Leuchtturm in der Wüste

Mit einer letzten Staffel beendet der NDR sein Erfolgsformat »Coronavirus-Update«

  • Frédéric Valin
  • Lesedauer: 4 Min.
Rollt als Nächstes die Vogelgrippe auf uns zu? In Nordamerika geht sie schon um.
Rollt als Nächstes die Vogelgrippe auf uns zu? In Nordamerika geht sie schon um.

Der Podcast »Coronavirus-Update« war zu Beginn der Pandemie mit die verlässlichste und zugänglichste Informationsquelle, die es in der deutschen Medienlandschaft gab. Jeden Morgen gab einer der weltweit führenden Corona-Experten, Dr. Christian Drosten, Ein- und Ausblicke zu dem Erreger und seiner Verbreitung, möglichen Gegenmaßnahmen und dem Forschungsstand. Der Podcast, moderiert von Korinna Hennig, Anja Martini und Beke Schulmann, hat mehr als ein halbes Dutzend Preise gewonnen; er galt als herausragendes Beispiel für konstruktiven Journalismus – gerade auch, weil er die Hörer*innen nicht unterforderte.

Fünf Jahre nach Beginn der Pandemie hat der NDR ein Update zum Update gelauncht und weitere zehn Folgen produziert, die sich der Frage widmen, welche Lehren die Wissenschaft aus der Pandemie gezogen hat. Anders als im ursprünglichen Update sind die Folgen als Reportagen aufgebaut; es geht etwa darum, wie Labore arbeiten und funktionieren, wie Zoonosen (also von Tier zu Mensch und umgekehrt übertragbare Erreger) überwacht werden, wie die Veterinärmedizin mit Pandemien umgeht, und um die gesundheitlichen Langzeitfolgen wie etwa Long Covid.

Ungeklärt bleibt die Frage: Können Forschende sich hinter der Politik verstecken?

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Der Podcast kommt zur richtigen Zeit, weil die Forschung mit der Amtseinführung Trumps in den USA einen harten Schlag nach dem nächsten einstecken muss. Die komplette Infrastruktur der US-amerikanischen Forschung ist einer Brandrodung ausgesetzt; Zweifel sind angebracht, ob in Zukunft überhaupt noch viel relevante Wissenschaft betrieben werden kann. Angesichts der aktuell in den USA und Kanada grassierenden Vogelgrippe zeigt sich schon heute, wie mangelnde staatliche Kontrolle und eine Unterfinanzierung der Wissenschaft wirken: Man weiß schlicht nicht genug über diesen Gefahrenherd.

Was man weiß, ist, dass das Virus vereinzelt auf Menschen übergesprungen ist, und dass sehr wahrscheinlich auch Mensch-zu-Mensch-Übertragungen stattgefunden haben. Das bedeutet nicht, dass sofort eine neue Pandemie droht, aber es sind doch Warnzeichen, genauer hinzusehen, wie sich das Virus entwickelt. Das aber geschieht zumindest in den USA gerade nicht – entsprechend sorgenvoll respektive alarmiert klingen auch die befragten Expert*innen.

Wer einen ersten Überblick haben will, wie die Fachwelt auf die aktuelle Lage blickt, ist mit der neuen Staffel »Coronavirus-Update« gut bedient. Was sie nicht leisten will, obwohl das Problem immer wieder am Rande aufscheint: eine gesellschaftliche Aufarbeitung der Seuchenjahre. Der Podcast konzentriert sich auf medizinische Perspektiven und lässt die gesellschaftspolitische außen vor. Wenn überhaupt, erscheinen Politik und Gesellschaft als Felder, die es für die Wissenschaft zu bestellen gilt: In Folge sieben ist entsprechend viel von Kommunikation und Politikberatung die Rede, ohne dass die Frage gestellt wird, inwiefern Medizin und Forschung in sich selbst schon ideologisch sind.

Bisweilen fehlt der größere intellektuelle Rahmen, den Corona aufgemacht hat. Nicht nur, dass immer wieder Vertreter*innen der medizinischen Disziplinen durch gesellschaftspolitische Statements aufgefallen sind (wer wann wie zu durchseuchen sei zum Beispiel oder wie unter den Bedingungen einer Pandemie zu triagieren sei) – gerade im Vergangenheitsaufarbeitungsweltmeisterland Deutschland gäbe es da durchaus Potenzial, zu hinterfragen, inwiefern Forschung sich darauf zurückziehen kann zu sagen: Wir liefern Erkenntnisse, die Einordnung muss von der Politik erfolgen. Kaum eine andere Berufsgruppe war ähnlich verstrickt in Nazi-Verbrechen; dass sich heute Ärzt*innen und Forschende hinstellen und sagen, wir überlassen die Bewertung anderen und beziehen keine Position, ist wahlweise dramatisch, unverantwortlich oder mindestens naiv. Es wäre mindestens eine Folge wert gewesen, soziologische Aspekte zu besprechen. So läuft das Konzept des Podcasts auf eine Herabsetzung der Geistes- und Sozialwissenschaften hinaus, wobei das nicht unbedingt seine Schuld ist. Eine Kulturlandschaft, die Richard David Precht als medialen Leuchtturm akzeptiert, kann nichts anderes sein als eine sehr flache Wüste.

Dieses »Coronavirus-Update« stellt solche Fragen nicht. Und wird es wohl auch in Zukunft nicht tun. Denn der erfolgreiche Kanal wird von der ARD zwar weiter genutzt, aber dort findet ab sofort etwas anderes statt: eine Reihe »11KM-Stories«, »ein Feed für spannendes Storytelling«, zu dem Update-Macherin Korinna Hennig einlädt: »Journalistinnen und Journalisten der ARD erzählen euch in mehrteiligen Serien wahre Geschichten und tiefe Recherchen und wie die sich überraschend entwickelt haben.« Wer hier überraschend tief nach unten scrollt, findet weiterhin sämtliche Staffeln des »Coronavirus-Update«.

Das »Coronavirus-Update« ist frei zugänglich in der Audiothek der ARD (ardaudiothek.de).

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