EU-Asylrechtsverschärfung: Gegner wollen nicht aufgeben

Aktivist*innen des Stop-GEAS-Bündnisses über ihre Wut und Enttäuschung nach dem EU-Asylbeschluss und Pläne für die Zukunft

  • Interview: Alieren Renkliöz
  • Lesedauer: 4 Min.
Kundgebung gegen die GEAS-Reform am 10. April 2024 auf dem Place de Luxembourg in Brüssel.
Kundgebung gegen die GEAS-Reform am 10. April 2024 auf dem Place de Luxembourg in Brüssel.

Ihre Gruppe von rund 40 Demonstrant*innen ist aus Süddeutschland angereist, um in Brüssel gegen die Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) zu protestieren. Jetzt ist die Entscheidung gefallen. Das Gesetzespaket kommt. Wie haben Sie diesen Tag erlebt?

Cassandra Keskin: Sehr aufregend, aber auch sehr anstrengend. Einfach, weil wir so lange unterwegs waren, wir waren seit vier Uhr morgens wach. Die Entscheidung war für mich wenig emotional, weil ich selbst schon lange darauf eingestellt war, dass genau das kommen wird. Das heißt, diese Enttäuschung und auch diese Wut, die habe ich schon lange davor gespürt. Und die habe ich auch heute gespürt nach der Abstimmung, aber es war keine Überraschung mehr. Ich bin aber trotzdem sehr froh, dass wir hier sind, weil wir alles probieren, um noch irgendwas zu verändern.

Interview

Aktivist*innen des Stop-GEAS-Bündnisses haben Öffentlichkeit gegen die Abschaffung des individuellen Rechts auf Asyl durch die an 10. April beschlossene Verschärfung des EU-Asylsystems. Im Interview erzählen Cassandra Keskin, Sophie Hirth, Karina Wasitschek und Martin Kahabka, wie sie den 10. April vor dem EU-Parlament in Brüssel erlebten.

Die Abwehr schutzsuchender Menschen wird Gesetz. Wie gehen Sie als Aktivist*innen mit dieser Niederlage um?

Martin Kahabka: GEAS ist jetzt durch, aber auf ganz vielen nationalen Ebenen kommen noch mehr Verschärfungen. In Deutschland ist beispielsweise eine der krassesten Entwicklungen die Bezahlkarte für Geflüchtete. Ich gehe so wie immer mit Rückschlägen um: Worauf müssen wir uns jetzt fokussieren? Diese Frage müssen wir beantworten. Wie kann unsere Arbeit jetzt weitergehen und wo können wir weiter dagegen ankämpfen, sodass es eben nicht zu noch mehr Verschärfungen kommt und wir sogar Verbesserungen erreichen können.

Es gab einen Zwischenfall mit der Polizei. Sie wurden daran gehindert, sich vor dem EU-Parlament aufzuhalten, Ihre Personalien wurden erfasst. Was ist da passiert?

Sophie Hirth: Die Kundgebung fand auf dem Place de Luxembourg statt. Ich hab den mit einer Freundin verlassen und wir sind ein bisschen rumspaziert auf dem Platz vor dem EU-Parlament. Dann kamen plötzlich zwei Polizisten, das ging sehr schnell. Die meinten, wir müssten den Platz verlassen, es sei verboten, dass wir uns dort aufhalten, wenn wir wegen der Kundgebung da seien. Ich habe dann mehrfach gefragt, auf welchem Gesetz diese Vorschrift beruht. In der Zwischenzeit waren es schon sechs Polizisten. Statt Erklärungen zu geben, haben sie unsere Ausweise kontrolliert und uns damit gedroht, dass wir festgenommen werden würden. Es gab auch andere Demonstrant*innen, die heute an ihrer Bewegungsfreiheit gehindert wurden.

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Was bleibt aus der Arbeit des Bündnisses gegen die Verschärfung der Gemeinsamen Asylpolitik der EU?

Cassandra Keskin: Wir haben Vernetzungen mit vielen verschiedenen Gruppen geschaffen, auch überregional und international. Und auch ins Parlament hinein zu den Abgeordneten der europäischen Linken, die eine eigene Arbeitsgruppe gegen die Reform gegründet hatten. Wir wären total aufgeschmissen gewesen, ohne einen Kontakt direkt ins EU-Parlament, weil es wirklich extrem intransparent ist, was dort passiert. Es war für uns tatsächlich auch gar nicht so einfach rauszufinden, ob das Ganze in Brüssel oder Straßburg entschieden wird. Da gibt es ja immer beide Optionen. Nur durch den direkten Kontakt zu den linken Parlamentarier*innen konnten wir sicherstellen, dass wir zur richtigen Zeit am richtigen Ort sind.

Der 10. April verdeutlicht: Bei der Verteidigung von Menschenrechten kann man nicht auf das EU-Parlament setzen. Welche außerparlamentarischen Wege gibt es jetzt noch?

Karina Wasitschek: Wir machen uns Gedanken darüber, wie wir mit der Bezahlkarte umgehen werden und eine solidarische Praxis finden, dass Menschen nicht eingeschränkt werden in ihrem lebensnotwendigen Konsum. Wir wollen nicht, dass diese Menschen infantilisiert und entrechtet werden. Zudem: Das GEAS ist eine Verordnung, und die braucht zwei Jahre bis zur Umsetzung in nationales Recht der EU-Mitgliedsstaaten. Bis 2026 ist noch eine Menge Zeit. Selbst wenn wir dieses Gesetz nicht kippen können, sind wir alle Teil einer größeren Bewegung, und wir dürfen nicht aufgeben. Sondern wir müssen gucken, dass wir am Ende unseres Lebens sagen können: Ich hab was gemacht. Als es schlimmer wurde, habe ich weitergemacht.

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