Produktion zwischen Überfluss und Mangel: Wie viel ist genug?

Die Gesellschaft muss gemeinsam aushandeln, wie wir produzieren und konsumieren wollen, um ein gutes Leben für alle zu ermöglichen

  • Melanie Jaeger-Erben
  • Lesedauer: 3 Min.
Ökologisch und gesundheitlich fragwürdig: Einweg-E-Zigaretten, die vor allem bei Jugendlichen beliebt sind
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Es gibt ein Wort, das bei Vertreter*innen von Politik und Wirtschaft regelmäßig zu Angstschweiß, Zornesröte oder abschätzigem Augenrollen führt: Suffizienz. Vom lateinischen Verb sufficere abgeleitet – also ausreichen oder genügen –, wurde es in den Nachhaltigkeitsdiskurs eingeführt, um der ewig drohenden Rebound-Falle von Effizienzstrategien zu entkommen. Denn immer, wenn Technik verbessert wird, um Ressourcen besser zu nutzen – wie durch benzinsparende Motoren –, kann es dazu kommen, dass geringere Kosten der Nutzung zu intensiverem Konsum anregen und dadurch die positiven Effekte verpuffen.

Da macht es Sinn, am Bedarf anzusetzen und darüber nachzudenken, wieviel Mobilität wofür gebraucht wird und wie sich dieser Bedarf durch Änderung von Verhalten (weniger weit reisen?) oder Strukturen (mehr Homeoffice ermöglichen?) verringern lässt. Diese sinnvolle, im besten Sinne bedarfsökonomische Strategie hat sich jedoch durch populistischen Gegenwind zu einem regelrechten Reizwort entwickelt. Suffizienz wird pauschal mit Verzicht, Verbot und einer dogmatischen Vorschriftspolitik gleichgesetzt, sodass selbst sozial-ökologisch orientierte Politiker*innen bei dem Thema abwinken oder eingeschränkte Hörfähigkeit demonstrieren.

Melanie Jaeger-Erben

Prof. Melanie Jaeger-Erben lehrt Technik- und Umweltsoziologie an der Brandenburgischen TU Cottbus-Senftenberg.

Der Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU) hat sich nun in einem aktuellen Diskussionspapier aufgemacht, Suffizienz als ernstzunehmende Nachhaltigkeitsstrategie zu rehabilitieren. Dabei führt er die Diskussion weg von der problematischen Reduktion auf individuelle Lebensstile und betont die Notwendigkeit strukturellen und kulturellen Wandels, zum Beispiel hin zu vorsorgeorientiertem Wirtschaften oder stärkerer Verantwortungsübernahme derjenigen, die überproportional viele Ressourcen verbrauchen.

Das SRU-Papier setzt der öffentlichen Denunziation und politischen Marginalisierung von Suffizienz etwas entgegen. Dabei wird nicht vorgegeben, was »genug« heißt, oder kleinlich vorgerechnet, auf wie viele Schnitzel oder Autokilometer pro Jahr jede*r Einzelne verzichten muss. Vielmehr wird zum Dialog eingeladen; die Thesen des Papiers sind informativ und als Vorschläge und Inspiration formuliert. Anders geht es auch nicht, denn was genug ist, lässt sich nur gesellschaftlich aushandeln, in einer grundlegenden Debatte über Ressourcennutzung, Produktion und Konsum.

Permanent werden wir mit Bullshit-Innovationen wie Neonschnürsenkel mit integrierten LEDs, Einweg-Powerbanks oder Rührei aus der Dose marketingterrorisiert. Was spricht in solchen Zeiten dagegen, ernsthaft und gemeinsam darüber nachzudenken, ob wir die endlichen Ressourcen wirklich so einsetzen wollen. Für diejenigen, die bereits jetzt zu wenig haben, ist suffizienzorientierte Politik das Beste, was passieren kann. Denn eine »Strategie des Genug« bedeutet im Idealfall, dass weder Überschuss produziert wird noch Mangel herrscht.

Das ist fraglos ein herausforderndes, enorm komplexes Unterfangen. Aber die Menschheit hat es ja auch geschafft, ein globales Ökosystem (im schlechtesten Sinne) nachhaltig umfassend zu verändern und ein unfassbares Ausmaß an (schlecht verteilter) Macht und menschengemachter Masse zu akkumulieren. Warum dann plötzlich bescheiden werden, wenn es um ein gutes Leben für alle geht?

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