»Lady Macbeth von Mzensk«: Konsequent nihilistisch

Dmitri Schostakowitschs »Lady Macbeth von Mzensk« an der Oper Leipzig

  • Kai Köhler
  • Lesedauer: 4 Min.
Sex und Gewalt, einn alltägliches Problem, auf die Bühne gebracht
Sex und Gewalt, einn alltägliches Problem, auf die Bühne gebracht

Russische Provinz, um die Mitte des 19. Jahrhunderts: Katerina Ismailowa ist Kaufmannsfrau und kinderlos. Schuld daran ist offenkundig ihr Ehemann, ein Schlappschwanz wohl in jedem Sinne des Wortes. Das hält den reichen Schwiegervater, den Familientyrannen, nicht davon ab, Katerina zu beschimpfen, wenn er sich nicht gerade selbst in deren Bett schleichen will. Und die Langeweile! Nichts darf Katerina tun. Die Arbeit erledigen andere. Und die Schar von Ismailows Bediensteten ist so unterwürfig wie gewaltgierig, stets bereit, auf Schwächere einzutreten.

Dmitri Schostakowitsch hat in seiner 1934 uraufgeführten zweiten Oper ein düsteres Bild des zaristischen Russland gezeichnet, mit Eigenheiten, die 17 Jahre nach der Oktoberrevolution noch keineswegs überwunden waren. Ebenso zeigt das Werk die Geschichte eines Ausbruchsversuchs, der scheitert. Katerina verliebt sich in den Arbeiter Sergej, der die Gelegenheit ausnutzt. Der Schwiegervater erwischt das Paar, peitscht Sergej aus und fällt noch am selben Abend Katerinas Kochkünsten (Pilze mit Rattengift) zum Opfer. Der von ihm zuvor noch herbeigerufene Ehemann wird totgeschlagen und gilt offiziell als abgängig, was eine Heirat von Katerina und Sergej ermöglicht. Das Fest wird jäh von der Polizei gestört, denn ein Säufer hat auf der Suche nach Trinkbarem die Leiche entdeckt. Der Schlussakt zeigt das Paar zusammen mit vielen anderen Verurteilten auf dem Weg in die sibirische Verbannung.

Die Musik wechselt mit harten Schnitten zwischen Pathos und Parodie. Ein lustiges Liedchen des Popen, der von den Hinweisen des Patriarchen auf seine Vergiftung nichts wissen will, steht neben einer machtvoll sich steigernden Passacaglia; Anklänge an Operettenhaftes, groteske Märsche und reichhaltiger Schlagzeugeinsatz besonders zu den zahlreichen Gewaltszenen tun ein Übriges. »Chaos statt Musik« war ein vernichtender Artikel in der »Prawda« zwei Jahre nach der Uraufführung betitelt. Vordergründig ging es um die Oper, doch gehört der Angriff in den Zusammenhang des Kampfs gegen »linke« Kunst, also die russisch-sowjetische Avantgarde. Mitte der 1930er Jahre war der Krieg schon vorhersehbar, und die sowjetische Führung setzte auf eine Kultur, die geeignet war, die gesamte Bevölkerung anzusprechen und zu mobilisieren.

Regisseur Francisco Negrin verdüstert in Leipzig das ohnehin düstere Werk. Die Bühne (Rifail Ajdarpasic) wird anfangs von einem riesigen Gerüst beherrscht, das eine fabrikartige Mühle darstellt und im Laufe des Geschehens ebenso demoliert wird wie ein großes Fabergé-Ei im Zentrum, das auf die Pracht der Mächtigen in der Zarenzeit verweist. Auf dem Gerüst bewegen sich die Arbeiter und Arbeiterinnen Ismailows, die bei Negrin das Treiben der Kaufmannsfamilie neugierig und teils hämisch betrachten. Seltsamerweise gelingt die Personenführung in solchen Passagen besser als dort, wo Schostakowitsch tatsächlich das brutal handelnde Volk auf die Bühne bringt. Unverkennbar geht es in der Oper um Sex und Gewalt, aber beides ist auf der Opernbühne schwer darstellbar. Negrin möchte bloßen Naturalismus vermeiden, bleibt aber auf dem Weg zum Zeichenhaften auf halber Strecke stehen.

Das betrifft auch die berüchtigtste Szene der Oper, den ersten Besuch Sergejs in Katerinas Schlafzimmer, der in eine auch musikalisch drastische Kopulation mit Zügen einer Vergewaltigung mündet. Der Leipziger Sergej ist mit Brenden Gunnell sängerisch überzeugend besetzt, aber das ist hier auch das einzig Anziehende an ihm. Auf der Bühne muss er mit Katerina eine Vielzahl von Stellungen andeuten, denen jede Erotik fehlt.

Ein opulentes Werk, das die Welt, die es zeigt, zugunsten einer besseren beseitigt werden muss.
Ein opulentes Werk, das die Welt, die es zeigt, zugunsten einer besseren beseitigt werden muss.

Dass der Sergej der Oper ein Lügner und Lump ist und dass er Katerina von Beginn an nur ausnutzen will, ist klar. Doch sollte er ein paar sympathisch scheinende Züge oder wenigstens sexuelle Kraft aufweisen: Nur wo Hoffnung war, kann sie enttäuscht werden. Dies ist auch ein dramaturgisches Problem. Das Regieteam, verrät das Programmheft, sieht die Oper als nihilistisches Stück. Doch steckt im Werk auch die Gegenposition: dass die Welt, die es zeigt, zugunsten einer besseren beseitigt werden muss.

Der Konzeption ungeachtet, gelingen in Leipzig immer wieder beeindruckende Bilder und überzeugende szenische Arrangements. Am weitaus besten gerät der sibirische Schlussakt, der tatsächlich nichts Positives mehr aufweist und der weitgehend ins Zeichenhafte gerückt ist. Vor allem kann sich die Inszenierung auf Ingela Brimberg stützen, die mit außerordentlich wandlungsfähiger Stimme in der Titelrolle die ganze Bandbreite der Emotionen übermittelt und zu Recht bejubelt wurde. Fabrizio Ventura dirigierte das Gewandhausorchester und arbeitete das Satirische in der Partitur ebenso heraus wie die aggressiven Klangmassierungen, die gleichwohl stets durchhörbar blieben.

Weiter 29. Mai, 2. und 5. Juni

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