlich. Ein ungezwungenes Verhältnis zur Umgangssprache, gewitzte, aber nicht komplizierte Satz-Konstruktionen: Man gewinnt so den Eindruck, man sei nahe an Denkvorgängen und Wahrnehmungen dran. Wie haben Sie diesen Ton gefunden?

Wenn man häufig zeitgenössische deutschsprachige Belletristik liest, dann merkt man schon, dass da oftmals nicht nur inhaltlich viel wiedergekäut wird, sondern auch Glätte und Eingängigkeit dominieren. Man will es den Leserinnen und Lesern, die in ihrer wenigen Freizeit noch Bücher aufschlagen, nicht so schwer machen. Dabei verlangt man ihnen ab, die stete Wiederkehr des Drögen zu konsumieren. Eine Art der Entmündigung, die doch alle nur zu Tode langweilen kann. Nun ging es mir mit der Sprache im Roman aber nicht darum, einfach nur möglichst ausgefallen zu sein oder postmodernes Pillepalle zu betreiben, sondern zu vermitteln, in welcher Zwickmühle wir klemmen. Die Sprache soll auf das Mögliche verweisen, ohne dabei erbauungsliterarisch Fehlschläge und Sackgassen auszusparen. Ihre Assoziation des verschriftlichten Denkens – im Kontext der Diskussion, des Aneignens, Verarbeitens und neuerlichen Mitteilens –, kommt sicher nicht von ungefähr. Eine Art nach vorn gerichtetes stetes Stolpern, während man sich auf schwierigem Terrain um einen aufrechten Gang bemüht. Worte sind schwer in Worte zu fassen, besonders wenn man sie selbst verzapft hat, haha.

Sie haben länger in Dresden gelebt, sind aber nicht nach Rojava gefahren. Es geht mir nicht um biografische Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu dem Protagonisten I., aber ein Roman schreibt sich ja nicht von allein. Deshalb würde mich interessieren, wann Sie mit dem Text angefangen haben. Gab es einen konkreten Plan mit festen Themen und Thesen?

Ich glaube, es war auch 2017, als ich angefangen habe, an dem Manuskript zu schreiben. Da war ich schon in den Westen rübergemacht, kurz bevor das mit Pegida losging. Aber klar, bei Protesten gegen die Lucke-AfD und Blockaden zum 13. Februar war man dabei, und in den Dresdner Hörsälen saß ich auch, seltener, als ich hätte müssen. Aber Autofiktion ist der Roman keineswegs, das stimmt. Die Recherche zum Hauptteil des Romans lief dann über Sekundärliteratur, also Reportagen und Erlebnisberichte, aber auch Youtube-Videos, um Eindrücke von der Region zu gewinnen. In Kassel habe ich auch ein langes Gespräch mit jemandem geführt, der für die YPG gekämpft hat. Insgesamt also ein Schreiben aus der Distanz oder Dreivierteldistanz, und für das literarische Ergebnis wird dann auch mehr Wert auf das Artifizielle und nicht auf das Authentische gelegt. Letztlich aber auch ein Zeichen der Zeit, dass ich Brigadistenliteratur geschrieben habe, ohne am Kampf teilgenommen zu haben oder auch nur dort gewesen zu sein. Bei Willi Bredel und Ernest Hemingway war das anders. Was das Planhafte angeht: Das so weit fertige Manuskript wurde oftmals abgelehnt; nichts, was man gern einberechnet, aber für Publikumsverlage mit möglichst glattem Programm taugt es auch einfach nicht.

Noch ein Ortswechsel: In Ihrer Vita steht, dass Sie ein halbes Jahr auf Kuba verbracht haben.

Nach Kuba gekommen bin ich mit dem »Proyecto Tamara Bunke«. Die Gelegenheit wollte ich nutzen, um vom kubanischen Sozialismus vor Ort zu lernen; aber es sollte auch Gelegenheit sein, anders, unmittelbarer zu recherchieren. Da ging es mir ebenso wenig um das bloße Faktensammeln zum Herstellen naturalistischer Prosa. Das würde Literatur zur Unkenntlichkeit einengen. Auf Kuba ist dann eine Kolumne für die »Junge Welt« entstanden, quasi ein öffentlicher Zettelkasten, der für das Feuilleton aufbereitet wurde. Die Kolumne war schließlich Grundlage für »Sonne und Sichel – Ein kubanisches Notizbuch«, das 2023 im Verlag Neues Leben erschienen ist. Das ist aber eher ein Nebenprodukt. Am Roman, der zur Hälfte in Kuba handeln soll, schreibe ich aktuell.

Ken Merten: Ich glaube jetzt, dass das die Lösung ist. XS-Verlag, 248 S., br., 23 €.

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