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Das aussterbende Handwerk
In der Woche der offenen Backstuben zeigen Berliner Bio-Bäckereien einen Einblick in ihr Handwerk
Die dunkle Teigmasse klatscht auf die gelbe Teigmasse. Anstatt sie ineinander zu verkneten, stapelt Friedrich von Gilsa die zwei Teigmassen mit unterschiedlichen Farben und Geschmäcken weiter übereinander, bis sie sechs Schichten ergeben. Dann zieht er die gesamte Masse lang und formt sie zu einer Schlange. Er schneidet einen Spalt davon ab und legt sie auf eine Wiege.
»Jeder Cookie wird einzeln abgewogen«, fügt von Gilsa hinzu, den Blick weiter auf den Teig gerichtet. Dann legt er die abgewogene Masse in eine Flexipan-Form, eine Art Silikon-Form, und drückt sie platt.
Am Montag versammeln sich in der glutenfreien Jute Bäckerei in Prenzlauer Berg mehrere Besucher*innen, um dem Betreiber und Bäcker Friedrich von Gilsa über die Schulter zu schauen. Die Woche der offenen Bäckereien startet, bei der ausgewählte Bio-Bäckereien in Berlin und Brandenburg mit Workshops Besucher*innen ihr Handwerk näherbringen. Von Gilsas Jute Bäckerei ist eine davon. Acht Besucher*innen stehen um den Arbeitstisch herum, umzingelt von brummenden Maschinen und einem großen Backofen, in dem bereits Gebäck und Brot gebacken werden.
»Das ist unser Kapital, bitte nicht fotografieren oder abschreiben!«, bittet von Gilsa, als er auf das Rezept angesprochen wird, das mitten auf der Arbeitsplatte liegt. Es ist ein Rezept für Schoko-Cookies. Von Gilsa hat ihnen vorgezeigt, wie er den schokoladigen Teig und den nicht-schokoladigen Teig stapelt und abwiegt. Das sollen ihm die Besucher*innen nun nachmachen.
Es ist halb zwölf vormittags, von Gilsa ist bereits seit über acht Stunden auf den Beinen. Um drei Uhr nachts beginne sein Arbeitstag, erklärt er. Dann kommt er in die Backstube, bereitet die ersten Waren zu, bringt seine Kinder in die Kita, kommt zurück in die Backstube und holt fertig gebackenes Brot heraus, muss zwischendurch liefern und holt dann um 16 Uhr die Kinder wieder ab. Anschließend sei endlich Feierabend, Abendessen, und um 20 Uhr liege er wieder im Bett.
»Es ist schon hart, so früh aufstehen zu müssen«, sagt von Gilsa. Mittlerweile habe sich sein Körper aber an die Uhrzeiten gewöhnt; meistens ist er vor seinem Wecker wach. Dass er morgens während seiner Arbeitszeit Ruhe habe, sei hingegen meditativ – ganz ohne permanenten Input durch Handy oder Verkehrslärm. Er höre auch kein Radio. »Die Jungs hören aber gern Hip-Hop«, lacht er und deutet auf seinen Mitarbeiter, der sich fleißig um die Zubereitung weiterer Backwaren kümmert, während von Gilsa mit Besucher*innen beschäftigt ist.
Ob er viel Mehl schleppen müsse? Nein, antwortet von Gilsa. »Früher haben Mehlsäcke 50 bis 75 Kilo gewogen, das haben wir heute nicht mehr.« Heutzutage wiege ein Sack Mehl maximal 25 Kilogramm, das sei aushaltbar. Außerdem müsse er nur einmal die Woche für etwa eine Stunde Mehl schleppen, daher sei Kraftarbeit gar nicht so das Problem in einer Bäckerei.
»Junge Menschen heutzutage wollen Head of irgendwas sein. Sie haben keine Lust mehr darauf, früh aufzustehen und sich dreckig zu machen.«
Friedrich von Gilsa Betreiber Jute Bäckerei
»Die Temperatur ist aber anstrengend«, erklärt er. In der Backstube ist es angenehm warm, dabei steht die Tür zum Hinterhof weit offen. Die 13 Grad Außentemperatur kommen in der Stube trotzdem nicht an, weil der Ofen dauerhaft in Betrieb und immer wieder für neue Ladungen geöffnet wird. Im Hochsommer mit 30 Grad Außentemperatur sei das extrem belastend, so von Gilsa.
Die Arbeitszeiten seien seiner Meinung nach auch der Grund, weshalb es im Bäckerei-Betrieb einen starken Fachkräftemangel gebe: »Es ist sehr schwierig, neues Personal zu finden. Wenn jemand krank wird oder anderweitig ausfällt, muss ich einspringen.« Normalerweise arbeite von Gilsa gar nicht mehr in der Backstube selbst, da er viele bürokratische Tätigkeiten erledigen müsse. In der Zeit zwischen September und Mai hätte er aber täglich mit anpacken müssen, da ihm schlicht das Personal gefehlt habe.
»Junge Menschen heutzutage wollen Head of irgendwas sein«, sagt von Gilsa. »Sie haben keine Lust mehr darauf, früh aufzustehen und sich dreckig zu machen.« Von Gilsa ist überzeugt, dass das Handwerk irgendwann aussterben wird. Das sei nicht nur ein gesellschaftliches, sondern insbesondere ein politisches Scheitern, so der Bäcker.
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»Solange wir nicht bereit sind, mehr Geld für Lebensmittel auszugeben, wird es zukünftig keine kleinen Bio-Bäckereien mehr geben.« Dabei könne er durchaus verstehen, dass Inflation und steigende Lebenshaltungskosten den Berliner*innen und Brandenburger*innen zu schaffen machen. Deshalb sei es besonders auch ein Politikversagen, so von Gilsa.
Die steigenden Kosten spüre er auch selbst als Betreiber der Bäckerei: So habe er seine Miete neu verhandeln müssen und dürfe bis September 2025 nicht aus seinem Stromvertrag raus, obwohl er gekündigt habe. Zusätzlich kommen 25 000 Euro Corona-Ausgleichszahlungen, die das Land nun von ihm zurückverlangt.
»Ich habe in den Coronazeiten meine Mitarbeitenden nicht gefeuert und ihr Gehalt von diesen Ausgleichszahlungen bezahlt. Und jetzt wollen sie es von mir zurückhaben.« Es sei eine Preisspirale, sagt von Gilsa. Er sei enttäuscht von der Politik.
»Am Ende müssen wir uns fragen, was wir wollen. Wollen wir weiterhin kleine Betriebe mit frischem, handgebackenem Brot? Oder wollen wir es nicht mehr?«, fragt er in die Runde. »Wenn nicht, dann ist auch ok, dann mach’ ich was anderes.«
Sein Plan B, sollte es die Jute Bäckerei irgendwann nicht mehr geben, sei es, selbstständiger Landwirt zu werden, erklärt von Gilsa. Um Land zu kaufen, fehle ihm aber auch das Geld.
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