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Selenskyj geht weiter gegen Kritiker vor
Der ukrainische Präsident verhängt Sanktionen gegen seinen ehemaligen Berater und einen Politikwissenschaftler
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat gegen mehrere kritische Personen Sanktionen erlassen. Zu den bekanntesten Betroffenen gehören der Politikwissenschaftler Kostjantyn Bondarenko, der Blogger Myroslaw Oleschko und der ehemalige Präsidentenberater Oleksij Arestowytsch.
Die ukrainische Regierung wirft ihnen vor, »ihr Schicksal mit der Propaganda und den Interessen des russischen Staates« verbunden zu haben und »den Krieg zu rechtfertigen sowie aktive Informations-Operationen zum Schaden der Ukraine« zu führen. Den Betroffenen wurden unter anderem die Konten eingefroren. Außerdem dürfen sie sich nicht mehr medial betätigen und in der Ukraine bewegen, was im Fall von Oleschko und Arestowytsch zunächst obsolet ist, da beide die Ukraine verlassen haben.
»Die Sanktionen sind zu einem Mittel der Abrechnung mit politischen Gegnern geworden.«
Oleksij Arestowytsch
Ehemaliger Präsidentenberater
Kritik an Armee und Mobilisierung
Bondarenko hatte im vergangenen Jahr eine kritische Selenskyj-Biografie veröffentlicht, in der er den Präsidenten als Joker in einem geopolitischen Spiel darstellte. In der Ukraine wurde das Werk heftig diskutiert. Oleschko kritisiert vor allem die hohen Verluste der Armee und die brutale Zwangsmobilisierung im Land.
Arestowytsch war von 2019 bis Januar 2023 Berater von Selenskyj, der im ersten Kriegsjahr große Bekanntheit erlangte, als er das Kriegsgeschehen täglich kommentierte – auf Russisch. Nationalisten warfen ihm schon damals Verrat vor. Nachdem Arestowytsch einen Raketeneinschlag in der Großstadt Dnipro nicht getreu der Staatslinie kommentiert hatte, zog er sich zurück. Seine Beliebtheit litt nicht darunter.
Arestowytsch zeigte politische Ambitionen
Nach seiner Ausreise wurde Arestowytsch zu einem der meistgehörten Kritiker der Politik Selenskyjs. Im April ging er hart mit den Sanktionen des Nationalen Sicherheitsrates gegen Journalisten ins Gericht. Sie seien zu einem Mittel der Abrechnung mit politischen Gegnern geworden, würden zur Erpressung genutzt. Um nicht auf der Sanktionsliste zu landen, müsse man zahlen, so Arestowytsch.
Im vergangenen November sorgte er für Aufsehen, als er einen 14-Punkte-Plan für seine Präsidentschaft vorlegte und Verhandlungen mit Russland ins Spiel brachte. Kiew startete daraufhin eine Diskreditierungskampagne gegen Arestowytsch. Auch damals wurde er als russischer Propagandist gebrandmarkt. Ein Vorwurf, der absurd erscheint, da er in Russland und Belarus als »Extremist« auf Fahndungslisten steht.
Sanktionen für politische Kampagne missbraucht
In den jetzt erlassenen Sanktionen sieht Arestowytsch ein »illegitimes Instrument, dass zum Ausschalten politischer Konkurrenten genutzt wird«. Ähnlich versucht Selenskyj seit Monaten, seinen Amtsvorgänger Petro Poroschenko fernzuhalten.
Selenskyj steht innenpolitisch zunehmend unter Druck, weil er trotz großspuriger Ankündigungen die Folgen des Krieges nicht mehr in den Griff bekommt. Auch die brutale Mobilisierung und das Scheitern seines Kursk-Einmarsches wiegen schwer. Internen Umfragen zufolge sollen über 60 Prozent der Ukrainer unzufrieden mit ihm sein, im Süden und Osten sogar über 70 Prozent. Zuletzt hatte die Regierung das Budget staatlicher Propagandakanäle erhöht.
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Präsidentschaftswahl: Ja oder nein
All das sind Anzeichen, dass sich Selenskyj möglicherweise doch auf eine Präsidentschaftswahl vorbereitet. Mit Verweis auf das geltende Kriegsrecht ist diese in der Ukraine ausgesetzt. Insbesondere Moskau fordert vehement eine Präsidentschaftswahl, um dann einen kremltreuen Kandidaten ins Amt zu bringen, so der Vorwurf aus der Ukraine und Europa. Aber auch Washington ließ immer wieder durchblicken, dass eine Wahl ein Kriegsende näherbringen könnte.
In ukrainischen Medien gab es immer wieder Berichte, dass Selenskyjs Büroleiter Andrij Jermak durchaus eine Wahl vorbereite. Erst vor wenigen Tagen schrieb der regierungskritische Telegram-Kanal von einem »russischen Szenario«, das vorbereitet werde, bei dem oppositionelle Medien und Politiker ausgeschaltet würden und Selenskyj lediglich gegen Statisten antreten müsse. Beweise dafür gibt es allerdings nicht.
Selenskyj will Siegesparade in Moskau bombardieren
Mit Innenpolitik beschäftigt sich Selenskyj dieser Tage aber kaum. Vielmehr sonnt er sich im vermeintlichen Erfolg des gerade abgeschlossenen Rohstoffabkommens mit den USA. Und spricht Drohungen gegen Moskau aus. Nachdem Selenskyj Wladimir Putins Waffenstillstand rund um den 9. Mai zurückgewiesen hat, ließ er Roman Kostenko, Sekretär des Rada-Komitees für nationale Sicherheit im Radio darüber fabulieren, dass man die Waffen habe, um die Siegesparade auf dem Roten Platz zu treffen. »Das ist keine große Herausforderung«, behauptete Kostenko.
Eine leere Drohung, geht es doch nicht ohne US-Hilfe. Und Donald Trump wird solch eine Aktion kaum genehmigen. Zumal auch Soldaten aus China anwesend sein werden, mit dem Selenskyj sich einen Bruch nicht leisten kann.
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