EZB: Vor der Zinswende

Finanzminister und Wirtschaft hoffen, dass die EZB die Leitzinsen senkt

  • Hermannus Pfeiffer
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Europäische Zentralbank wird an diesem Donnerstag ihren Leitzins zum ersten Mal seit Langem senken. Nahezu jedes Mitglied des EZB-Rates hat sich bereits zu einer möglichen Zinswende geäußert und eine solche befürwortet. Präsidentin Christine Lagarde dürfte daher auf ihrer Pressekonferenz in Frankfurt verkünden, dass die Notenbank den Leitzins um 25 Basispunkte (0,25 Prozentpunkte) auf 4,25 Prozent senken wird. Nur durch größere Überraschungen, wie EZB-Ratsmitglied François Villeroy in der Vorwoche betonte, könnten die Währungshüter noch von einer solchen Lockerung ihrer Geldpolitik abgebracht werden.

Vor zwei Jahren, im Juli 2022, hatte die EZB erstmals nach elf Jahren die Zinsen im Euroraum wieder angehoben: Von 0,0 auf 0,5 Prozent. Lagarde wollte damit die Inflation in den Griff kriegen: Zehnmal in Folge wurde seitdem der Leitzins bis auf 4,50 Prozent angehoben. Entsprechend erhöhten die privaten Banken ihre Zinssätze für Firmen und Häuslebauer. Die Idee hinter Lagardes Leitzinserhöhungen: Wenn Kredite mehr kosten, bremst dies die Nachfrage und wirkt damit gegen steigende Inflationsraten. 

Linke Ökonomen wie Rudolf Hickel oder das gewerkschaftsnahe Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) in Düsseldorf kritisierten Lagardes rasante Zinsrallye. Die zeitweise zweistellige Inflation in der Eurozone sei keine Folge des billigen Geldes, sondern externer Faktoren und werde hauptsächlich von den steigenden Preisen für Öl- und Erdgasimporte getrieben. Die teureren Finanzierungen wurden denn auch zu einer zusätzlichen Last für Unternehmen, für private Investoren und den Wohnungsbau. Tatsächlich stagnierte die Wirtschaft im Euroraum im vergangenen Jahr, und die deutsche Wirtschaft schrumpfte sogar. 

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In diesem Frühjahr ist die Inflationsrate erstmals seit Monaten wieder gestiegen. Der Harmonisierte Verbraucherpreisindex, kurz HVPI, der für Vergleiche zwischen den Euroländern verwendet wird, kletterte von 2,4 Prozent im April auf 2,6 Prozent im Mai, so die Schnellschätzung von Eurostatt, dem Statistikamt der EU. 

Analysten führen den Anstieg auf sogenannte statistische Basiseffekte zurück. So sorgte vor einem Jahr die Einführung des 49-Euro-Tickets in Deutschland für eine starke Ermäßigung bei der Preiskomponente Verkehr. Solche Effekte sind nun allerdings aus der Jahresrate »herausgewachsen«. Aber auch Lohnsteigerungen und der Ölpreis, der wegen der geopolitischen Spannungen zeitweilig wieder hochgeschnellt war, werden ins Feld geführt.

Die Entwicklung bleibe jedoch »in Reichweite des mittelfristigen Stabilitätsziels der EZB«, zeigt sich Christian Lips, Chefvolkswirt der Norddeutschen Landesbank, überzeugt. Selbst die »Falken« in der EZB, wie Bundesbank-Chef Joachim Nagel, die tatsächlich am hohen Leitzins wohl lieber länger festhielten, widersprechen solchen Beruhigungen nicht.  

Ob es nun quasi automatisch zu weiteren Zinsschritten Lagardes und damit zu einer spürbaren Entlastung der Wirtschaft kommt, wird von vielen Beobachtern angesichts der unübersichtlichen Lage bezweifelt. Eine Sorge mehr für die Regierungen. Denn die hohen Zinssätze, die für Staatsschulden zu zahlen sind, engen die Spielräume der öffentlichen Haushalte ein. 

Dazu könnte auch Standard & Poor’s beitragen. Die US-Ratingagentur hat kurz vor der Europawahl beschlossen, die Kreditwürdigkeit Frankreichs herabzustufen. »Das Downgrade ist eine sehr schlechte Nachricht für die Eurozone«, sagt Friedrich Heinemann vom ZEW – Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung. Frankreich drohe in eine Abwärtsspirale aus steigenden Zinsen und Schulden zu geraten und befände sich hier auf dem Weg Italiens. Zum anderen lösten sich Hoffnungen auf günstige neue EU-Kredite in Luft auf, wenn ein solch wichtiger Mitgliedstaat kein absolut zuverlässiger Garant der EU-Schulden mehr sei, sorgt sich Heinemann. Unter den drei großen Euroländern verfügt einzig noch Deutschland über eine erstklassige Bonität.

Viel spannender als die Zinswende, deren Mitteilung für Donnerstag 15 Uhr angekündigt war, finden die Akteure auf den Finanzmärkten allerdings, wie es weitergehen wird. Für 2024 rechnet die EZB bislang mit einer akzeptablen Teuerungsrate von 2,3 Prozent. 2025 wird eine Rate von 2,0 Prozent erwartet. Bleibt es bei »im Trend« nur langsam sinkenden Inflationsraten, könnte erst im September die nächste Zinssenkung erfolgen. Ein deutlicherer Rückgang der Inflation – wofür es Anzeichen gibt – könnte dagegen Spielräume für schnellere und größere Zinssenkungen eröffnen. Das würde die Konjunktur stützen und Finanzminister erfreuen.

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