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Die WHO und das liebe Geld

Chronisch unterfinanziert, setzt die UN-Organisation auf neue Wege zur Geldbeschaffung

Hauptquartier der Weltgesundheitsorganisation in Genf
Hauptquartier der Weltgesundheitsorganisation in Genf

Es klingt nicht gut, was die Weltgesundheitsorganisation (WHO) in ihrem Bericht »World Health Statistics 2024« schreibt: »Covid-19 hat ein Jahrzehnt des Fortschritts bei der globalen Lebenserwartung beseitigt«, so die Kernbotschaft der umfangreichen Datensammlung. Zwischen 2019 und 2021 sank demnach die weltweite Lebenserwartung um 1,8 Jahre auf 71,4 Jahre (zurück auf das Niveau von 2012). Am stärksten traf die Trendwende die Regionen Nord- und Südamerika sowie Südostasien. Es habe seit 2018 zwar einige Erfolge gegeben, sagte die für den Analytikbereich zuständige WHO-Vizedirektorin Samira Asma bei der Vorstellung des Zahlenwerks am Freitag. »Ohne eine Beschleunigung des Fortschritts ist es aber unwahrscheinlich, dass eines der gesundheitlichen UN-Entwicklungsziele bis 2030 erreicht wird.«

Mit dieser klaren Botschaft schwört die WHO die Teilnehmer der 77. Weltgesundheitsversammlung ein, die unter dem Motto »Alle für Gesundheit, Gesundheit für alle« ab diesen Montag in Genf tagt. Knapp eine Woche lang beraten Delegierte aus 194 Mitgliedsländern über wichtige Herausforderungen für die internationale Gesundheitspolitik, die in den vergangenen Jahren eher größer als kleiner geworden sind. Das hat viele Gründe: Rückschläge in der Corona-Zeit bei der Bekämpfung anderer Krankheiten, die schuldenbedingt schwierige Haushaltslage in armen Ländern, kriegerische Konflikte, aber auch der Klimawandel: Beim diesjährigen Treffen soll es neben Maßnahmen gegen bestehende globale Gesundheitsprobleme wie Aids, Masern und Polio sowie der Zunahme von Krankheiten wie Bluthochdruck und Fettleibigkeit erstmals auch schwerpunktmäßig um die Folgen steigender Temperaturen und veränderter Wettermuster gehen.

Ein komplexes Thema, bei dem vieles noch unbekannt ist: Ein Expertenteam hat nun als Diskussionsgrundlage die Ergebnisse von über 42 000 wissenschaftlichen Beiträgen ausgewertet. Demnach ist davon auszugehen, dass sich Tropenkrankheiten wie Malaria, Dengue und Chikungunya in Richtung beider Pole ausbreiten, einzelne Gebiete aber womöglich weniger mit solchen Infektionskrankheiten zu kämpfen haben. Es müssten dringend belastbare Vorhersagemodelle wie auch geeignete Anpassungsstrategien entwickelt werden, so die Experten.

Die Gesundheitsaufgaben werden mehr. Aufgabe der WHO ist es, internationale Programme zu koordinieren, doch die UN-Organisation ist chronisch unterfinanziert. Daran wird sich absehbar nichts ändern, eher im Gegenteil: Im Falle eines Wahlsiegs von Donald Trump in den USA könnte der Hauptbeitragszahler wie zu Beginn der Coronakrise erneut den Geldhahn zudrehen. Ohnehin machten die Pflichtbeiträge der Mitglieder in den vergangenen Jahren nur noch 20 bis 50 Prozent des Budgets aus. Aus diesem Grunde hat sich die WHO zunehmend an finanzstarke öffentlich-private Partnerschaften (ÖPP) wie den Globalen Fonds zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria oder die Impfallianz Gavi gewendet – und damit in stärkere Abhängigkeit von interessengeleiteter Einflussnahme privater Stiftungen wie der Gates-Foundation begeben, wie Kritiker bemängeln. Und bei jeder einzelnen neuen Initiative geht es zunächst um die Beschaffung neuer Mittel. Das ohnehin geringe Programmbudget von zuletzt 6,8 Milliarden Dollar müssen die WHO-Verantwortlichen mühselig zusammenklauben.

Daher strebt man einen neuen Ansatz zur Mobilisierung von Ressourcen für die Kernarbeit der WHO an, wofür jetzt bei der Weltgesundheitsversammlung der Startschuss fallen soll. Das Zauberwort heißt »Investitionsrunden«: Dabei will man mit bestehenden Zahlern und anderen Partnern zusammenarbeiten sowie »neue Geber durch einen inklusiven Beteiligungsprozess gewinnen, der in einer hochrangigen Finanzierungsveranstaltung im vierten Quartal 2024 gipfeln wird«, wie die WHO ankündigt. »Berechenbarer und flexibler« soll die Finanzierung werden, wie es Generaldirektor Tedros Adhanom Ghebreyesus ausdrückt.

Ziel ist die Beschaffung der Mittel für das Arbeitsprogramm 2025-2028, das ebenfalls in dieser Woche in Genf beschlossen werden soll. Mit diesem sollen die gesundheitsbezogenen Auswirkungen von Megatrends wie Klimawandel, Alterung, Migration und Fortschritte in Wissenschaft und Technologie angegangen werden, wie es heißt. Und die Welt soll wieder auf Kurs zum Erreichen der gesundheitsbezogenen UN-Entwicklungsziele gebracht werden. Die WHO unterstützt dabei die Mitgliedstaaten bei der Durchführung von Gesundheitsmaßnahmen.

Indes sieht Medico International das neue Finanzierungsmodell skeptisch: Es bringe die WHO in direkte Konkurrenz mit den PPP, die diese Art von »Leistungsshow« über die vergangenen 20 Jahre professionalisiert hätten, so die Hilfsorganisation. Ob sich die UN-Organisation hier als Nachzügler behaupten könne, bleibe abzuwarten. Generell setzen sich gesundheitspolitische Nichtregierungsorganisationen aber für eine Stärkung der WHO ein: In der Corona-Pandemie hätten, so Medico-Experte Andreas Wulf, nationale Alleingänge besonders im globalen Süden zu abertausenden vermeidbaren Toten geführt. Deshalb müsse die Weltgesundheitsorganisation zukünftig eine starke Führungsrolle in der globalen Gesundheitsversorgung einnehmen und einen menschenrechtsorientierten Ansatz in der Versorgung realisieren.

Dass dies von den wichtigsten Regierungen aber offenbar nicht gewünscht ist, zeigt das vorläufige Scheitern der Verhandlungen über ein Internationales Pandemieabkommen. Die WHO ist de facto eine »Dienerin« ihrer Mitgliedsstaaten, die das Arbeitsprogramm und die Finanzierung bestimmen. Sie verfügt über keinerlei Möglichkeiten, ihre Mitglieder zur Umsetzung selbst der von ihnen unterschriebenen Regeln zu bringen.

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