• Berlin
  • Koalitionsverhandlungen

Ohne zweites Gespräch mit Wagenknecht

SPD und BSW in Brandenburg haben ihren Koalitionsvertrag im Entwurf fertig

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 4 Min.
Ministerpräsident Dietmar Woidke (l.) und BSW-Landeschef Robert Crumbach mit dem Entwurf des Koalitionsvertrags
Ministerpräsident Dietmar Woidke (l.) und BSW-Landeschef Robert Crumbach mit dem Entwurf des Koalitionsvertrags

»Die Koalition steht noch nicht«, stellt Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) am Mittwoch klar. Aber ein wichtiger Schritt sei geschafft, die Basis für die künftige Zusammenarbeit mit dem Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) gelegt. »Die inhaltliche Arbeit am Koalitionsvertrag ist abgeschlossen«, sagt Woidke am Nachmittag. Nun müssten im nächsten Schritt die Gremien der beiden Parteien zustimmen. Bei der SPD solle der Landesvorstand noch in dieser Woche abstimmen und am 6. Dezember ein Parteitag.

67 Seiten lang ist der Entwurf des Koalitionsvertrages. Damit ist er deutlich kürzer als der 2019 von SPD, CDU und Grünen ausgehandelte Vertrag. Dieser jetzt »verzichtet auf überflüssige politische Lyrik und überzogene Kleinteiligkeit«, lobt Finanzministerin Katrin Lange, die zusätzlich stellvertretende SPD-Landesvorsitzende ist. Da keine »falsch verstandene Detailverliebtheit« enthalten sei, bleibe »Luft«. Lange erinnert daran, dass der sehr ausführliche und detaillierte Koalitionsvertrag von 2019 in vielen Punkten schnell überholt war durch die im Frühjahr 2020 ausgebrochene Corona-Pandemie und den im Februar 2022 begonnenen Krieg Russlands gegen die Ukraine.

»Die Koalitionsverhandlungen, die waren nicht immer einfach, aber wir haben es trotzdem geschafft«, sagt der BSW-Landes- und Fraktionsvorsitzende Robert Crumbach. Für die kommenden fünf Jahre hofft er: »Wir werden anders als die Vorgängerregierung miteinander umgehen, wir werden weniger streiten.« Wie viel BSW im Koalitionsvertrag sei? »Ich tue mich schwer mit Prozenten.« Er könnte sagen, die 67 Seiten seien »tief lila eingefärbt« beziehungsweise wolle besser sagen: »Die Handschrift des BSW ist deutlich erkennbar.«

Lila ist die Farbe der Wagenknecht-Partei. Mit Sahra Wagenknecht persönlich gesprochen hat Ministerpräsident Woidke vor Beginn der Verhandlungen, nun jedoch nicht mehr. »Das war auch nicht nötig«, versichert er. Das Ergebnis der Landtagswahl vom 22. September lasse eine andere stabile Koalition mit eigener Mehrheit im Parlament »fernab der Rechtspopulisten von der AfD« gar nicht zu, betont Woidke.

Die bestehenden Vorbehalte gegen das BSW sind Woidke bewusst. Doch das erinnere ihn an die erste rot-rote Koalition in Brandenburg, die 2009 eingefädelt wurde. Da habe es allgemein und auch innerhalb der SPD »riesengroße Vorbehalte, Befürchtungen und Diskussionen« gegeben. Doch dann seien zehn Jahre erfolgreicher Zusammenarbeit von SPD und Linke gefolgt. »Mit den Linken haben wir das geschafft – und ich bin überzeugt, dass uns das mit dem BSW gelingen kann«, meint Woidke. Der 63-Jährige spielte schon in der rot-roten Koalition eine maßgebliche Rolle, war erst SPD-Fraktionschef, dann Innenminister und übernahm schließlich im Sommer 2013 von Matthias Platzeck den Posten des Regierungschefs, den er bis heute innehat.

Im Entwurf des Koalitionsvertrags steht unter anderem, dass »die Fähigkeit der Bundeswehr zur Verteidigung gestärkt werden muss«. SPD und BSW bekennen sich zu den Bundeswehrstandorten in Brandenburg. Dies war bereits ein Ergebnis der Sondierungsgespräche, die den am 4. November gestarteten Koalitionsverhandlungen vorgeschaltet waren. Ergänzend heißt es nun im Vertragsentwurf: »Wir unterstützen die Entwicklung dieser Standorte, den Ausbau der zivilen Infrastruktur und die Ansiedlung entsprechender Wirtschaftsunternehmen.«

Der Bundestagsabgeordnete Christian Görke (Linke) sieht damit eine Hintertür für die Aufrüstung geöffnet und nennt das BSW einen »Pseudo-Friedensapostel«, der seine »Grundsätze fürs Regieren innerhalb weniger Wochen über Bord wirft«. Ob es der BSW-Landtagsabgeordnete Sven Hornauf tut, muss sich erst zeigen. Er hatte angekündigt, er könne Woidke nicht zum Ministerpräsidenten wählen, wenn dieser an der Aufrüstung am Luftwaffenstützpunkt Holzdorf festhalte. Auch dass 100 Millionen Euro Landesgeld in die Infrastruktur rund um den Fliegerhorst fließen, wollte Hornauf nicht akzeptieren.

»Es gibt keine 100 Millionen Euro Landesmittel«, bemüht sich Woidke am Mittwoch um eine Richtigstellung. »Das ist Quatsch«, beteuert er. Es sollen Bundesmittel für den Strukturwandel im Lausitzer Braunkohlerevier fließen – für den Bau von Schulen und Kitas dort, wo neue Arbeitsplätze entstehen. Davon solle nicht allein Holzdorf an der Grenze zu Sachsen-Anhalt profitieren, erklärt Woidke. Darauf angesprochen, sagt der Bundestagsabgeordnete Görke gegenüber »nd«, es seien tatsächlich Bundesmittel, aber Gelder, über die das Land verfügen könne.

Wenn ein BSW-Landesparteitag der Koalition seinen Segen gibt, dann werde die BSW-Fraktion geschlossen für Woidke stimmen, kündigt BSW-Landeschef Crumbach an. Ob das bedeutet, dass Hornauf umgestimmt wurde oder ausgeschlossen wird? Dazu bestätigt Crumbach nur trocken, dass es genau diese zwei Möglichkeiten gebe. Einen Abweichler können sich SPD und BSW erlauben, einen zweiten allerdings nicht. Es gibt das Gerücht, auch eine zweite Person in der BSW-Fraktion habe Bauchschmerzen wegen Holzdorf. Bestätigt ist dieses Gerücht allerdings nicht.

Von den neun Ministerien plus Staatskanzlei, in die sich die Landesregierung weiterhin aufteilen soll, sind dem BSW die drei Ministerien für Finanzen, Infrastruktur sowie Gesundheit und Soziales versprochen. Angeblich ist Templins von der Linken zum BSW gewechselter Bürgermeister Detlef Tabbert als Infrastrukturminister vorgesehen. Auch Crumbach wird eventuell Minister, wenn die SPD das von ihm erwartet, obwohl er sich auch gern mit dem Posten des Fraktionschefs begnügt hätte. Offiziell werden aber noch gar keine Namen genannt. Nur dass Woidke Ministerpräsident bleibt, versteht sich quasi von selbst.

Aus dem Entwurf des Koalitionsvertrags
  • Die Zahl der Stellen bei der Polizei soll von 8250 auf 9000 erhöht werden.
  • Der umstrittene Verfassungstreuecheck für Beamte soll bereits 2025 überprüft werden, ob es sich um einen verhältnismäßigen Eingriff in die Grundrechte handelt.
  • 20 Prozent der Studierenden mit Wohnheim­plätzen zu versorgen, wird weiter angestrebt. Bisher wurde das Ziel nicht erreicht.
  • Zur Vergabe von öffentlichen Aufträgen und Fördermitteln soll eine Tariftreue-Regelung eingeführt werden. Firmen ohne Tarifvertrag sollen ihren Beschäftigten dann mindestens 15 Euro pro Stunde bezahlen, wenn sie einen Auftrag vom Staat wollen.
  • Um Nachwuchs soll die Bundeswehr während der Unterrichtszeit werben dürfen, wenn die Schulen das selbst zulassen, aber nicht im Unterricht. Es wird empfohlen, auch die Zivilgesellschaft einzuladen.
  • Die Zahl der Lehrer-Studienplätze in Potsdam und Senftenberg soll von jetzt 1360 auf 1560 aufgestockt werden. af
Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken von Socken mit Haltung und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.