Hitzeschutz: Müssen wir Dreck in die Atmosphäre pusten?

Dr. Steffen Schmidt spricht über den Temperaturanstieg in Europa, seine Ursachen und die Aussichten für die nächsten Jahrzehnte

Aus neuen Umweltdaten geht hervor, dass sich Europa zuletzt doppelt so schnell aufgeheizt hat wie andere Kontinente. Liegt das daran, dass wir etwa in Mitteleuropa bisher vergleichsweise verschont waren?

Es beschleunigt sich tatsächlich stärker. Das hat auch mit der geografischen Lage zu tun. Und dank dem warmen Golfstrom kommen wir schneller in kritische Temperaturbereiche, sobald es global heißer wird.

Müssen wir uns mit dem Gedanken vertraut machen, in absehbarer Zeit riesige Umweltverwüstungen zu erleben?

Nicht so wie in Bangladesch, denn solche Flüsse wie den Brahmaputra haben wir nicht im Angebot. Aber extreme Wetterlagen werden mit Sicherheit häufiger. Also in relativ kurzer Zeit in ziemlich benachbarten Gebieten extreme Trocknheit und dann wieder extreme Niederschläge. Problematisch ist das in Europa vor allem für die südlichen Länder. Auch, weil dort die weiter aus dem Norden kommende Stadtarchitektur übernommen wurde.

Zum Beispiel?

Hochhäuser mit verglasten Fronten sind keine gute Idee in einer Gegend mit über 40 Grad im Sommer. Dann hast du einen gigantischen Energieverbrauch durch Klimaanlagen, deren Energie oft noch aus fossilen Quellen kommt. Aber das gilt natürlich nur für Leute, sie es sich leisten können. Die vielen weißen Hauswände in südlichen Gegenden hatten schon ihren Sinn, die reflektieren auch die Infrarotteile des Sonnenlichts.

Bei der Klimaerwärmung gibt es Rückkopplungseffekte. Zum Beispiel: Der Boden trocknet aus, das gibt weniger Wolken, es wird noch heißer. Wie kommt man aus dieser Spirale raus?

Schwierig. Ein paar Sachen sind fürs Erste wohl unumkehrbar. Wenn man sieht, wie wenig Schnee es in Wintersportgebieten gibt, wie Gletscher schmelzen – das waren mal große helle Flächen, die Sonnenlicht reflektiert haben.

Müssen wir mit einer Wasserknappheit wie in Südeuropa rechnen?

Nicht in dem Maß, denn bei uns bringen die Luftströmungen vom Atlantik immer noch eine Menge Niederschläge. Anders als in Regionen, die durch Gebirge davon abgeschirmt werden.

Zwei Drittel von Europas Flüssen haben tendenziell zu wenig Wasser. Versiegen die Quellen, weil es zu wenig regnet?

Und zu wenig schneit. Da kommen zwei Sachen zusammen. Einmal weniger Niederschlag. Und dann schmelzen die Gletscher ab und können sich im Winter nicht mehr regenerieren. Viele Flüsse kommen ja aus dem Hochgebirge. Kann sein, dass irgendwann die großen Flüsse aus den Alpen oder Pyrenäen im Sommer kaum noch Wasser führen, dafür zu anderen Zeiten Hochwasser bringen. Es wird unangenehm wechselhaft.

Ein grotesker Effekt: Wahrscheinlich begünstigt saubere Luft die Erwärmung, weil der Dreck nicht mehr so stark die Einstrahlung filtert. Könnte es ein Konzept sein, Partikel in die Atmosphäre zu blasen?

Solche Ideen gab es schon. Ein Projekt an der Harvard University fand ein jähes Ende, weil der leitende Wissenschaftler wegging. Und weil die Menschen in Nordskandinavien, wo man Kalkstaub in die Hochatmosphäre pusten wollte, protestiert haben. War vielleicht auch besser so. Denn wir sind relativ gut darin, Dinge mit unseren Reparaturmaßnahmen noch schlimmer zu machen.

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