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Kampf um das Heilige Land
Israel eröffnet im Westjordanland eine weitere Front
Der einzige Grenzübergang, über den Palästinenser aus dem besetzten Westjordanland nach Jordanien ausreisen können, ist schon den zweiten Tag geschlossen. Auf palästinensischer Seite, an der sogenannten Allenby-Brücke, stauen sich die Autos. Am Sonntag hatte ein Lkw-Fahrer, offenbar jordanischer Staatsbürger, drei israelische Sicherheitsleute direkt am Grenzübergang erschossen und wurde dann von israelischen Soldaten getötet. Die jordanischen Behörden identifizierten als Attentäter einen 39-jährigen Jordanier aus dem südjordanischen Gouvernement Maan.
Offenbar hat der Attentäter allein gehandelt, aber der Vorfall zeigt, wie angespannt die Beziehungen zwischen Israel und Jordanien sind, trotz des 1994 geschlossenen Friedensvertrags. Für die jordanische Bevölkerung, zu der auch viele palästinensische Flüchtlinge und deren Nachkommen gehören, ist nur schwer zu ertragen, wie die Besatzungsmacht Israel im Westjordanland mit den Palästinensern umgeht.
Rückzug der israelischen Armee nach Großeinsatz
Nach dem Sturm auf drei Flüchtlingslager im Westjordanland hat sich die Armee am Freitagabend wieder nach Israel zurückgezogen. In langen Konvois von gepanzerten Fahrzeugen und Bulldozern, die von Drohnen und Kampfflugzeugen begleitet wurden, hatten Soldaten die Flüchtlingslager von Jenin, Tulkarem und Tubas abgeriegelt und nach bewaffneten Widerstandskämpfern gesucht. Erstmals seit 22 Jahren blieben die Einheiten mehrere Tage, errichteten Sperrzonen und zerstörten Straßen, Wasser- und Stromleitungen.
In Dschenin, Tulkarem und Tubas dürfen israelische Sicherheitskräfte eigentlich nur mit Erlaubnis der Autonomiebehörde aktiv werden, doch die palästinensischen Polizisten ziehen sich zu Beginn jeder israelischen Razzia zurück, um Konfrontationen zu vermeiden, so wie letzte Woche auch. Verteidigungsminister Joaw Galant begründete die an eine Militäroffensive erinnernde Aktion mit Informationen über iranische Waffenlieferungen an die bisher nur leicht bewaffneten Gruppen im Westjordanland. Teheran hätte kürzlich Kämpfer angeworben, Waffennachschub organisiert und versuche Angriffe ähnlich wie am 7. Oktober vorzubereiten, erklärten Militärexperten im privaten Nachrichtensender 14.
»Die Militäreinsätze in Dschenin und anderen Orten des Westjordanlandes und die Angriffe der Siedler sind Teil einer Strategie der radikalen Parteien der Regierungskoalition.«
Schai Parnes
Sprecher der israelischen Menschenrechtsorganisation Btselem
Der von Benjamin Netanjahu immer wieder erwähnte Vielfrontenkrieg bezieht sich demnach auch auf das im Vergleich zu Gaza und der libanesischen Grenze relative ruhige Westjordanland. An dessen Brennpunkten müsse man zukünftig wie im Gazastreifen vorgehen, so Israels Außenminister Katz.
Aus Sicht der Bewohner von Dschenin und Tulkarem ist diese Drohung bereits seit zehn Tagen Realität. Nachdem die israelischen Soldaten mit Drohnen und Kampfflugzeugen oder beim Vorbeifahren Palästinenser als mögliche Kämpfer identifiziert hatten, schossen sie, ohne zu zögern. Zwar konnte die Autonomiebehörde die verfeindete Hamas fernhalten, doch durch die Brutalität der israelischen Armeeeinsätze schließen sich immer mehr Jugendliche dem Islamischen Dschihad oder anderen Hamas-nahen Gruppierungen an.
Viele zivile Opfer
Nach Aussagen vieler nach Dschenin gereister palästinensischer Journalisten wurden zwar durchaus Kommandeure islamistischer Gruppen getötet, doch viele der Opfer seien Zivilisten gewesen, die versuchten, die einwöchige Blockade von Dschenin und Tulkarem zu durchbrechen.
So pendelten junge Männer auf Motorrädern mit Brot und anderen Lebensmitteln zwischen dem Flüchtlingslager von Dschenin und dem Rest der Stadt. Aufnahmen von Dscharrah Fallah und anderer palästinensischer Fotografen zeigen von Kugeln getroffene Männer, die neben ihren Motorrädern blutüberströmt auf der Hauptstraße von Dschenin liegen. Ein über 70-jähriger Palästinenser wurde in der Nähe seines Hauses von einem israelischen Scharfschützen getroffen, berichten die Reporter. Videos zeigen, dass palästinensische Sanitäter von den Bulldozern der israelischen Armee daran gehindert wurden, den blutenden Mann und andere Opfern mit Schusswunden zu versorgen. Als er offenbar tot war, überrollte ihn ein israelischer Truppentransporter vor laufender Kamera eines palästinensischen TV-Senders.
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Der Ablauf der Razzien ähnelte denen vergangener Jahre: Spezialkommandos der Armee stürmten in Häuser und führten junge Männer ab, die dann meist ein halbes Jahr in Verwaltungshaft bleiben. Palästinenser unterstehen in den besetzten Gebieten dem Militärrecht und können auch ohne konkrete Anschuldigungen und Recht auf einen Anwalt festgehalten werden; für jüdische Siedler ist hingegen die Polizei zuständig.
Wenn Palästinenser Angriffe melden, schlage sich diese meist auf die Seite der Israelis, berichtet Schai Parnes, der Sprecher der israelischen Menschenrechtsorganisation Btselem. »Wir glauben, dass die Militäreinsätze in Dschenin und anderen Orten des Westjordanlands und die Angriffe der Siedler Teil einer Strategie der radikalen Parteien der Regierungskoalition sind.«
Vertreibung der Bevölkerung
Nachdem die weltweit respektierte Organisation letzte Woche auf Einladung Sloweniens vor dem UN-Sicherheitsrat vor einer Ausweitung des Siedlungsbaus und den unmenschlichen Zuständen in den Gefängnissen des Westjordanlandes gewarnt hatte, forderten mehrere ultrarechte Abgeordnete der Knesset, des in Jerusalem tagenden Parlaments, die Aberkennung der Bürgerrechte der Aktivisten.
Taysir Nasrallah, ranghoher Vertreter der Fatah-Bewegung in Ramallah, wundert dies nicht: »Wir haben immer schon gesagt, dass nicht Gaza, sondern das Westjordanland das eigentliche Ziel von Finanzminister Smotrich und Sicherheitsminister Ben Gvir sind. Sie wollen mit den Angriffen auf die Flüchtlingslager die Bewohner nach Jordanien vertreiben und mit dem Ausbau der Siedlungen die Gründung eines palästinensischen Staates verhindern.«
Siedler wollen das gesamte Westjordanland
In Hebron und anderen Orten des von Siedlern »Judäa und Samaria« genannten Gebietes gibt es religiöse Stätten, mit denen radikale Siedler ihren Anspruch auf das gesamte Westjordanland begründen. In Dschenin forderte die israelische Armee bereits Ende der Woche hunderte Familien auf, ihre Häuser zu verlassen. Die meisten kamen in benachbarten Stadtvierteln unter, während die Bulldozer sämtliche Straßen und Versorgungsleitungen aufrissen.
»Wir werden die Schäden nur notdürftig repapieren«, so Taysir Nasrallah, »sie werden wiederkommen. Dies ist erst der Anfang des Versuchs, das Leben hier so beschwerlich zu machen, dass viele Palästinenser freiwillig nach Jordanien auswandern.«
Noch scheint der Wille zu bleiben ungebrochen. Geschäftsleute aus dem Westjordanland richteten am Wochenende einen Wiederaufbaufonds ein, um den verarmten Bewohnern der zerstörten Häuser zu helfen. Die Autonomiebehörde hat dafür kein Budget. Obwohl sie gegen Hamas-Strukturen im Westjordanland vorgeht, zahlt Israels Finanzminister die Hälfte der ihr zustehenden Steuereinnnahmen nicht aus.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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