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Gordon Herbert: Der Architekt des deutschen Basketballwunders

Ein neues Buch beleuchtet die sensationelle Reise des Bundestrainers und seiner Mannschaft

  • André Dahlmeyer
  • Lesedauer: 5 Min.
Der Weltmeistermacher: Bundestrainer Gordon Herbert
Der Weltmeistermacher: Bundestrainer Gordon Herbert

Der Triumph der deutschen Basketballer bei der WM 2023 in Manila mit dem Gewinn der Goldmedaille ist der größte Erfolg in der Geschichte des deutschen Korbwerfens. Das Foto des kanadischen Trainers Gordon Herbert nach der epischen Schlacht im Finale gegen Serbien (83:77), auf dem Boden sitzend, angelehnt an eine Bande und völlig ausgelaugt ging viral. Die Welt hatte sich bei dieser WM in den deutschen Basketball verliebt, etwas bis dahin Unvorstellbares. Indes, eine Sensation war der Titel nicht, nur die logische Konsequenz einer langen Entwicklung. Von, mit und über Herbert ist im Next Level Verlag ein Buch erschienen, das die »FAZ« etwas unzutreffend als »Autobiografie« bezeichnete und in dem Einblicke in das Innenleben des Teams sowie in die Methodik und die Werte Herberts gewährt werden.

Die erste Pressekonferenz im September 2021 war eher an die Spieler als die Medien gerichtet. Darin gab Herbert seinen ambitionierten Dreijahresplan bekannt: drei Medaillen in drei Jahren: bei der Heim-EM gab es anschließend Bronze, darauf folgte das sensationelle WM-Gold und auch bei Olympia fehlt nicht mehr viel. Nach einer souveränen Vorrunde treffen die deutschen Basketballer an diesem Dienstag im Viertelfinale auf Griechenland. Für diesen Erfolg besuchte Herbert etwa 40 Spieler, unterbreitete ihnen sein Konzept und forderte ein dreijähriges Bekenntnis zur Nationalmannschaft ein. Er hatte keine Lust, den Stars als Bittsteller hinterherzulaufen. Seine Vorstellungen von Reise, Vision und Ziel ließen die deutschen Basketballer wieder das Nationaltrikot spüren. Sein Leitsatz als Spielerversteher: »Die Last der Reise darf auf Dauer niemals größer sein als die Lust an der Reise.«

Spielerversteher und Schleifer

Herbert kam aber auch zugute, dass durch die 2012 eingeführte 6+6-Regel, nach der die Bundesligisten mindestens sechs deutsche Spieler im Kader beschäftigen müssen, der deutsche Talentpool rasant gestiegen ist. Auch die Jugendarbeit hat sich deutlich verbessert. Jüngstes Beispiel ist der historische erste Europameistertitel der deutschen U18-Basketballer am Sonntag. Es gibt wieder Wettbewerb um die Plätze in der Nationalmannschaft. Herbert verkürzte dennoch den Selektionsprozess, widmete sein Augenmerk lieber dem Teambuilding und gab auch Ersatzspielern den Raum, den sie verdienten. Klare Rollenverteilung war angesagt.

Offensivrebounds, Positions- und Passspiel ließ er bis zum Erbrechen trainieren, gab seinen Spielern gleichzeitig Freiheiten, forderte Eigeninitiative, eigenständiges Denken. Physis, Härte und defensive Stabilität wurden zum Markenzeichen, und vor allem: eine geteilte Verantwortung. Herbert, der nach den Spielen von Paris die Basketballer des FC Bayern München übernehmen wird, verlangte, ehrlich sein zu dürfen, und die Offenheit der Stars, sich coachen zu lassen. Eigentlich selbstverständlich, wie das Investment in die eigene Entwicklung. Neuzeitliche Basketballersprache, sorry. Der Mann mit einem Master in Sportpsychologie forderte von seinen Jungs nichts Geringeres als den »intrinsischen Zug« auszulösen. Die Devise: Scheitern als Chance.

Mit Techno zu Gold

Dazu gehörte ganz sicher die Halbfinalniederlage bei der Heim-EM 2022 gegen Spanien (91:96), nachdem im Viertelfinale noch sensationell Griechenland eliminiert wurde. Herbert vergaß die Euphoriebremse zu ziehen, bekannte sich schuldig. Immerhin, am Ende sprang mit Bronze die erste Medaille nach 17 Jahren heraus. Es gab noch eine Niederlage, ohne die die deutsche Mannschaft niemals Weltmeister geworden wäre. Das letzte Vorbereitungsspiel vor der WM in Abu Dhabi gegen die USA. Tags zuvor hatten Herberts Jungs erneut die Griechen besiegt, nun führten sie im dritten Viertel mit 16 Punkten Unterschied. 32 fantastische Minuten, am Ende stand es 91:99. »Wenn wir die wiedersehen, dann sind sie fällig«, bemerkte anschließend Distanzschütze Andreas Obst.

Wie die deutschen Basketballer den fehlgeschlagenen Dreier von Davis Bertans als letzte Aktion im Viertelfinale gegen Lettland erlebten, ist ein Highlight des Buchs. Alle wähnten sich draußen, doch der Wurf ging daneben. Zeitgleich besiegte Kanada die Slowenen. Statt auszuscheiden, war Deutschland auf einmal für Olympia in Paris qualifiziert. Dann kamen die USA, viel zu früh, es wurde zum besten Länderspiel des Braunschweigers Daniel Theis, der mit 21 Punkten und sieben Rebounds zum unüberwindbaren Fels wurde.

»Die USA zu schlagen war echt surreal«, sagte Aufbauspieler Justus Hollatz im Anschluss an den Erfolg. Das 113:111 war ein Offensivspektakel mit halsbrecherischem Tempo, ein irres Hin und Her. Die Amis wurden im vorgezogenen Finale mit ihren eigenen Waffen geschlagen. Obst traf vier seiner acht Dreier auf dem Weg zu 24 Punkten. Hinterher sagte er, er habe sich »30 Minuten vor dem Anpfiff noch mal volle Pulle Techno reingezimmert. Ich war wie in Trance.«

All diese Erinnerungen der Spieler werden im Buch detailreich beschrieben. Auch deswegen ist der Titel »Die Jungs gaben mir mein Leben zurück« mindestens irreführend. Er wurde von Jonathan Sierck aus verkaufstaktischen Gründen »erfunden«. Es gibt ein kleines Kapitel im Buch, in dem Gordon Herbert die Lanze bricht für die mentale Gesundheit im Hochleistungssport und anregt, Unterstützungsstrukturen für Betroffene »neu zu überdenken«. Das ist löblich. Als Assistenztrainer der Toronto Raptors war er 2009 mitsamt seines Trainerstuhls zusammengebrochen, brach sich die Wirbelsäule. Das bemerkte er aber nicht und landete aufgrund einer Kombination aus Schmerzen, Stress und emotionaler Belastung wegen seines Scheidungsprozesses mit einer akuten Depression in psychiatrischer Behandlung.

Gegen die Helden der Kindheit

Sein blinder Fleck wurde zu einem schwarzen Loch. Alkohol gegen die Schmerzen. Bis zur Entschleunigung, um der Negativspirale zu entfleuchen, dauerte es noch einige Jahre. Doch Herbert schaffte es. Dass das im Netz als Hauptthema des Buchs dargestellt wird, ist leidlich.

Von Sommermärchen salbadern in Deutschland so einige. Small Forward Niels Giffey vom FC Bayern drückte es kurz vor Olympia so aus: »In diesem Sommer haben wir die Möglichkeit, die Helden unserer Kindheit zu schlagen.« Die USA sind ob der Schmach der letzten WM mit allem angereist, was sie haben. Ein direktes Duell gäbe es aber erst im Finale.

Gordon Herbert (mit Jonathan Sierck): »Die Jungs gaben mir mein Leben zurück. Die Erfolgsgeschichte des deutschen Basketballs«, Next-Level-Verlag, 244 S., 22 €.

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