Urteil im Seerecht: Ein Meilenstein für Inselstaaten

Internationaler Seegerichtshof urteilt: Treibhausgase sind Meeresverschmutzung

  • Hermannus Pfeiffer
  • Lesedauer: 3 Min.

Gerade einmal 11 312 Menschen leben laut Weltbank in Tuvalu. Der Staat erstreckt sich über neun Inseln. Deren Landfläche reicht nur knapp über den Meeresspiegel hinaus und könnte angesichts steigender Wasserstände eines Tages überspült werden. Tuvalu ist einer von neun Inselstaaten in Pazifik und Karibik, die sich an den Internationalen Seegerichtshof (ISGH) in Hamburg gewandt haben, um Unterstützung gegen Klimawandel und Meeresverschmutzung zu bekommen.

Rechtlichen Beistand haben die Inselstaaten nun erhalten. Diesen Dienstag stellte der Seegerichtshof fest, dass der Ausstoß von menschengemachten Treibhausgasen, insbesondere von Kohlendioxid, »eine Form der Meeresverschmutzung« sei. Die dadurch erhöhten Temperaturen erwärmen das Meer, was erhebliche Auswirkungen auf Pflanzen und Tiere habe. Mittelbar gefährde dies auch die Lebensgrundlage der Menschen, etwa den Fischfang. Zudem steige durch den Klimawandel der Meeresspiegel, was kostspielige Sicherungsmaßnahmen bedinge oder sogar die Inseln in ihrem Bestand gefährde.

Anforderungen an Deutschland

Dass dies auch ein rechtliches Problem für Deutschland und den Globalen Norden ist, hat mit dem Seerechtsabkommen der Vereinten Nationen (UNCLOS) zu tun. Es trat 1994 in Kraft, regelt die Nutzung der Meere und enthält eine Verpflichtung »zum Schutz und zur Erhaltung der Ozeane«. 169 Staaten haben sich zur Einhaltung des Abkommens verpflichtet. 2023 wurde UNCLOS durch ein Zusatzabkommen ergänzt, das die Erhaltung der biologischen Vielfalt auf hoher See, also außerhalb nationaler Hoheitsgebiete, regelt. Es gehöre daher zur gebotenen Sorgfalt, heißt es in der Pressemitteilung des ISGD, »alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um die Meeresverschmutzung durch anthropogene Treibhausgasemissionen zu verhindern, zu reduzieren und zu kontrollieren«.

Alle 169 Unterzeichnerstaaten werden nun durch den Seegerichtshof in die Pflicht genommen, mehr gegen den Klimawandel zu tun. Der kanadische Anwalt Payam Akhavan, der die Inselstaaten vor dem ISGH vertrat, spricht von einem Meilenstein: »Die großen Verschmutzer müssen katastrophale Schäden für kleine Inselstaaten verhindern, und wenn sie das nicht tun, müssen sie für Verluste und Schäden aufkommen«.

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Als Messlatte für die rechtliche Verpflichtung der Staaten legt das Gericht die 1,5-Grad-Grenze des Pariser Abkommens fest. Das ist insofern brisant, als zurzeit die Bemühungen der Regierungen auf eine 2,5-Grad-Erwärmung hinauslaufen. Damit stärke das Seegericht das Ziel, die 1,5 Grad als »rote Linie« anzuerkennen, sagte John Peters von der auf Umweltrecht spezialisierten Hamburger Kanzlei Günther dem Infodienst »Table.Briefings«.

Inselstaaten erleichtert

Vertreterinnen und Vertreter der kleinen Inselstaaten zeigten sich erleichtert und erfreut. Von einem Meilenstein sprechen auch deutsche Nichtregierungsorganisationen. »Die Mitgliedstaaten des Seerechtsabkommens sind verpflichtet, die Meeresumwelt zu erhalten, und das umfasst auch die Pflicht, die Ozeane vor den Auswirkungen der Klimakrise zu schützen – das hat das Gericht heute klargestellt«, kommentiert Julika Tribukait, Meeresschutzexpertin beim WWF Deutschland. In der Praxis bedeute dies, die Staaten müssten ihre Treibhausgasemissionen rasch reduzieren und gleichzeitig den Meeresschutz vorantreiben, indem etwa wichtige Lebensräume von menschlicher Nutzung ausgenommen oder renaturiert werden. Das Meer, das 71 Prozent der Erdoberfläche bedeckt, nimmt einen großen Teil des von Menschen erzeugten CO2 auf und puffert den Temperaturanstieg ab.

Allerdings handelt es sich bei dem einstimmigen »Urteil« der 21 Richterinnen und Richter in Hamburg lediglich um ein sogenanntes Gutachten, welches rechtlich nicht unmittelbar bindend ist. Das gilt besonders für die drei Dutzend Länder, darunter die Vereinigten Staaten, welche das Seerechtsübereinkommen nicht unterzeichnet haben und für die Entscheidungen des Internationalen Seegerichts daher nicht bindend sind. Anderseits sprechen Juristen in ähnlichen Fällen von Soft-Law, »weichem Recht«, dass mittelbar Einfluss auf nationale Entscheidungen nimmt. Gutachten des Seegerichtshofs gelten als Maßstab für nationale und internationale Gerichte, die über Klagen urteilen müssen.

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