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»In meiner Erinnerung ist die Kakaoernte wie ein Familienritual«
ELN-Kommandant Nicolás Rodríguez erzählt, wie der Kakao vom Baum in die Schokolade kommt
Das Ernten der Kakaofrüchte gehörte zu meinen ersten Aufgaben als Kind, weil mein Vater selten genug Geld hatte, um Arbeitskräfte bezahlen zu können. Meine Eltern schnitten die Früchte vom Baum, wir Kinder sammelten sie ein. Zwei oder drei Tage brauchten wir für die Ernte.
Die Früchte wurden auf große Haufen gelegt. Die größeren Geschwister schnitten sie mit der Machete auf, wir Jüngeren holten das Fruchtfleisch mit den Bohnen heraus und füllten es in große Behälter, jeweils etwa einen Meter breit und tief. Weil diese Körbe sehr großmaschig waren, wurden sie mit Blättern der Nacuma-Palmen ausgelegt – damit das Fruchtfleisch nicht herausfiel. Der Kakao lag darin wie in einem Nest.
Meine Mutter schimpfte oft mit uns, weil wir das süßeste Fruchtfleisch in den Mund nahmen und lutschten. Ich habe den Geruch noch in der Nase … Kakao riecht wie Karamell, und dem säuerlich-süßen Geschmack des Fruchtfleischs ist nur schwer zu widerstehen.
Ich erinnere mich auch an die großen Kakaopflanzen, die teilweise mehr als zehn Meter groß waren und voller Früchte hingen. Die langen, breiten Blätter des Baumes schmecken ebenfalls nach Kakao, wenn man sie kaut. Manche Früchte wogen mehr als ein Kilo und waren fast lila. Mein Vater sagte »karminfarben« dazu. Das ist ein besonderes Rot.
Meine Mutter legte immer ein Blech unter die Kakaokörbe, um den heraustropfenden fermentierten Fruchtsaft aufzufangen. Wir verwendeten ihn als Medikament oder als Nahrungsmittel – als Kakao-Essig. Nach fünf Tagen hatte der Kakao einen großen Teil seines Gewichts verloren, und die weißen Bohnen waren braun verfärbt. Wir legten die Bohnen eine Woche zum Trocknen in die Sonne und brachten sie schließlich zur Federación Nacional de Cacaoteros, dem Verband der Kakaobäuer*innen.
Einen kleinen Teil der Ernte behielten wir. Meine Mutter röstete die Bohnen, um die Schale abzulösen. Wir mahlten sie, und dann wurden tennisballgroße Kugeln daraus geformt, die wir auf Orangenblätter legten. Auf diese Weise bekommt der Kakao einen ganz besonderen Geschmack.
In meiner Erinnerung ist die Kakaoernte wie ein Familienritual, bei dem wir alle mithalfen, um zum Haushaltseinkommen etwas beizutragen.
2017 schrieben die beiden ELN-Kommandanten Nicolás Rodríguez und Antonio García ein autobiografisches Buch »Predigt und Patronen« über ihre Organisation. Darin erzählt werden auch die ganz persönlichen Geschichten eines Bauerndaseins in Kolumbien, die ein anderes Licht auf den kolumbianischen Bürgerkrieg werfen.Antonio García/Nicolás Bautista: Predigt und Patronen. Eine Geschichte der ELN-Guerilla in Kolumbien. Bahoe Books, 176 S., geb., 15 €.
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