Niedriglöhner sind wahlentscheidend

Christoph Ruf sieht Parallelen zwischen der politischen Situation in den USA und Deutschland

US-Wahl und deutsche Regierungskrise – Niedriglöhner sind wahlentscheidend

Ein Kumpel kam neulich mit einer spannenden Frage um die Ecke. Wo genau die Dummheit zu verorten sei, wollte er wissen. Und gab sich die Antwort gleich selbst: ziemlich genau zwischen Mexiko und Kanada. Kann man so sehen. Und doch hoffe ich, dass sich die europäische Politik tiefgründiger mit der US-Wahl auseinandersetzt. Die durch Trump/Musk verkörperte Allianz aus Niedertracht und Lobby-Interessen lässt sich künftig problemlos auch in Europa herstellen.

Noch am Wochenende vor der US-Wahl las ich, dass Abtreibung das wahlentscheidende Thema sei und Harris zum Sieg verhelfe. Nach der Wahl wurde klar: Wirtschaft war das entscheidende Thema; und Trump hat dort stark dazugewonnen, wo viele Menschen mit niedrigem Einkommen leben. Ich las auch (nach der Wahl, kann aber an mir liegen), dass es in den vergangenen Jahren Kaufkraftverluste um 20 Prozent bei Gering- und Normalverdienern gab. Wer da dennoch zur Wahl geht, dokumentiert damit, dass er der Politik grundsätzlich zutraut, Probleme lösen zu können. Er hat dann die Wahl zwischen Trump, der »America first« verspricht und jede Menge Sündenböcke benennt, und den Demokraten, die zwar mordsempathisch wirken, sein Problem letztlich aber weglächeln.

Christoph Ruf

Christoph Ruf ist freier Autor und beobachtet in seiner wöchentlichen nd-Kolumne »Platzverhältnisse« politische und sportliche Begebenheiten.

Die von Harris zur Wahl gestellte Alternative »Demokratie oder Trump« mag mir gefallen, letztlich dürfte das Menschen aber zu abstrakt sein, die ab dem 20. eines Monats nicht mehr wissen, wie sie die restlichen Tage überstehen sollen. Das alles ist natürlich kein Grund, Trump zu wählen, einen skrupellosen Milliardär, der schon bald zeigen wird, wer ihn rationalerweise gewählt hat: die Musks und Co. Wie es auch strohdumm ist, soziale Gerechtigkeit zu wollen und die Arbeitgeberpartei AfD zu wählen.

Dennoch ist es kein Zufall, dass das Gewinnerthema der französischen Rechten (»Kaufkraft«) auch das entscheidende in den USA war. Dass BSW, AfD und vielleicht auch die Linkspartei, wenn sie bei der Tonalität der vergangenen Wochen bleibt, bei der nächsten Bundestagswahl gut abschneiden werden, ist sicher. Der Feuilleton-Tenor in den Tagen danach klingt mir jetzt schon in den Ohren. Wer BSW und AfD in einem Atemzug nennt – was mich persönlich zum Wutbürger macht –, wird auch hier wieder nur eine Erosion der »Mitte« oder gar die gute alte »Demokratieverdrossenheit« sehen. Das aber ist eine gefährliche Wahrnehmungsverschiebung, die Harris den Sieg gekostet hat: Rechte von Donald Trump bis Alice Weidel nähren sich von tumbem Rassismus und von vielen der schlimmsten Eigenschaften, zu denen Menschen fähig sind. Sie nähren sich aber auch von einem Gefühl, das derzeit Millionen vereint. Dem Gefühl, dass die Themen, die wirklich ihren Alltag bestimmen, bei den Regierenden nicht gut aufgehoben sind.

USA-Wahl

Die Wahlen am 5. November 2024 waren für die US-Bürger wie auch den Rest der Welt eine wichtige Richtungsentscheidung. Alle Texte des »nd« über die Stimmung und Probleme im Land, über Kandidaten und ihre Visionen sowie über den Ausgang der US-Wahl finden Sie hier.

Welche der Parteien, die in den vergangenen 30 Jahren an der Regierung waren, sollen Leute wählen, die es empört, dass zwei Drittel ihres Einkommens für Miete draufgehen und sie ein Jahr auf einen Arzttermin warten müssen? Die FDP? Die beiden Komplementäre, die sich von ihr sozialpolitisch drei Jahre lang haben vorführen lassen? Die Blackrock-Merz-CDU gar? Eben.

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