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Grenzen der Corona-Aufarbeitung
Der Untersuchungsbericht zur Pandemie-Politik in Großbritannien könnte folgenlos bleiben
Es gehört zu den Lehren aus der Covid-Pandemie: In Staaten mit ultrarechten Regierungen, die sich entweder wissenschaftlichen Erkenntnissen ganz verweigerten oder die Bedrohung zu locker nahmen, hinterließ das Virus eine besonders tödliche Spur. Allen voran die USA unter Donald Trump, Brasilien unter Jair Bolsonaro – und Großbritannien unter Boris Johnson. Man erinnert sich, wie er im Sommer 2021 alle Maßnahmen aufhob und freudestrahlend den »Liberation Day« ausrief, wofür es viel zu früh war.
Mit dem deutschen Finger auf die Insel zu zeigen, verbietet sich dennoch. Auch hierzulande lief vieles nicht gut. Und anders als in Deutschland wurde in Großbritannien dank guter Datenlage frühzeitig intensiv die sozialen Implikationen erforscht. Zudem gibt es eine Gedenkstätte für die Opfer und eine von Anfang an ernsthaft betriebene Aufarbeitung der Ereignisse. Erschienen ist jetzt bereits ein zweiter ausführlicher Untersuchungsbericht, der dem Regierungshandeln erneut ein verdientermaßen schlechtes Zeugnis ausstellt.
Es finden sich viele gute Empfehlungen in dem Bericht. Allerdings darf bezweifelt werden, ob dies zu ernsthaften politischen Konsequenzen führt. Die Stärkung des nationalen Gesundheitssystems und der Krankenhäuser ist ausgeblieben, obwohl Corona deren Unzulänglichkeiten als Folgen vorgegangener Sparprogramme schonungslos aufdeckte. Und Boris Johnson musste als Premier nicht etwa zurücktreten, weil er bei Corona versagte, sondern weil er damals heimlich Parties feierte.
Ohnehin hat selbst die seriöseste Aufarbeitung mittlerweile Grenzen. Je länger die Pandemie vorbei ist, umso mehr wollen politisch Beteiligte und auch Bürger nur noch das glauben, was sie glauben wollen. Das ist ein Ergebnis der Tatsache, dass der Umgang mit der Covid-Pandemie das gesellschaftliche Klima geradezu vergiftet hat. Dass dies ausgerechnet dem Aufschwung ultrarechter politischer Gruppierungen den Weg geebnet hat, ist an Skurrilität kaum noch zu überbieten.
Daher ist die vielleicht noch bestmögliche Form der Aufarbeitung eine, wie sie der in deutschen Kinos anlaufende US-Film »Eddington« liefert, der in Form einer Kleinstadtsatire der Gesellschaft ohne mahnenden Zeigefinger den Spiegel vorhält. Die Bereitschaft zu Objektivität und Selbstkritik ist schon lange flöten gegangen – da sind sich Großbritannien und Deutschland verdammt ähnlich.
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