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Schizophrenie früher erkennen und behandeln
Ein Weißbuch Schizophrenie bündelt Wissen über die verbreitete psychische Krankheit
Die Woche der seelischen Gesundheit findet auch in diesem Herbst wieder mit vielen Aktionen statt. Vom 10. bis 20. Oktober 2024 gibt es bundesweit Veranstaltungen zu Hilfsangeboten und dem Austausch Betroffener. Das ist auch bitter nötig: Nicht nur ist das Versorgungsangebot für Menschen mit psychischen Krankheiten regional sehr unterschiedlich und oft nicht ausreichend, zusätzlich gibt es eine starke Stigmatisierung dieser Patienten. Wenn Menschen in einer psychischen Krise in der Öffentlichkeit auffallen, löst das Unbehagen und Ängste aus. Andererseits bleiben die meisten Betroffenen regelrecht unsichtbar.
Passend zum aktuellen Anlass stellte das Forschungsinstitut Iges in dieser Woche in Berlin das Weißbuch Schizophrenie vor. Hier gibt es auf 120 Seiten nicht nur fundierte Informationen zu Krankheitsbild und Verbreitung des Leidens oder zum Stand der Versorgung, sondern auch Denkanstöße, wie letztere verbessert werden kann.
Zu 90 Prozent erkranken Menschen schwer an Schizophrenie und haben lebenslang mit den Folgeproblemen zu kämpfen.
An einer Schizophrenie erkranken in Deutschland jährlich etwa 16 000 Menschen neu. Unter den gesetzlich Versicherten gibt es aktuell etwa 660 000 Patienten mit dieser Diagnose, schätzt Norbert Gerbsch vom Iges ein. »Das ist keine seltene Krankheit«, betont der Experte.
Schizophrenie zeigt sich in Denk- und Wahrnehmungsstörungen, es treten Wahnvorstellungen und Halluzinationen auf. Der äußere Ausdruck von Emotionen, wie etwa Freude oder Wut, ist beeinträchtigt. Für die Entstehung der Krankheit sind viele Faktoren verantwortlich, Mediziner gehen von einer starken genetischen Komponente aus. »Aber es gibt kein Schizophrenie-Gen«, erklärt Gerbsch. Hinzu kommen unter anderem soziale Faktoren. Schizophrenie tritt leicht häufiger in städtischer Umgebung auf als in ländlicher.
Die Folgen der Erkrankungen sind schwerwiegend: Die Lebensqualität verringert sich. Menschen, die anders und anderes wahrnehmen als ihre Umgebung, leiden früher oder später unter sozialen Beeinträchtigungen. Erheblich belastet sind oft die Angehörigen, meist die letzten, die von persönlichen Netzen übrig bleiben. Die Lebenserwartung verkürzt sich um etwa zehn Jahre, unter anderem auch durch Folgeerkrankungen. Die Lebensqualität kann durch Nebenwirkungen von Medikamenten stark beeinträchtigt sein.
Eine erste akute Krankheitsepisode zeigt sich meist schon im Alter von 18 bis 35 Jahren. Bereits fünf Jahre davor kann es psychische Veränderungen geben, die allerdings unspezifisch sind, also nicht einer bestimmten Krankheit zuzuordnen sind. Aus der Forschung ist ebenfalls bekannt, wie Anne Karow vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf berichtet, dass sich im Jahr vor der ersten Manifestation der Schizophrenie erste psychotische Symptome zeigen, darunter ein »eigenartiges, magisches Denken oder paranoide Vorstellungen«.
Die Schizophrenie beginnt also, wie psychische Krankheiten allgemein, früh im Leben. Zu 90 Prozent erkranken Menschen daran schwer und haben lebenslang auch mit den Folgeproblemen zu kämpfen. »Phasen von Stabilität sind möglich«, erklärt die Psychiaterin Karow, auch wenn es keine vollständige Gesundung gebe. Die Behandlung wird teils dadurch erschwert, dass die Patienten auch Drogen konsumieren und/oder in schwierigen sozialen Verhältnissen leben. Eine Behandlung mit Medikamenten sei in vielen Fällen essenziell, die Nebenwirkungen führen jedoch häufig dazu, dass die Pillen spontan abgesetzt werden. Stärkere Krankheitsschübe sind die Folge.
Ein Problem in Deutschland besteht darin, dass junge Erwachsene den höchsten Versorgungsbedarf haben, aber am schwierigsten Zugang finden. Je länger die Krankheit unbehandelt bleibt, auch nicht mit Psychotherapie und psychosozialer Begleitung geholfen wird, um so schlechter der Verlauf. Laut Karow gibt es durchaus Früherkennungsdiagnostiken. Diese kommen hierzulande aber nur in 20 eher kleinen Zentren, oft an forschenden Einrichtungen, zum Einsatz. »Weil die Betroffenen oft noch keine Diagnose haben, ist für eine solche Früherkennung keine Abrechnung möglich«, bedauert die Hamburger Fachärztin. Eigentlich gehöre diese in die Regelversorgung.
Wenn eine Früherkennung gelingt und psychiatrische und psychosoziale Angebote bereitstehen, werden weniger Behandlungen abgebrochen, die Patienten erholen sich besser und können ihr alltägliches Leben selbstbestimmt bewältigen. Außerdem ist eine Aufnahme im Krankenhaus seltener nötig. Zudem suchen sie auch selbstständig nach einer Therapie, im Gegensatz zu vielen spät Diagnostizierten, die zwar schwere Symptome haben, aber keine Krankheitseinsicht.
In Deutschland stehen solche Erkenntnisse zwar in medizinischen Leitlinien, in denen wissenschaftlich gesicherte Standards für Therapie und Diagnostik zusammengefasst sind. In der Praxis umgesetzt sind sie weniger. Gut eingeführt und systematisch angewendet ist die Schizophrenie-Früherkennung hingegen in Australien. Hier gerät Anne Karow fast ins Schwärmen: »Die entsprechenden Zentren gibt es dort nicht nur an Universitätskliniken, sondern sie sind auch in die Gemeinden integriert. Es gibt Aufklärungs- und Bildungsprogramme.« Jugendliche würden früh einbezogen. Sinnvoll sei die Vernetzung mit Bildungsorganisationen und ein Angebot von Online-Ambulanzen. So sei in der Breite viel Wissen über die Krankheit vorhanden, entsprechend höher die Aufmerksamkeit in der Gesamtbevölkerung.
Nicht nur die frühe Diagnostik ist wichtig, auch die Behandlung sollte früh beginnen: Bleibt eine Psychose, als Teil des Verlaufs einer Schizophrenie, unbehandelt, werden die Symptome intensiver und Medikamente sprechen weniger gut an.
Frühe Diagnostik und Therapie sind also unbedingt sinnvoll. Erschwert wird das auch dadurch, dass Versorgung und Begleitung psychisch Kranker in den Geltungsbereich verschiedener Sozialgesetzbücher fallen. Hinzu kommen die Schnittstellen zwischen ambulant und stationär, wo etwa lange Wartezeiten auf eine Psychotherapie nach einem Klinikaufenthalt für die Patienten äußerst ungünstig sind. Da auffangende und schützende Wohnmöglichkeiten häufig nicht ausreichen, werden die Kranken im schlechtesten Fall in die Obdachlosigkeit entlassen.
Hoffnungen auf Veränderung sind für die Fachgesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) mit der anstehenden Krankenhausreform verbunden. Und das, obwohl die Reform die Psychiatrie ausspart. Andreas Meyer-Lindenberg, DGPPN-Präsident, erklärt den Ansatz einer regionalen Versorgungsverpflichtung. Das bedeute, dass ein (größeres) Krankenhaus je Region die Verpflichtung für die Behandlung aller Bedürftigen übernimmt, und alle Not- und Akutfälle versorgt.
»Da Psychosen nicht planbar sind und oft unerwartet beginnen, müssten auch in der stationären Psychiatrie Vorhaltekosten – im Gegensatz zu den Kosten der tatsächlichen Fälle – kalkuliert und finanziert werden«, regt Meyer-Lindenberg an. Teams verschiedener Professionen sollten zudem in Zukunft Patienten auch zu Hause aufsuchen. Sie können stationäre Behandlungen verringern helfen. In Modellprojekten konnten so mehr Patienten versorgt werden als bei sonst nötiger stationärer Aufnahme.
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