Bezahlkarte für Geflüchtete: »25 Euro Taschengeld sind mau«

Die Linke kritisiert die Bezahlkarte für Geflüchtete, aber ihr Oberbürgermeister in Frankfurt (Oder) und ihre Landrätin führen sie ein

Eine Bezahlkarte wird in einer Außenstelle des Sozialamtes Märkisch-Oderland präsentiert.
Eine Bezahlkarte wird in einer Außenstelle des Sozialamtes Märkisch-Oderland präsentiert.

Ob auch der Oberbürgermeister von Frankfurt (Oder) die Absichtserklärung zur Einführung der umstrittenen Bezahlkarte für Geflüchtete im Land Brandenburg unterschreiben wird? »Ich habe schon unterschrieben«, gesteht René Wilke (Linke) dem »nd«. Er weiß: »Das wird meiner Partei nicht gefallen.«

Dabei weicht seine Meinung gar nicht so sehr von der Parteilinie ab. Denn der 39-Jährige hält genauso wie Brandenburgs Linksfraktion die Bargeldsumme, die Flüchtlinge künftig abheben dürfen, für zu gering. Mit den neuen Bezahlkarten sollen Geflüchtete ihre Einkäufe im Laden elektronisch bezahlen. Sie dürfen als Erwachsene nur noch 50 Euro für sich selbst und je 25 Euro für jedes ihrer minderjährigen Kinder abheben. So sieht es die Absichtserklärung vor, die am 14. Mai von Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) unterzeichnet wurde und sofort auch von Siegurd Heinze, dem parteilosen Landrat von Oberspreewald-Lausitz, und von Steffen Scheller, dem CDU-Oberbürgermeister der kreisfreien Stadt Brandenburg/Havel. Die Linke kritisiert das Vorhaben scharf. Ihr wird immer wieder entgegen gehalten: René Wilke mache ja auch mit und genauso Teltow-Flämings Landrätin Kornelia Wehlan (Linke). Mit diesem Hinweis hat SPD-Fraktionschef Daniel Keller die Vorbehalte gegen die Bezahlkarte abzubügeln versucht und auch dem Landtagsabgeordnete Péter Vida (Freie Wähler) war das eine Bemerkung wert.

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Allerdings geht es Oberbürgermeister Wilke um eine landeseinheitliche Lösung. Deshalb will er sich der Bezahlkarte nicht grundsätzlich verschließen. Aber: »25 Euro Taschengeld für ein Kind sind mau.« Da müsste noch nachgesteuert werden, sagt Wilke. Immerhin seien es nicht bloß zehn Euro im Monat geworden, wie ursprünglich angedacht. Denn was hätten sich ein Kind oder ein Jugendlicher davon leisten können? Wilke rechnet vor: »Ein Eis im Rosengarten und ein Döner und dann ist das Geld alle.«

Eine eigene Bezahlkarte bekommen die Minderjährigen nicht ausgehändigt. Der Landkreis Märkisch-Oderland ist vorgeprescht und begann die Chipkarten bereits am 6. Mai auszugeben. Hier erhält ein Elternteil, in der Regel die Mutter, die Summe für die Minderjährigen mit aufgeladen und kann entsprechend mehr Bargeld abheben. Noch gesteht Märkisch-Oderland auch Minderjährigen 50 Euro Bargeld zu. Es wird aber erwartet, dass die Summe nach unten angepasst wird, wenn im Laufe des Jahres die Bezahlkarten landesweit eingeführt werden.

Als die geringen Bargeldsummen plötzlich im Präsidium des Landkreistags auf den Tisch kamen, enthielt sich Landrätin Wehlan der Stimme. Schließlich empfiehlt Sozialministerin Ursula Nonnemacher (Grüne) 184 Euro Bargeld. »SPD und Grüne auf Bundesebene waren sich von Anfang an einig, dass eine Bezahlkarte eingeführt wird, aber ohne klare Regelungen für die Höhe des Bargelds«, beklagt Landrätin Wehlan. Damit habe der »Verschiebebahnhof der Verantwortung für ein unpopuläres Thema nach unten« begonnen – und das im Vorfeld der Kommunalwahlen am 9. Juni. »Grundsätzlich halten Verwaltung und Kreistag in Teltow-Fläming die Bezahlkarte für umsetzbar und mit den insgesamt zunehmenden Möglichkeiten der Kartenzahlung auch nicht per se für diskriminierend«, erläutert Wehlan. Auch die einheitliche Regelung werde unterstützt.

Aber: »Der Bargeldanteil – und das ist meine persönliche Meinung – ist zu niedrig angesetzt. Die ursprünglich vorgesehenen 50 Euro Bargeld für jeden Erwachsenen und 10 Euro für jedes Kind haben sich mit den jetzt festgelegten 25 Euro pro Kind richtigerweise, aber auch nur marginal verändert.« Wehlan sagt: »In bestimmten Fällen muss nachgesteuert werden.« Ausnahmen wären nach Auffassung der Sozialbehörde von Teltow-Fläming etwa möglich für den ländlichen Bereich mit unterdurchschnittlicher IT-Infrastruktur zum Beispiel am Übergangswohnheim in Welsickendorf, und für Geflüchtete, die ihren Lebensunterhalt zum Teil bereits selbst verdienen, sowie bei besonderen Lebensituationen wie Schwangerschaften.

Die Bezahlkarte soll nach Aussage von Ministerpräsident Woidke ebenso wie die im Herbst 2023 wieder eingeführten Grenzkontrollen die Zahl der ankommenden Asylbewerber reduzieren. Ob das eine geeignete Maßnahme ist, ziehen Linke und Grüne in Zweifel. Sie verweisen außerdem auf das praktische Problem, dass auf Floh- und Wochenmärkten, wo günstig eingekauft werden kann, keine Kartenzahlung möglich sei.

Kornelia Wehlan ist seit 2013 Landrätin, René Wilke seit 2018 Oberbürgermeister. Beide können nicht regieren, wie sie wollen. Sie müssen sich stets mit anderen Parteien verständigen, da die Linksfraktion weder im Kreistag von Teltow-Fläming noch in der Stadtverordnetenversammlung von Frankfurt (Oder) über eine Mehrheit verfügt.

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