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Wer kennt wen?
Zwischen Patriarchenteich und Glienicker Brücke lernt man bei Andreas Pflüger »Wie Sterben geht«
Es ist nur ein Roman, versuche ich mein klopfendes Herz zu beruhigen, als ich auf der letzten Seite angelangt bin. Ein Roman, Roman, Roman.
Andreas Pflüger, Krimiliebhabern vielleicht als Autor von sechs Büchern über deutsche Geheimdienste und zahlreichen Drehbüchern für den »Tatort« bekannt, lässt sein siebentes Werk mit dem Ende mehrerer Schlapphutkarrieren beginnen, das nichts für schwache Nerven ist: Die Glienicker Brücke fliegt in die Luft.
Glienicker Brücke? Das berühmteste Bühnenbild des Kalten Kriegs. Hier wurden 1962 zum ersten Mal hochrangige Spione zwischen den USA und der Sowjetunion ausgetauscht, und weil das an diesem zentralen und dennoch verschwiegenen Grenzort zwischen der DDR und Westberlin offenbar gut klappte, folgten weitere Aktionen dieser Art.
Pflügers Helden und Antihelden pendeln Anfang der 80er Jahre zwischen dieser Brücke, dem süddeutschen Pullach (Sitz des BND), New York, Murnau und Berlin, dem Süden Frankreichs und dem Patriarchenteich in Moskau, der schon in Michail Bulgakovs Roman »Der Meister und Margarita« Schauplatz ist. Kaum hat der Autor begonnen, die Geschichte zu erzählen, da zerfetzt es ausgerechnet diese Brücke in 1000 Stücke und reißt offenbar einen Großteil der handelnden Figuren mit den Trümmerteilen in die Tiefe der Havel.
Was war geschehen? Wer sprengte das Bauwerk? Sind wirklich alle Beteiligten mausetot? 400 Seiten später herrscht Gewissheit über die Antworten auf alle diese Fragen. Auch darüber, wieso es eine 30-jährige, sportliche Frau aus Süddeutschland in die Rolle der Agentenführerin für einen sowjetischen Spion treibt, wie sie sich dann auch noch in dessen Sohn verlieben kann, und welche Selbstüberschätzung sie dazu veranlasst, drei Freunde aus dem Einflussbereich des sowjetischen Geheimdienstes herausholen zu wollen, obwohl sie als Spionin in Moskau gejagt wird.
Pflüger erzählt gewandt und leichten Tons. Er formuliert genau, schwingt gekonnt zwischen Witz und Nachdenklichkeit, lässt seinen Figuren Zeit für Entwicklung und führt Leserinnen und Leser gleichzeitig behutsam durch das Labyrinth der Spione und deren Umgebung. Dabei ist es nicht immer leicht zu verstehen, wer gerade wen kennt, benutzt, verrät, enttarnt, bedroht, beschützen oder vernichten will. Doch das macht eben auch einen Teil der Spannung aus. Sehr witzig ist übrigens die Marotte des Autors, seine Figuren über eine Beschreibung ihres Lachens zu charakterisieren: »Könnten Lurche lachen, so müsste es sich anhören.« Oder: »Er lachte, als hätte er es in einem Fernkurs gelernt.« Oder: »Sein Lachen erinnerte an Bremerhaven im Regen.« Man erwischt sich schnell dabei, nach diesen amüsanten Vergleichen direkt Ausschau zu halten.
Wir lernen beim Lesen einiges über tote Briefkästen, Beschattungsstrategien, Schüttelstrecken, Reinigungsschleusen, Foltermethoden und das Moskauer Straßen- und Metronetz. Freilich kann eine Rezensentin ebenso wenig wie eine neugierige Leserin alle Straßennamen und Entfernungsangaben zwischen Majakowskaja und Zarizyno überprüfen. Was sie in ihrer Wissbegierde nachschlug, verhielt sich wie vom Autor benannt; was sie zufällig wiedererkannte, hatte man höchstens umbenannt oder die Transkription hatte sich inzwischen verändert. Einige Namen und Ereignisse sind in der Tat Bestandteil der internationalen Spionagegeschichte, fügen sich harmonisch in den fiktiven Plot des Thrillers und werten ihn auf. Respekt für Recherche und Sorgfalt! Den Krimipreis 2023 hat Pflüger verdient. Und ebenfalls den Farbschnitt des blauen Buches, für den er auf Seite 316 die Erklärung selbst liefert: »Diese Farbe hatte der Himmel vor Unwettern.«
Andreas Pflüger: Wie Sterben geht. Suhrkamp, Berlin 2023, 448 S., geb., 25 €.
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