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Palästina-Proteste: Markierung »gefährlicher« Zonen
Bei der Polizeigewalt gegen propalästinensische Proteste geht es auch um soziale Konflikte
In den letzten Monaten hat sich die Polizeigewalt gegen Demonstrant*innen vor allem im Zusammenhang mit Palästina-Protesten dramatisch verschärft. Bei einer Demonstration am vergangenen Wochenende traktierte ein Beamter einen wehrlos am Boden liegenden Jugendlichen mit Faustschlägen in den Nierenbereich. Andere Aufnahmen zeigen, wie Beamte jungen Frauen gezielt in den Rücken sprangen und dabei schwere Verletzungen in Kauf nahmen. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International, die schon in ihrem Europa-Bericht im Sommer die Kriminalisierung von Palästina-solidarischen Protesten kritisiert hatte, äußerte sich besorgt »über die exzessive Gewaltanwendung« durch die Berliner Polizei.
Die Unterdrückung der Anti-Kriegs-Proteste steht einerseits in Zusammenhang mit der Militarisierung der deutschen Politik. 2022 wurden zusätzliche Militärausgaben in Höhe von 100 Milliarden Euro praktisch über Nacht durchgewunken, quer durch die Parteien wird eine Wiedereinführung der Wehrpflicht diskutiert. Und nun gibt es auch schon erste Forderungen nach einer Beteiligung Deutschlands bei einem drohenden Nahostkrieg. Mindestens ebenso wichtig ist andererseits aber die Aufrüstung nach innen. Spätestens seit den Silvester-Ausschreitungen 2023 und der »Freibad«-Debatte gelten arabisch geprägte Nachbarschaften wie die Sonnenallee in Berlin-Neukölln als rassistische Chiffre für vermeintliche Parallelgesellschaften aus »schwer erziehbaren Barbaren« und »kleinen Paschas«. Hier wird der Umgang mit sozialen Problemen gezielt verpolizeilicht: So hat man in Berliner Freibädern eine Ausweispflicht eingeführt und propagiert den Aufbau mobiler Polizeiwachen für so sogenannte soziale Brennpunkte.
Die Beispiele zeigen, dass die Entwicklung nicht auf »Palästina-Demos« beschränkt ist. Es geht vielmehr allgemein darum, Menschen und Stadtgebiete als »gefährliche« Klassen bzw. Zonen zu markieren. Während einerseits Armut politisch produziert wird, kümmert man sich andererseits darum, diese institutionell unter Kontrolle zu halten.
Erst im Juni hat der Berliner Senat eine halbe Milliarde Euro im Bereich Soziales gekürzt, was für 600 Projekte im Bildungs-, Sozial- und Kulturbereich das Ende bedeutet. In Neukölln wird die Reinigung von Parks und Kinderspielplätzen eingestellt, und im Bundeshaushalt findet der größte Angriff auf die Sozial-Etats seit der Agenda 2010 statt. Der französische Soziologe Loïc Wacquant hat diesen Prozess als systematische Verwahrlosung bezeichnet. Ganze Bevölkerungsgruppen werden erst in Armut gedrängt und in derselben politischen Logik dann kriminalisiert. Die ökonomisch »Überflüssigen« werden verschärfter Kontrolle unterworfen.
Wesentliches Merkmal dieser Entwicklung ist, dass hier zunehmend eine Herrschaft ohne Recht ausgeübt wird. Bei den Demonstrationsverboten nach der Auflösung des Palästina-Kongresses setzten Polizei und Behörden verfassungsmäßig garantierte Grundrechte kurzerhand außer Kraft. In Universitäten, Medien, dem Kultur- und Bildungsbereich müssen Personen, die die israelische Kriegspolitik skandalisieren, um ihren Job oder um eine Finanzierung fürchten. In Berlin wurde ein ganzes Mädchenzentrum wegen des angeblichen Palästina-Aktivismus des Personals geschlossen. Das neue Berliner Hochschulgesetz ermöglicht politisch motivierte Zwangsexmatrikulationen. Und die Moderator*innen Malcolm Ohanwe und Helen Fares verloren wegen israelkritischer Äußerungen ihre Anstellungen bei öffentlich-rechtlichen Sendern.
Das Vorgehen erinnert an die Verleumdungsstrategie, wie sie während des »War on Terror« nach dem 11. September 2001 von den USA gegen Kritiker*innen ihrer Militäreinsätze etabliert wurde. Heute erleben wir eine Aktualisierung dieser Politik: Die Bürgerlichen schüren die Angst vor dem »Islamogauchisme« – einer vermeintlichen Allianz aus Islamisten und Linken. Gleichzeitig mehren sich die Forderungen nach einer Abschaffung der Postkolonialen Studien an den Universitäten.
Die Verbindung von Sozialkürzungen und politischer Repression ist kein Randphänomen, das nur eine Minderheit betrifft. Es könnte sich schon bald als Bestandteil eines größeren Staatsumbaus erweisen, der durch das Erstarken der faschistischen Rechten in Europa zusätzlich an Brisanz gewinnt.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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