Rentenfinanzierung: Abhängig vom Kapitalmarkt

WSI-Forscher Florian Blank über das Projekt »Generationenkapital« zur Rentenfinanzierung

  • Interview: Simon Zamora Martin
  • Lesedauer: 4 Min.
Die Börsenvorstände können sich, ebenso wie Großanleger, auch in Zukunft über das Geschehen auf dem Parkett freuen. Der durchschnittliche Rentner hat vermutlich weniger zu jubeln.
Die Börsenvorstände können sich, ebenso wie Großanleger, auch in Zukunft über das Geschehen auf dem Parkett freuen. Der durchschnittliche Rentner hat vermutlich weniger zu jubeln.

Anfang März präsentierten die Minister Hubertus Heil und Christian Lindner einen Gesetzesentwurf für eine neue Rentenreform. Wie bewerten Sie diesen?

Dass das Rentenniveau bis 2039 auf 48 Prozent stabilisiert werden soll, ist eine positive Entwicklung. Zwar wird damit die rot-grüne Rentenreform von 2001 nicht abgewickelt, aber ein zentraler Mechanismus zumindest zeitweise außer Kraft gesetzt: die Wirkung der Rentenanpassungsformel, die zu einem dauerhaften Absinken des Rentenniveaus führt.

FDP-Fraktionschef Christian Dürr hebt in dem Entwurf hingegen das »Generationenkapital« hervor. Wie sehen Sie das?

Das Kapitaldeckungsverfahren in der Rentenversicherung gab es schon unter Bismarck. Und es gibt gute Gründe, warum wir seit den 1950er Jahren das System im wesentlich krisenfesteren Umlageverfahren finanzieren. Im besten Fall bleibt das »Generationenkapital« ein kleines Add-on, das hoffentlich keinen Schaden macht.

Interview
WSI, Florian BlankFoto: Hans Böckler Stiftung

Florian Blank leitet seit 2009 das Referat Sozialpolitik des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der DGB-nahen Hans-Böckler-Stiftung. Der Politikwissenschaftler publizierte zu den Rentensystemen in Österreich und Deutschland.

Was ist die Idee des »Generationenkapitals«?

Die Idee des Referentenentwurfes ist es, mit dem »Generationenkapital« eine zusätzliche Finanzierungsquelle für die Rentenkassen zu erschließen, um die Rentenbeiträge perspektivisch etwas senken zu können. Der Staat will durch Schulden einen Kapitalstock aufbauen, um auf den Kapitalmärkten zu investieren. Die erhofften Einnahmen fließen in die Tilgung der Zinsen und der Rest in die Rente. Der Referentenentwurf prognostiziert, dass ab 2036 durchschnittlich 10 Milliarden Euro jährlich in die Rentenkassen fließen und damit die Beitragssätze um 0,4 Prozentpunkte gesenkt werden könnten.

Das klingt nach keiner großen Senkung der Lohnnebenkosten durch die Spekulation am Kapitalmarkt.

Im Gesetzgebungsverfahren wird noch zu klären sein, ob letztendlich die Beitragssätze das dynamische Element im Rentensystem bleiben werden oder ob der Bund bei Kapitalmarktschwankungen für einen stabilen Zuschuss sorgt. Aber es besteht natürlich die Gefahr, dass künftige Regierungen diese Kapitalmarktrenten ausbauen, was ich auch in Hinsicht auf internationale Beispiele als sehr problematisch betrachte.

Warum?

Manchmal wird angenommen, dass das Kapitaldeckungsverfahren zum Selbstläufer wird. Aber in Schweden, die ein Mischsystem aus Umlage- und Kapitalrente haben, wurden zwischenzeitlich Renten auf Grund der Entwicklung an den Kapitalmärkten gekürzt. Der Staat ist eingesprungen, um die Verluste auszugleichen. Die Politik wird sich immer wieder mit der Frage nach fairen und sicheren Renten beschäftigen müssen. Und mit der Anlage auf globalen Finanzmärkten gehen immer Risiken einher. Beim »Generationenkapital« wissen wir nicht, wer das Risiko trägt, wenn Anlagen an den Kapitalmärkte nicht den erhofften Gewinn bringen. Springt dann der Bund ein oder die Beitragszahler:innen?

Sind die Unsicherheit des Kapitalerhalts und die Renditen das einzige Problem?

Natürlich stellt sich allgemein die Frage, wie das »Generationenkapital« und die Anlagen demokratisch kontrolliert werden. Wollen wir, dass unsere Renten aus Gewinnen von fossiler Energie oder Rüstungsunternehmen stammen, die vieleicht auch Atomwaffen bauen? An welchen Stellen darf und sollte Politik Vorgaben machen, um Investmententscheidungen mitzugestalten? Beim »Generationenkapital« soll die Entscheidung über Investments von »Profis« getroffen werden, einem Vorstand, der durch ein Kuratorium begleitet wird. Aber wer kontrolliert die »Profis«? Im Referentenentwurf steht, dass in einer Anlagerichtlinie verankert werden soll, welche Umwelt- und Sozialstandards relevant für ein Investment sind. Zugleich soll renditeorientiert und global diversifiziert angelegt werden.

Aber bei all der Kritik an Kapitalrenten: viele junge Menschen und prekär Beschäftigte glauben schon heute nicht mehr daran, mehr als Grundsicherung im Alter zu bekommen.

Prekäre Lebensläufe führen zu geringen Renten und ein Alterssicherungssystem wird immer bis zu einem gewissen Grad die individuellen Lebensläufe widerspiegeln. Wie sich die Situation in Zukunft entwickelt, hängt natürlich von den Entwicklungen der Löhne und des Arbeitsmarktes ab. Da sehe ich die zentrale Stellschraube. Es ist außerdem eine politische Entscheidung, auf welche Ziele wir Rentenversicherung ausrichten und wie wir das finanzieren. Das deutsche Rentensystem zielt erst einmal auf Lohnersatz für Beschäftigte ab. Auch Kinderbetreuung wird in der Rente berücksichtigt. Wie wir mit längeren Phasen der Arbeitslosigkeit oder Solo-Selbstständigkeit umgehen wollen, müssen wir diskutieren.

Einkommensstarke Bürger, darunter auch die Abgeordneten, die über die Zukunft unserer Renten entscheiden, sind von der Beitragspflicht ausgenommen. Wäre es für die Zukunft der Renten nicht wichtig, dass auch die Reichen zahlen?

Österreich hat es geschafft, ein stabiles umlagebasiertes Rentensystem zu schaffen, in dem fast alle gleich behandelt werden, weil die Beitragspflicht dort auf fast alle Berufsgruppen erweitert wurde. Aber das ist natürlich ein heikles Thema, das mit einigem politischen Widerstand verbunden wäre.

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