Berliner Linke: Frei Schnauze nicht das Gelbe vom Ei

Sozialisten bei Landesparteitag stellenweise stotternd, aber insgesamt stabil

Mit Herz und Schnauze: Der Linke-Landesvorsitzende Maximilian Schirmer spricht beim Parteitag.
Mit Herz und Schnauze: Der Linke-Landesvorsitzende Maximilian Schirmer spricht beim Parteitag.

»Mit Herz und Schnauze: Eine Stadt für alle!« Das ist die Überschrift des Leitantrags, den die Berliner Linke am Samstag im Hotel Andel’s beschließt. Passend dazu weicht der Landesvorsitzende Maximilian Schirmer von seinem Redemanuskript ab und formuliert frei Schnauze deftiger als geplant, wie sauer es ihn mache, wenn eine Familie für die Heizkostennachzahlung ihre gesamten Ersparnisse aufbrauchen musste und die CDU, statt solchen Menschen zu helfen, über Magnetschwebebahnen fasele. »Das sind 250 Millionen Euro, die der Scheiß kosten soll.«

Der Leitantrag behandelt soziale Fragen wie die Wohnungsnot in der Hauptstadt, aber in Verbindung damit auch ein außenpolitisches Thema: »Wir bleiben die einzige Partei, die sich für Frieden und für internationale Solidarität einsetzt, was wir mit dem Anspruch verbinden, Menschen in Not in Berlin ein Zuhause und eine Perspektive zu geben.« So lautete im Entwurf ein Satz, der auf Vorschlag aus der Kommunistischen Plattform heraus ergänzt wird um die Klarstellung, dass die Berliner Linke »gegen Waffenlieferungen« sei.

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Dass dies im Landesverband nicht für jeden selbstverständlich ist, zeigt eine Wortmeldung des Ex-Abgeordneten Michael Efler in der Generaldebatte. Die Ukraine brauche dringend Luftabwehrsysteme, um sich gegen den russischen Angriff zu verteidigen, sagt er. Wer die nicht liefern wolle, stehe »nicht auf der richtigen Seite der Barrikade«. Die Linke lehnt Rüstungsexporte in Kriegsgebiete bekanntlich ab. Aber Efler findet, sein Standpunkt sei »eine absolut vertretbare linke Position«.

Die Generaldebatte endet unabhängig davon mit einer Enttäuschung für die Abgeordnete Elif Eralp. Die Politikerin darf zwar selbst noch sprechen, weil ihre Rede um 12.30 Uhr am Ende des Zeitfensters schon angesagt war. Doch zwei Versuche, mehr von Rassismus betroffene Genossen zu Wort kommen zu lassen, scheitern zum Bedauern von Eralp. Abgelehnt wird der Vorschlag ihres Fraktionskollegen Ferat Koçak, eine Quotenregelung für migrantische Stimmen zu beschließen. Dieser Vorschlag bekommt nicht die für eine Änderung der Geschäftsordnung nötige Zweidrittelmehrheit. Ebenfalls abgelehnt wird eine Verlängerung der Aussprache um 30 Minuten.

Zwar gibt es erstmals neben einem Frauenplenum auch ein Plenum für die Migranten unter den Delegierten. Aber da besprechen sie sich untereinander. Das ist etwas anderes. Tröstlich für die Berliner Linke: Sie erhält Lob von Ferda Ataman, der Bundesbeauftragten für Antidiskriminierung. Während neun Bundesländer noch immer keinen solchen Landesbeauftragten ernannten, habe Berlin da eine Vorreiterrolle übernommen, und das sei nicht zuletzt der Linken zu verdankten, die hier bis April 2023 mitregiert hatte. Ataman sagt als Gast beim Parteitag: »Mein Job ist es, in andere Bundesländer zu gehen und zu sagen: So soll es aussehen.«

Beim emotionalen Thema migrantische Stimmen »schon traumatisiert«, wie sie sich entschuldigt, gerät Tagungsleiterin Martha Kleedörfer durcheinander und verspricht sich. Sie will aus Versehen erst abstimmen lassen, nicht ob die Generaldebatte verlängert wird, sondern die Mittagspause.

Auch der Bundesvorsitzende Martin Schirdewan gerät durcheinander. Er muss von hier aus weiter zu einem Termin in Gera, wo er einem AfD-Kandidaten für die Europawahl »Paroli bieten will«. Im Stress verhaspelt sich Schirdewan, als er AfD, CDU und die Wagenknecht-Partei BSW kritisieren will. Er vermengt die drei Sprachbilder »das Blaue vom Himmel versprechen«, »nicht das Gelbe vom Ei« und »jemandem ein X für ein U vormachen« derart, dass es keinen Sinn ergibt. Schirdewan nimmt es mit Humor und verspricht zu üben, damit es beim nächsten Mal klappt.

Schmunzeln muss Berlins Linksfraktionschef Carsten Schatz, als er über die Bilanz von einem Jahr Schwarz-Rot spricht. »Die Richtung stimmt«, hatte der Regierende Bürgermeister Kai Wegner (CDU) behauptet. Dazu stellte die Senatskanzlei allerdings ein Foto auf den Treppen des Roten Rathauses, auf dem es für Carsten Schatz so aussah, als verlasse Wegner das Rathaus. Insofern stimmt die Richtung aus Sicht des Linksfraktionschefs wirklich. Denn die Partei von Carsten Schatz möchte Wegner bei der Abgeordnetenhauswahl 2026 ablösen.

Die jüngste Umfrage prognostiziert der Berliner Linken zehn Prozent. Bei der Wahl im Februar 2023 hatte sie zwar noch 12,2 Prozent erhalten. Aber seitdem spaltete sich die Wagenknecht-Partei ab, der jetzt in Berlin sechs Prozent vorhergesagt werden. Die Delegierte Elisabeth Wissel mahnt an, sich im Wahlkampf als linke Partei zu behaupten und nicht als »Zwillingsschwester der Grünen« wahrgenommen zu werden. Dazu sollte die Friedenspolitik immer wieder angesprochen werden, schlägt Wissel vor.

Das heikle Thema Nahost räumen 68 Delegierte ab, indem sie beschließen, dass alle drei dazu vorliegenden Anträge des Landesvorstands sowie der Bezirksverbände Neukölln und Mitte hier nicht behandelt werden. Die Anträge der Bezirksverbände hatten die Militärschläge Israels im Gazastreifen als Völkermord an den Palästinensern bezeichnet. Der Landesvorstand forderte einen Stopp des Tötens, ohne es selbst Völkermord zu nennen. 49 Delegierte stimmen vergeblich gegen die Nichtbefassung und zehn enthalten sich. Ihre Zerrissenheit zeigt die Delegierte Ellen Brombacher: »Es gibt nicht nur die Keule Antisemitismus, es gibt auch den realen Antisemitismus.« Brombacher bedauert die Nichtbefassung: »Es hätte notgetan, hier eine Haltung zu zeigen.«

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