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- Aus den faschistischen Amerikas
Autoritarismus in vielen Gewändern
Auf einem Treffen in Argentinien wurde über den Aufstieg der globalen Rechten diskutiert. Unser Kolumnist Daniel Loick aus Buenos Aires
Bardella, Erdoğan, Kickl, Meloni, Milei, Modi, Netanjahu, Orbán, Putin, Trump, Weidel, Wilders – es ist oft eine Liste von Namen, die unterstreichen soll, dass es sich bei autoritären und neofaschistischen Entwicklungen nicht mehr nur um nationale Einzelfälle, sondern um ein weltweites Phänomen handelt. Die Bewegungen, für die diese Namen stehen, scheinen alle ähnliche Programme zu verfolgen: rassistische Ausgrenzung, Untergrabung demokratischer Institutionen, Nostalgie für eine traditionelle Geschlechterordnung, Bejahung ökologischer Zerstörung. Solche Auflistungen können durchaus nützlich sein, um die Gemeinsamkeiten dieser zahlreichen Bewegungen herauszustellen und so auf das globale Ausmaß der Bedrohung hinzuweisen.
Einige Autoritarismen sind protektionistisch, andere neoliberal, einige christlich, andere islamistisch, andere hinduistisch, einige stehen in der Tradition des Kolonialismus, andere in der eines post-kolonialen Staatsprojekts.
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Gleichzeitig sind solche Listen aber auch irreführend. Denn zum einen blendet die Fixierung auf Einzelpersonen die breiteren gesellschaftlichen Strukturen aus, die deren Aufstieg überhaupt erst ermöglicht und befördert haben. Zum anderen riskieren sie, gerade das Spezifische unterschiedlicher Tendenzen aus dem Blick zu verlieren. Faschismus kommt in vielen verschiedenen Varianten vor, die sich zum Teil überschneiden, zum Teil aber auch gegenseitig bekämpfen: Einige Autoritarismen sind protektionistisch, andere neoliberal, einige christlich, andere islamistisch, andere hinduistisch, einige stehen in der Tradition des Kolonialismus, andere in der eines post-kolonialen Staatsprojekts. In der letzten Woche war ich in Buenos Aires auf einem Workshop, bei dem es genau um diese Unterschiede ging.
Daniel Loick ist Abolitionist und Associate Professor für Politische Philosophie an der Universität Amsterdam. Im Rahmen eines Auslandsaufenthalts schreibt er in seiner Kolumne »Aus dem faschistischen Amerika« alle zwei Wochen über den autoritären Alltag in den USA und Argentinien.
Debaditya, unser Partner aus Delhi, verwendet zum Beispiel die Metapher des ständigen Gewahrsams, um die gegenwärtige indische Gesellschaft zu beschreiben: Hindus werden vom Staat zugleich eingeschlossen und beschützt, während Moslems aus der Staatsbürgerschaft ausgeschlossen und als vogelfrei erklärt werden. Für Zeynep ist Erdoğans Zeigefinger das Symbol des türkischen Autoritarismus: das Staatsoberhaupt als Patriarch, der ebenso sorgt wie mahnt. Gisela, unsere argentinische Gastgeberin, vertritt die These, dass das Symbol der Kettensäge, die zu Mileis Markenzeichen geworden ist, ganz anders funktioniert als Trumps Versprechen des Mauerbaus: Während die Mauer Schutz vor einem unbefugten Eindringling verspricht, drückt sich in der Kettensäge nur noch ein nihilistischer Todestrieb aus. Milei-Wähler*innen, so Giselas Erklärung, haben jedes Gefühl für die Möglichkeit einer Zukünftigkeit verloren und kompensieren diesen Verlust dadurch, dass sie das Chaos und die Zerstörung bejahen und genießen.
Am Tag nach dem Workshop besuchten wir Esma, eine Gedenkstätte, die sich in einem ehemaligen Foltergefängnis befindet. Während der Militärdiktatur in Argentinien wurden hier zwischen 1976 und 1983 Tausende Menschen interniert, gefoltert und ermordet. Während des Besuchs sagt Zeynep zu mir, dieser Ort erinnere sie an die Geschichten ihrer Freunde, die selbst Militärcoups erlebt haben: »Wenn ich diese Räume sehe, sehe ich die Türkei«. Ich hingegen muss an die Bilder der von Trump beauftragen Konzentrationslager in El Salvador denken, auf denen auf engsten Raum zusammengepferchte Menschen mit abgeschorenen Haaren eine Hintergrundkulisse für die Fototermine republikanischer Politiker*innen abgeben. Vielleicht liegt die Gemeinsamkeit unterschiedlicher Varianten von Faschismus nicht so sehr in den Programmen und Ideologien als in ihren Methoden, Prozeduren, Architekturen der Grausamkeit. Faschismus ist wandlungsfähig und facettenreich – was aber immer und überall gleich zu bleiben scheint, sind nicht die Namen der Anführer, sondern die unbegrenzte sadistische Kreativität ihrer Folterknechte.
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