Ein schlagender Beweis im Fall Yeboah, vielleicht

Im Prozess um rassistischen Mord an Samuel Yeboah wird Neonazi schwer belastet – wenn man dem Zeugen glauben könnte

  • Joachim F. Tornau, Koblenz
  • Lesedauer: 4 Min.
Kundgebung 2022 vor dem Eingang des Oberlandesgerichts, wo der Mordprozess begann.
Kundgebung 2022 vor dem Eingang des Oberlandesgerichts, wo der Mordprozess begann.

Der Mann, der an diesem Morgen auf dem Zeugenstuhl im größten Saal des Koblenzer Oberlandesgerichts Platz nimmt, hat seine ganz eigene Erklärung für den Tod von Samuel Yeboah. Dass der junge Ghanaer am 19. September 1991 beim Brandanschlag auf eine Geflüchtetenunterkunft in Saarlouis starb, wäre demnach kein Rassismus. Keine Folge der mörderischen Neonazi-Ideologie, der der im vergangenen Jahr als Täter verurteilte Peter Werner S. anhing. Vielmehr: Es lag an ihm, dem Zeugen.

»Mein Gedanke ist, die haben das gemacht, weil die einen Hass auf mich hatten«, sagt der 55-Jährige. Aus Frust, weil er damals gerade sein Tattoo-Studio eröffnet habe – aber als Mitglied der Rockerszene keine Neonazis habe tätowieren wollen. Eine »steile Theorie« nennt das Konrad Leitges, der Vorsitzende des Staatsschutzsenats Koblenz. Im Saal ist das eine oder andere vergeblich unterdrückte Grinsen zu erkennen.

Seit Februar verhandelt der Senat, der den früheren Neonazi-Skinhead Peter Werner S. im Oktober nach fast einjährigem Prozess als Mörder verurteilte, erneut über den gewaltsamen Tod von Samuel Yeboah. Angeklagt ist diesmal Peter St., der langjährige Anführer der Neonazi-Szene von Saarlouis. Der heute 54-Jährige soll seinen Freund und Kameraden bei einem Besäufnis am Abend zuvor zum Anschlag bewegt haben. Indem er, als das Gespräch auf die gerade begonnenen Pogrome von Hoyerswerda gekommen sei, sinngemäß gesagt habe: »Hier müsste auch mal so was brennen oder passieren.« Angeklagt hat das die Bundesanwaltschaft als psychische Beihilfe zum Mord. Es könnte aber auch als strafrechtlich schwerer wiegende Anstiftung gewertet werden.

Wenn es sich denn beweisen lässt. Weil der dritte Neonazi, der damals in der Kneipe dabei war, seine belastende Aussage vor Gericht abschwächte, wurde Peter St. bereits aus der Untersuchungshaft entlassen. Glaubt man dem Zeugen mit der eigenwilligen Mordtheorie, dann gibt es jedoch noch einen weiteren Hauptbelastungszeugen: Im vergangenen Sommer, erzählt der Mann, habe ihm ein altgedientes Szene-Mitglied bestätigt, dass der fragliche Satz im »Bayrischen Hof« gefallen sei. Mehr noch: »Es wurde auch über den Brandsatz geredet. Wer was besorgt.« Das wäre, wenn es stimmen würde, so etwas wie die »smoking gun«, also ein schlagender Beweis. Aber kann man dem Mann glauben?

Den Auftritt des Zeugen wortreich zu nennen, ist noch untertrieben. Wo sich einstige Angehörige der rechten Szene einsilbig auf Erinnerungslücken berufen oder ihre Vergangenheit schönzufärben versuchen, würde der arbeitslose Ex-Tätowierer, so wirkt es, am liebsten seine gesamte Lebensgeschichte ausbreiten. Im Mittelpunkt zu stehen scheint ihm nicht direkt unangenehm zu sein. Wird er bei Widersprüchen erwischt, erzählt er eben etwas anderes. Der rechte Aktivist, der ihm die Geheimnisse über den Kneipenabend vor mehr als 30 Jahren verraten haben soll, dagegen schweigt. Im Prozess gegen Peter Werner S. hat er die Aussage verweigert. Um sich nicht selbst belasten zu müssen.

Mangels des einen großen und klaren Beweises müht sich das Gericht derweil um Indizien. Um die Führungsrolle von Peter St. in der Saarlouiser Szene geht es, um seine Befehlsgewalt und die Abhängigkeit seines Freundes Peter Werner S. Und dann ist da noch die Frage, ob die saarländischen Neonazis im Vor-Internet-Zeitalter überhaupt schon wissen konnten, dass in Hoyerswerda Molotow-Cocktails auf ein Wohnheim von Vietnamesinnen geworfen wurden, als sie an jenem Abend in der Kneipe saßen.

Das Gericht bezweifelt das. Für die Anwältinnen, die mehrere Überlebende von Saarlouis vertreten, kommt es darauf allerdings gar nicht an. Sie glauben, dass sich das Gespräch in Wahrheit um den 31. August 1991 und um Leipzig-Grünau drehte. Auch da hatte ein brauner Mob randaliert, waren Brandsätze geflogen. Und nicht nur hatte eine Fernsehreportage kurz vor dem Kneipenabend ausführlich darüber berichtet. Bei Heiko S., dem Hauptbelastungszeugen, der vor Gericht keiner mehr sein wollte, wurde auch eine mit Reichsadler und Reichskriegsflagge dekorierte Einladung zu einem »Skintreffen« in Leipzig gefunden. Für eben diesen 31. August 1991.

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