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Man tötet nicht aus Überlastung
Sarah Yolanda Koss über die Spitze struktureller Diskriminierung
Mehrere Personen baumeln von einer Brandenburger Brücke, eine davon im Rollstuhl. Darüber ein Transparent: Gewalt kommt auch durch »helfende Hände«. Vor vier Jahren ermordete eine Pflegerin in einem Potsdamer Heim für Menschen mit Behinderungen Lucille H., Andreas K., Martina W. und Christian S. Der Fall löste eine Debatte aus. Denn nicht etwa die Opfer der Gewalttat standen im Mittelpunkt. Stattdessen drehte sich der Diskurs um die überlastete Pflege, menschenverachtende Spekulationen über den »Erlös der Opfer von ihren Leiden« standen im Raum. Die strukturellen Bedingungen der Diskriminierung, der Ableismus, wurden verkannt.
Laut einem Rechercheprojekt von AbilityWatch e. V. gab es in den letzten zehn Jahren 43 Gewaltfälle mit mindestens 218 Betroffenen in deutschen Einrichtungen. Die Dunkelziffer ist höher, denn oft gibt es in derlei Situationen keine Möglichkeit, Gewalterfahrungen nachzuweisen.
Am Montag erinnerten Aktivist*innen der Organisation »Ableismus tötet« mit einer Kletteraktion auf einer Brücke an den Brandenburger Havelauen an die Gewalttaten in Potsdam. Eine der Aktivist*innen, Mara, fasst die strukturelle Diskriminierung zusammen: »Man tötet nicht nur aus Überlastung, sonst hätten die vielen Menschen, die in schlechten Arbeitsverhältnissen ausgebeutet werden, schon lange ihre Chefs umgebracht. Man tötet, weil man das Leben der anderen Person als unwert empfindet«. Die Überlastung der Pflege ist Teil der Erklärung. Sie darauf zu reduzieren, wäre zu simpel.
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