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Der andere Konflikt
Zum Erfolg der extremen Rechten, der sozialen Frage und Verteilungskämpfen zwischen Armen und Reichen – ein Gastbeitrag
Die Ergebnisse der Landtagswahlen erschrecken nicht nur deshalb, weil die extrem rechte Alternative für Deutschland bislang noch in keiner Wahl so gut abgeschnitten hat und in Thüringen sogar stärkste Partei wurde. Die Wahlerfolge sind auch Ausdruck einer Ethnisierung des Sozialen. Gegenstrategien müssen diesen Umstand berücksichtigen.
19 Prozent der sächsischen Wähler*innen trauen am ehesten der AfD zu, für soziale Gerechtigkeit zu sorgen, das zeigt eine Nachwahlbefragung von infratest dimap. Damit liegt die Partei vor sämtlichen demokratischen Parteien. Ebenfalls eine Spitzenposition nimmt die AfD unter den Arbeiter*innen ein: In Thüringen gaben 49 Prozent der Arbeiter*innen ihr die Stimme, wobei dieser Wert etwas relativiert wird, weil die Kategorisierung als Arbeiter*in einzig auf den Angaben der Befragten beruht. Die Umfrage ergab auch, dass sogar die Wähler*innen aller anderen Parteien in ihrer übergroßen Mehrheit der Meinung sind, dass eine Wende in der Migrationspolitik notwendig ist, »damit weniger Menschen zu uns kommen«. Die Werte reichen von 93 Prozent unter AfD-Wähler*innen bis zu 71 Prozent unter Wähler*innen von Die Linke. Dies zeigt, dass es der Rechten gelungen ist, Migration als das zentrale Thema zu positionieren. Die soziale Frage wird rassistisch entstellt. Armut, Arbeitslosigkeit, Perspektivlosigkeit sollen nicht als Verteilungsungerechtigkeit zwischen Reichen und Armen, sondern zwischen »Deutschen« und »Fremden« erscheinen.
Das Wahljahr 2024 ist kein beliebiges. Schon lange nicht mehr war die Zukunft der Linken so ungewiss, noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik waren die politische Landschaft und die Wählerschaft so polarisiert, noch nie seit der NS-Zeit war eine rechtsextreme, in Teilen faschistische Partei so nah an der Macht. Wir schauen speziell auf Entwicklungen und Entscheidungen im Osten, die für ganz Deutschland von Bedeutung sind. Alle Texte unter dasnd.de/wahljahrost.
Obwohl die AfD wie keine andere Partei davon profitiert, ist diese Entwicklung nicht ihr Erfolg. Möglich wurde sie durch Bundesregierungen, die zunehmende soziale Verunsicherung konsequent mit einer Politik der Inneren Sicherheit adressiert haben. Kriminalität wurde und wird dabei immer auch kulturalisiert. Restriktive, grundgesetzwidrige Änderungen im Asylrecht werden als vermeintlich wirksame Maßnahmen gegen terroristische Bedrohungen und Kriminalität präsentiert. Und schließlich soll dem so in Gang gesetzten Rechtsruck mit Zugeständnissen an die Rechte begegnet werden, die diese noch weiter stärken. Abschiebungen »in großem Stil« und entsprechende Kooperation mit Islamisten wie den Taliban sind Geländegewinne der Rechten und werden absurderweise als Politik verkauft, die der Gefahr des Islamismus begegnet. Aber auch die Schuldenbremse und ihre kommunalen Auswirkungen bereiten dem rechten Vormarsch den Boden. Statt in Kindergärten, Schulen, Nahverkehr oder Krankenhäuser zu investieren, werden gerade die Kommunen kaputtgespart. An diese Erfahrungen knüpft die extreme Rechte an, wenn sie ihnen vermeintlich hohe Ausgaben für Geflüchtete gegenüberstellt.
Aber auch die CDU, deren Vorsitzender das Ergebnis der AfD vollmundig halbieren wollte und die nun mit ihrem geschichtsvergessenen Unvereinbarkeitsbeschluss gegenüber der Linkspartei verschiedene demokratische Optionen gegen die extreme Rechte verunmöglicht, hat die AfD durch Übernahme ihrer Forderungen gestärkt.
Und natürlich gelang es dem Bündnis Sahra Wagenknecht nicht, die AfD zu schwächen. Indem die Partei sozialstaatliche Versprechen mit rechten Positionen gegen »Gendern«, »unkontrollierte Migration« oder »Cancel Culture« verknüpfte und damit vor allem ehemalige Linke-Wähler*innen erreichte, schwächte sie nicht nur Die Linke, sondern stärkte den rechten Alltagsverstand.
Die Landtagswahlen werden nicht nur Auswirkungen auf die Parlamente und die öffentliche Diskussion haben, auch die Bedrohungslage für Angehörige verletzbarer Minderheiten und Linke wird sich verschärfen. Opferberatungsstellen warnen vor einem »Flächenbrand antisemitischer und rechter Gewalt«. Dagegen muss schnell und konkret (Selbst-)Schutz organisiert werden.
Mittelfristig müssen demokratische und fortschrittliche Strukturen und Bündnisse gestärkt und aufgebaut werden. Das von der Bundesregierung verschleppte Demokratiefördergesetz könnte für viele Projekte überlebenswichtig sein, die Opfer rechter Gewalt unterstützen und diejenigen stärken, die vor Ort für eine demokratische Kultur kämpfen.
Auch die Schuldenbremse bereitet dem rechten Vormarsch den Boden.
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Aber auch Allianzen unterschiedlicher gesellschaftlicher Akteure mit klarem antifaschistischen Konsens, die vom Staat und den mit Förderrichtlinien verbundenen politischen Einschränkungen unabhängig sind, können viel leisten. Hier lohnt der Blick auf Dresden, in dem vor etwas mehr als zehn Jahren eine beispiellose Mobilisierung von Gewerkschaften, Parteien, Kirchen und autonomen Antifaschist*innen den wichtigsten und größten Aufmarsch der extremen Rechten in Europa stoppen konnte.
Gleichzeitig muss der Ethnisierung der sozialen Frage der Boden entzogen werden, indem der soziale Charakter von Auseinandersetzungen wieder herausgestellt wird. Diskursiv in der Kommunikation demokratischer Akteure, aber auch praktisch durch soziale Kämpfe. Vor wenigen Monaten setzte die Lokführergewerkschaft die 35-Stunden-Woche durch, ein Beispiel, dem weitere Berufsgruppen folgen werden. Auch Verdi und die Gewerkschaft NGG haben erfolgreiche Arbeitskämpfe geführt und nach einem jahrelangen Abwärtstrend wieder einen Mitgliederzuwachs verzeichnet. Und es ist noch nicht lange her, da wurde Björn Höcke im thüringischen Eisenach von Gewerkschafter*innen und Opel-Arbeiter*innen von einer Kundgebung gejagt. Das war richtig, weil es deutlich machte: Die Faschisten stehen nicht auf der Seite der Arbeiter*innen.
Neben konkretem Schutz, breiten Bündnissen und entschlossenem Antirassismus müssen soziale Kämpfe um Wohnen, Arbeiten und Leben organisiert werden, um darin solidarische Ermächtigungserfahrungen zu ermöglichen und Perspektiven zu stärken, die gesellschaftliche Konflikte wieder als das begreifen, was sie sind: Auseinandersetzungen zwischen oben und unten.
Sebastian Wehrhahn hat Philosophie studiert und ist Referent der Linken im Bundestag für Antifaschismus und Rechtsextremismus.
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