Kim Gordon: Avantgarde muss nicht jung sein

Kim Gordon beweist mit ihrem neuen Album, dass auch ältere Frauen ihren Platz im Rockzirkus haben

  • Benjamin Moldenhauer
  • Lesedauer: 5 Min.
Die inzwischen 70-jährige Gitarristin, Bassistin, Sängerin, bildende Künstlerin und Modelabel-Besitzerin Kim Gordon
Die inzwischen 70-jährige Gitarristin, Bassistin, Sängerin, bildende Künstlerin und Modelabel-Besitzerin Kim Gordon

Das Altern im Pop, es ist ein Problem. Für die Künstler*innen, die altern, also ein popkulturelles, aber auch ein kulturelles, weil man im Pop, also in der Warenwerdung der Körper und ihrer Bilder, die Art und Weise, in der in unserer Gesellschaft mit dem Älterwerden umgegangen wird, wie unter einem Brennglas beobachten kann. Obwohl, Künstler*innen ist eigentlich Quatsch. Es betrifft im Pop wie auch sonst vor allem Künstlerinnen.

Männer verwandeln sich im ungünstigen Fall in eine Art sympathische und nach wie vor charismatische Selbstparodie. Mick Jagger wird, so er dann noch lebt, auch mit 95 noch auftreten. Madonna wahrscheinlich nicht – und wenn, dann begleitet von der gleichen Häme, die sie schon jetzt seit einigen Jahren begleitet und die verdichtet ziemlich genau von der Art ist, die ältere Frauen trifft, wenn sie sich das herausnehmen, was ältere Männer viel selbstverständlicher tun können, nämlich weitermachen wie bisher.

Im Falle von Rockmusik kommt generell – also geschlechterübergreifend – noch das Problem hinzu, dass ihre Erzählungen und Mythen mit Virilität und Exzess verbunden sind. Im Jazz ist in dieser Hinsicht alles easy, da wird Älterwerden verbunden mit Wissen und Weisheit und Mentorenschaft. Im Rock hingegen ist das Altern in die genreeigene Erzählung nicht gut integrierbar.

Die inzwischen 70-jährige Gitarristin, Bassistin, Sängerin, bildende Künstlerin und Modelabel-Besitzerin Kim Gordon hat spätestens mit ihren zwei Soloalben eine Soundästhetik entwickelt, die den automatisiert herabsetzenden Blick auf ältere Pop-Künstlerinnen wie im Vorbeigehen aushebelt. Schon mit ihrer Anfang der 80er Jahre gegründeten Band Sonic Youth verband Gordon Avantgarde und Rock. Die traditionellen Songstrukturen wurden nicht zerstört, aber doch zerdehnt in ausufernden Feedback-Improvisationen und Anknüpfungen an die Neue Musik des 20. Jahrhunderts. 1999 veröffentlichten Sonic Youth das Album »Goodbye 20th century«, auf dem sie Stücke von Komponist*innen wie John Cage, Yoko Ono, Steve Reich und Christian Wolff coverten.

Mit der Verbindung zur Avantgarde hält eine distanzierte Ebene in die Musik Einzug. Die Avantgarde muss nicht jung sein. Trotzdem klangen Sonic Youth auch in ihren abstraktesten Momenten und zu jedem Zeitpunkt ihrer Karriere agiler und lebendiger als, sagen wir, Limp Bizkit.

Vor zehn Jahren trennten sich Sonic Youth, der Bandsplit folgte auf die Trennung von Gordon und dem Sonic-Youth-Sänger Thurston Moore (der seitdem, bei allen partiellen Freejazz-Anleihen, mit seinen Soloalben eine eher traditionell gestimmte Gitarrenmusik weiter ausbuchstabiert). Die Musik, die Kim Gordon seit dem Split aufgenommen hat, ist überraschend und bricht mit allem, was sie bis dahin produziert hat. Natürlich gibt es Verbindungen zu früher: der unterkühlte, gleichzeitig seltsam atemlose Sprechgesang vor allem und eine bestimmte Tonalität von Gitarren-Noise, die an das Duo Body/Head von Gordon und dem Gitarristen Bill Nace anschließt.

Auf dem jetzt erschienenen Album »The Collective« ist beides – Stimme und Gitarre – unterfüttert von stoisch-entrückt bumpernden Trap-Beats, die Justin Raisen produziert hat. Raisen hat mit Sky Ferreira, Charli XCX, Drake und – da war schon ein erster Weg Richtung Pop-Avantgarde-Förmigem offen – Yves Tumor zusammengearbeitet. Es schliert schon in der Rhythmik des Ganzen; Störgeräusche, Fiepen, Schaben und leise Echos. Raisen hat für »The Collective« einen feingliedrigen, aber irgendwie doch unterschwellig massiven Dub-Industrial gebastelt.

Über den und alles das legt Kim Gordon dann sehr sperrigen und niemals brachialen Gitarren-Noise – und vor allem ihre Stimme, die in nahezu allen Tracks einen assoziativen Textstrom legt, der wirkt, als würde hier jemand die Ergebnisse automatisierten Schreibens auf Absinth rezitieren. Zum Beispiel in »I Don’t Miss My Mind«: »Doctors and nurses, tingling eye/ Bleeding inside, touch me there/ That’s a modern pose/ Modern pose/ Romanticism in porn/ Breathless/ Stressful/ Loveliness/ Distressed/ That’s the mess«.

Auf der zweiten Single des Albums, »I’m A Man«, singt Gordon eine feministische Rollenprosa, ein unvorteilhaft ausfallendes Porträt: »I lost my way/ Don’t make me have to hide/ Or explain/ What I am inside«. Man will es nach dieser sehr kalten Musik, die zum forciert Emotionslosesten gehört, was Kim Gordon bislang gemacht hat, auch lieber gar nicht so genau wissen, was sich da im Innern des lyrischen Ichs alles so befindet. Im Stück »It’s Dark Inside« wird dann eine offensiv-weibliche Perspektive besungen: »A flower’s wiltin’/ Take away the guilt/ They don’t tеach clit in school/ Like they do lick pussy right«.

Innerlichkeit und Äußerlichkeit werden auf »The Collective« in ein besonderes Verhältnis gesetzt. Nichts wird hier ausagiert, aber die Musik hat nichts Aseptisches, sondern pulsiert, transformiert sich und entwickelt seltsame Verästelungen. Leidenschaftlich allerdings ist sie nicht, dazu ist das alles zu idiosynkratisch in der Anlage und zu psychedelisch in seiner Wirkung. Und nicht zuletzt ist dieses Album, gerade in Bezug auf den misogynen Blick auf alternde Frauen, mit dem Künstlerinnen im Pop und auch sonst zu kämpfen haben, in gewisser Weise unangreifbar.

Bevor man auf dumme Gedanken und hämische Formulierungen kommt, wird man von der Intellektualität und einer schwer fassbaren Konzeptualität ausgebremst, die in eine nicht zuallererst schlau sein wollende, sondern sehr unheimliche Musik mündet: »The song is breathing down my neck«.

Kim Gordon: The Collective (Matador/Beggars Group/Indigo)

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