»Der Prozess ist politisch motiviert«

Rechtsanwalt Wolfgang Kaleck über das Verfahren gegen den katalanischen Strafverteidiger Gonzalo Boye

  • Interview: Ralf Streck, San Sebastián
  • Lesedauer: 4 Min.
In Madrid angeklagt: Der Anwalt des ehemaligen Präsidenten Carles Puigdemont, Gonzalo Boye, vor der Ciutat de la Justicia in Barcelona
In Madrid angeklagt: Der Anwalt des ehemaligen Präsidenten Carles Puigdemont, Gonzalo Boye, vor der Ciutat de la Justicia in Barcelona

Warum sind Sie vergangene Woche nach Madrid gereist?

Wir haben mit mehreren prominenten europäischen Kolleginnen und Kollegen einen offenen Brief an die Generalstaatsanwältin von Spanien verfasst, weil wir die Anklage und die nunmehr stattfindende Hauptverhandlung vor der Audiencia Nacional gegen unseren Kollegen, den Madrider Rechtsanwalt Gonzalo Boye als eine Bedrohung nicht nur seiner anwaltlichen Unabhängigkeit betrachten. Denn seit Jahren werden in Spanien juristische Angriffe auf die katalanische Unabhängigkeitsbewegung geführt, man spricht von »lawfare«. Boye hat viele ihrer Vertreter – unter anderem den ehemaligen Präsidenten Carles Puigdemont – verteidigt. Die gegen ihn erhobenen Anklagepunkte sind äußerst schwerwiegend – Geldwäsche und Urkundenfälschung –, und es droht ihm eine Haftstrafe von fast zehn Jahren. Wir wollten den Prozess aufmerksam beobachten und uns selbst ein Bild davon machen, wie er geführt wird.

Welchen Eindruck haben Sie vom Verfahren gegen Drogenbosse vor dem Nationalen Gerichtshof in Madrid, in dem auch Boye angeklagt ist?

Meine Eindrücke sind in vielerlei Hinsicht bemerkenswert: Es gibt deutliche Anzeichen dafür, dass die Staatsanwaltschaft nicht auf eine faire und differenzierte Beurteilung der Vorwürfe abzielt, sondern darauf, Boye zu diskreditieren. Er sitzt in einem monatelangen Prozess mit knapp 50 Angeklagten, denen unter anderem schwerwiegender Drogenhandel vorgeworfen wird. Diese Vermischung völlig unterschiedlicher Tatkomplexe schafft ein Bild, das nachhaltig der Reputation des Anwalts schaden wird.

Interview

Wolfgang Kaleck ist Fachanwalt für Strafrecht. Er ist seit 2007 Generalsekretär des European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR), das sich global für die Aufklärung von Menschen­rechtsverbrechen einsetzt. Kaleck war zum Prozessauftakt gegen den Anwalt Gonzalo Boye, der mit dem ECCHR häufig zusammengearbeitet hat, vor Ort im Gericht.

Warum haben Sie erklärt, ein solcher Vorgang wäre in Deutschland undenkbar?

In Deutschland würden unterschiedliche Tatkomplexe, wie sie hier vorliegen, getrennt behandelt werden, damit der Prozess nicht unnötig kompliziert und langwierig wird. Besonders ein Anwalt wie Boye, der nur mit einem zeitlich sehr späten Ausschnitt des Geschehens zu tun gehabt haben soll, würde nicht zusammen mit den mutmaßlichen Haupttätern vor Gericht stehen. Zuerst müsste geklärt werden, ob die Hauptangeklagten überhaupt des Drogenhandels schuldig sind. Dass Boyes Verfahren zusammen mit den anderen läuft, ist nicht nur unüblich, sondern auch eine enorme Belastung für ihn, sowohl finanziell als auch beruflich.

Was ist der Hintergrund für dieses Vorgehen?

Man muss sich den politischen Kontext anschauen: In Spanien werden seit etwa 2017 katalanische Politiker juristisch verfolgt, Puigdemont wurde wegen Rebellion und Veruntreuung öffentlicher Mittel angeklagt, obwohl es dafür keine Beweise gab. Boye hat viele Exilpolitiker verteidigt – und erreichte viele juristische Erfolge vor europäischen Gerichten, die die spanische Regierung nachhaltig schmerzen. Es ist kein Zufall, dass er nun selbst in den Fokus der Staatsanwaltschaft geraten ist. Die Repression gegen Aktivisten und ihre Anwälte ist unverhältnismäßig und verletzt grundlegende Menschenrechte. Dass solche Verfahren politisch motiviert sind, ist für uns, die wir die Situation aus der Ferne beobachten, sehr offensichtlich.

Wie beurteilen Sie die Tatsache, dass die Anwaltskollegen in Spanien zu den Vorgängen schweigen?

Das Schweigen der spanischen Anwaltschaft ist nicht nur enttäuschend, sondern auch besorgniserregend. In Deutschland wäre es undenkbar, dass ein Anwalt, der in einem solchen Verfahren unter Druck steht, nicht von seinen Kolleginnen und Kollegen unterstützt wird.

Dieses Schweigen hat mehrere Gründe. Viele Anwälte in Spanien befürchten, dass sie selbst ins Visier der Behörden geraten könnten, wenn sie sich offen für Boye einsetzen. Diese Atmosphäre der Einschüchterung ist symptomatisch für ein System, in dem die Unabhängigkeit der Justiz zunehmend untergraben wird.

Ein weiterer Grund könnte die Politisierung der Justiz sein. In Spanien hat der notwendige Bruch mit der frankistischen Tradition jedenfalls im Justizsystem nie stattgefunden. In einem System, in dem politische und juristische Interessen immer stärker vermischt werden, wird es für Anwälte schwieriger, sich unabhängig zu positionieren. Das ist eine gefährliche Entwicklung, die nicht nur die Rechte von Anwälten, sondern auch die Rechte ihrer Mandanten bedroht.

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Boye steht, trotz des Schweigens vieler spanischer Kollegen, nicht allein da. Viele katalanische Anwälte haben ihre Unterstützung zugesichert und wir haben mit dem Brief an die Generalstaatsanwältin ein Zeichen gesetzt.

Haben Sie noch etwas hinzuzufügen?

Ja, dieser Prozess betrifft nicht nur Gonzalo Boye. Die Ermittlungen gegen ihn waren in vielerlei Hinsicht überzogen und unrechtmäßig. Es wurden sensible berufliche Daten beschlagnahmt, ohne dass ein rechtlicher Grund dafür vorlag. Ein derartiger Eingriff in die Kommunikation eines Anwalts ist nicht nur unzulässig, sondern gefährdet auch das Recht auf ein faires Verfahren. Man muss sich fragen, wie es möglich ist, dass solche Maßnahmen überhaupt Anwendung finden konnten – es geht hier nicht nur um Boyes Fall, sondern auch um das Vertrauen in den Rechtsstaat. Wenn Anwälte ihre Arbeit nicht mehr ungestört machen können, ohne dass ihre eigenen Rechte auf dem Spiel stehen, ist das ein sehr ernstes Problem für die gesamte Justiz.

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