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Landwirtin Bar-Tal: »Die Menschen fühlen sich im Stich gelassen«

Landwirtin Julia Bar-Tal erklärt, wie der ländliche Raum vernachlässigt wird und wie bäuerliche Solidarität in Kriegszeiten aussehen kann

  • Interview: Tanja Tabbara
  • Lesedauer: 8 Min.
Nidal Ahmads Olivenhain lag in der Nähe eines Militärlagers in Syrien. Jahrelang konnte er keine Ernte einbringen. Als er im Dezember zurückkehrte, um nach seinem Land zu schauen, trat er auf eine Landmine und verlor einen Fuß.
Nidal Ahmads Olivenhain lag in der Nähe eines Militärlagers in Syrien. Jahrelang konnte er keine Ernte einbringen. Als er im Dezember zurückkehrte, um nach seinem Land zu schauen, trat er auf eine Landmine und verlor einen Fuß.

Was bauen Sie auf Ihrem Hof auf?

Als Landwirtin bewirtschafte ich große Grünlandflächen mit Weidetieren und spanne gerne Arbeitspferde ein. Im Grünland bin ich also auf größeren Flächen unterwegs, auf dem Acker und im Garten auf kleinteiligen. Hier an meiner neuen Hofstelle entsteht ein Gemüsegarten und ein gastfreundliches Haus.

Wofür steht Ihr Projekt?

Politisch stehe ich für die Vielfalt der Brandenburger Betriebe ein, für große wie für kleine. Wichtig ist mir, dass wir Bauern und Bäuerinnen unterstützen und nicht Konzerne und Investor*innen. Wenn ich im Moment schaue, was in Deutschland passiert, habe ich das Gefühl, dass wir in einer immer stärker polarisierten Gesellschaft leben: Landwirtschaft wird gegen Naturschutz ausgespielt oder die Biolandwirtschaft gegen die konventionelle Landwirtschaft. Zunehmend spürt man, dass Menschen so unter Druck stehen, sich verteidigen und abgrenzen müssen und oft nicht mehr in der Lage sind, miteinander ins Gespräch zu kommen. Daher soll dieser Hof auch ein Ort des Austauschs werden.

Interview


Julia Bar-Tal ist Landwirtin mit eigenem Betrieb in Brandenburg, Agrarreferentin, Aktivistin. Sie engagiert sich seit vielen Jahren in der internationalen Solidaritätsbewegung und hat in Syrien während des Krieges 2015 ein Netzwerk zu Ernährungssouveränität mitgegründet. Sie beschäftigt sich praktisch, politisch und wissenschaftlich mit Agrarökologie; ihr Hof wird Stück für Stück zum Treffpunkt für diese Themen.

Sie haben ein Projekt gestartet, das auf Solidarität und Gastfreundschaft setzt. Wie gelingt das in Brandenburg, wo bei der letzten Bundestagswahl rund 40 Prozent der Wähler*innen für die AfD gestimmt haben?

Mich hat das Wahlergebnis nicht überrascht. Leider. Ich komme aus dem ländlichen Raum und bin natürlich auch solidarisch mit meinem Berufsstand. Also lasse ich es nicht zu, dass alle über einen Kamm geschoren werden. In vier Jahren Geschäftsführung der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL Nordost) habe ich unsere Bauern und Bäuerinnen mit Herz und Leidenschaft und in all ihren Unterschieden vertreten und trete immer für die Solidarität und die Empathie mit den Leuten hier ein. Viele von ihnen haben ja nicht rechts gewählt, die werden leicht übersehen.

Es gibt manchmal eine Art, wie der urbane Raum uns Menschen aus dem ländlichen Raum behandelt, die mir nicht gefällt. Wir produzieren hier alles, was eine Stadt braucht, und haben keinerlei Privilegien, um es mal zuzuspitzen. Also die Energie oder auch fast jedes Lebensmittel, was die Menschen in der Stadt konsumieren, wird hier geschaffen. Und es bleibt so gut wie nichts von der Wertschöpfung in der Region. Diese Strukturfragen werden nur selten gestellt und diskutiert.

Was braucht es denn für Strukturen auf dem Land?

Es hat ja Konsequenzen, wenn wir diese Regionen nicht entwickeln. Wenn das allerdings von oben nach unten geschieht, also über die Köpfe der Leute hinweg, dann fühlen sich Menschen im Stich gelassen. Wir brauchen soziale Infrastruktur, wir brauchen Austausch, wir brauchen Leute, die mit der notwendigen Offenheit herkommen. Wir müssen aber auch Geld verdienen mit dem, was wir hier machen. Wenn wir nicht davon leben können, wenn Betriebe insolvent gehen, wenn Leute nur beschissene Jobs machen, die sie frustrieren, mit schlechter Bezahlung, dann ist das natürlich ein Riesenproblem. Natürlich brauchen wir eine kritische und widerständige Auseinandersetzung, wenn Leute für furchtbare Dinge eintreten, aber ich denke, dass Kritik besser ankommt, wenn sie aus einer solidarischen Basis heraus geäußert wird.

Wie kamen Sie als Landwirtin in Brandenburg zur internationalen Solidaritätsarbeit?

Egal, ob ich hier in Brandenburg agrarpolitisch tätig bin oder in Syrien oder in anderen Ländern Bauern und Bäuerinnen unterstütze, kann und will ich das nur aus meiner bäuerlichen Identität heraus machen. Als Landwirt oder Landwirtin verbindest du dich mit dem Ort, mit dem Klima, mit dem Boden. Wenn dir das Land verloren geht, löst das eine Identitätskrise aus. Das ist nicht einfach ein Job oder ein Wohnort, den ich dann wechsle.

Für Leute in Ländern, die von Krieg, Konflikt und Vertreibung betroffen sind, ist das Ausmaß der Gewalt natürlich noch viel schwerwiegender. Durch meine Identität als Bäuerin und meine Liebe und Empathie, ist es für mich irrelevant, ob es der Landwirt in Brandenburg ist, die Landwirtin in Bayern oder in Syrien oder dem Libanon, mit denen ich mich solidarisiere. Die Welt kann sehr grausam gegenüber Bauern und Bäuerinnen sein, und wir gleichen uns doch oft, in unserem Leiden aber eben auch in unseren Stärken. Und es geht dabei auch um Landlose, wie zum Beispiel migrantische Arbeiter*innen oder Saisonarbeiter*innen, oder eben auch Gartenaktivist*innen, die zum Beispiel in Syrien in den Städten Netzwerke für Ernährungssouveränität aufgebaut haben.

Sie waren bei der Gründung des Netzwerkes »15th Garden« in Syrien dabei. Wie ist das Netzwerk entstanden?

Es ist das erste Netzwerk zur Ernährungssouveränität in Syrien. Wir haben uns das erste Mal am 15. März 2014 getroffen, das ist der Jahrestag der syrischen Revolution 2011. »15th Garden« ist der Garten, in dem Selbstbestimmung, Freiheit und Würde, also alle Forderungen der syrischen Revolution, symbolisch wachsen sollten. Und zwar für alle Menschen in Syrien. Das Netzwerk hat sich in kürzester Zeit in alle Regionen des Landes ausgebreitet.

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Was bedeutet Krieg für kleinbäuerliche Strukturen?

Ich glaube, wir waren das erste Netzwerk, das Strategien zur Verteidigung der Ernährungssouveränität in Kriegszeiten entwickelt hat. Nehmen wir als Beispiel den Irakkrieg, wo 2003 mit der Bombardierung der Saatgutbank, aber auch mit der später oktroyierten Verfassung und den Gesetzen zu Saatgut die bäuerlichen Strukturen zerstört wurden. Für Landwirt*innen hieß das, dass ihr Saatgut, was jedes Jahr in die Erde kommen muss, nicht weiter vermehrt wurde. Es ging damit unwiederbringlich verloren. Das Gleiche gilt für Obstbäume, für Beeren, die niedergebrannt, ausgerissen, niedergeschnitten wurden oder die einfach eingingen, weil sie nicht gepflegt wurden. Die sind dann für immer weg. In Afghanistan haben 40 Jahre Krieg zur kompletten Vernichtung von bäuerlichen Strukturen geführt.

Wer profitiert vom daraus folgenden Hunger in Kriegszeiten?

Der Wiederaufbau oder die Vereinnahmung der zukünftigen Märkte wird ja oft schon während des Krieges entschieden und gestaltet. Nothilfe kann in Form von Lebensmittelpaketen geleistet werden. Wenn aber Verkehrswege dicht sind oder die internationale Gemeinschaft entscheidet, nicht zu liefern, dann kann es zu Hunger kommen. Oftmals werden auch Lieferungen gezielt verhindert und Hunger als Waffe eingesetzt. Das haben wir in Syrien gesehen, das sehen wir auch in anderen Regionen. Jetzt verrecken die Leute in Gaza, während die Lkws vor der Grenze stehen.

Im Netzwerk in Syrien hatten wir Strategien entwickelt, dass Menschen trotz der Konflikte weiter anbauen können. Man hat aber im Laufe des Krieges so viel Gewalt über das Land ausgeschüttet und damit auch das Netzwerk in Syrien ausradiert. Das Wissen konnte man den Leuten allerdings nicht nehmen. Das Netzwerk hat sich dann wie ein Geschenk an die Welt in anderen Ländern der Region weiterentwickelt. Ich hoffe sehr, dass Syrer*innen jetzt, wo noch nicht ganz klar ist, wie die Entwicklung weitergeht, auch wieder daran anknüpfen können.

Wie haben Sie in dem Netzwerk die Menschen in Syrien unterstützt?

Wir haben zum Beispiel Saatgut dorthin gebracht. Wenn ich jetzt sage »wir«, dann meine ich ein syrisches Netzwerk. Die Arbeit wurde von den Menschen vor Ort gemacht, aber es kamen immer wieder Unterstützer*innen hinzu. Das Brückenbauen wurde eine meiner solidarischen Aufgaben, zum Beispiel, wenn Saatgut oder bestimmte Informationen zu einem Agrarthema gebraucht wurden. Durch Jahrzehnte der Diktatur hatten die Syrer*innen nicht diese Beziehungen zu internationalen Netzwerken. Ähnlich wie in Deutschland hat nämlich auch in Syrien eine Industrialisierung der Landwirtschaft stattgefunden und ebenso eine Urbanisierung, wo ganze Generationen gar keine Ahnung mehr haben, wie man eigentlich Lebensmittel produziert. In dem Netzwerk wurde dann das Wissen entwickelt und verbreitet, zum Beispiel was hybrides, gentechnisch verändertes oder samenfestes Saatgut bedeutet. Die Menschen hatten gar keinen Zugang mehr zum eigenen Saatgut. Das Wissen darüber, wie man eigenes Saatgut vermehrt, geht dann über ein, zwei Generationen verloren.

Wie wurden in dem Netzwerk Entscheidungen getroffen?

Es ging im Netzwerk immer darum, für die jeweilige Situation passende Lösungen zu finden. Es hat sich ja nicht jemand in einem Büro überlegt, was das Richtige für die Leute ist, sondern wir haben uns getroffen und jede*r hat die eigenen Herausforderungen vorgestellt, und für jeden Ort wurde dann gemeinsam eine eigene Strategie entwickelt. Das galt auch für die Vermarktung oder die Verteilung von Lebensmitteln. Zum Beispiel wurden durch Nothilfe Essenspakete in Regionen gebracht, wo Bauern und Bäuerinnen immer noch produzierten. Für viele sind dann die lokalen Absatzmärkte kollabiert. Da brauchte es eine Vermarktung, dass Lebensmittel nicht einfach gratis verteilt werden, sondern dass man Strategien zusammen mit den lokalen Räten und den Gemeinden entwickelte, um wieder einen Kreislauf zu schaffen, an dem Menschen sich beteiligen konnten.

Wie ergeht es den Bauern und Bäuer*innen aus dem Netzwerk? Viele mussten ja selbst fliehen und kehren jetzt auf ihre Höfe zurück.

Ich sehe riesige Herausforderungen, vor denen die Bauern und Bäuerinnen jetzt in Syrien stehen. Manche Freunde von unseren Leuten aus dem Netzwerk von »15th Garden« sind nach dem 8. Dezember zurückgekehrt in ihre Dörfer, zum ersten Mal seit Jahren. Und sie finden ihr Zuhause als Geröllhalde vor oder als nackte Bauruine, weil alles geplündert wurde. Es gibt kein Stromkabel, kein Wasser, keine Infrastruktur mehr und auch keinen einzigen Baum. Die Menschen müssen sich aus dem Nichts heraus neu erfinden. Ihre Hoffnung braucht unsere Solidarität.

Wir brauchen soziale Infrastruktur, wir brauchen Austausch, wir brauchen Leute, die mit der notwendigen Offenheit herkommen.

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