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  • Das 31. Jüdische Filmfestival Berlin Brandenburg

Für mehr Offenheit

Das Jüdische Film­festival Berlin Brandenburg (JFBB) spiegelte auch dieses Jahr die Vielfalt des jüdischen Films wider

  • Susanne Gietl
  • Lesedauer: 4 Min.
Szene aus Dani Rosenbergs Film »Of Dogs and Men«, der den Gershon-Klein-Spielfilmpreis gewann
Szene aus Dani Rosenbergs Film »Of Dogs and Men«, der den Gershon-Klein-Spielfilmpreis gewann

Wie begegnet man den Ereignissen des 7. Oktober 2023? Mit Mut und viel Willen zum Dialog. Gleich mit dem Eröffnungsfilm, Daniel Robbins’ Familienkomödie »Bad Shabbos«, setzte das 31. Jüdische Filmfestival Berlin Brandenburg (JFBB) ein Zeichen.

»Bad Shabbos« ist eine schwarzhumorige Komödie über die Entsorgung einer Leiche nach Schabbatregeln – und bringt dabei Tradition, Familie und Religion pointiert zusammen. In bester Woody-Allen-Manier setzte Robbins den Ton für das Festival: Auch wenn wir uns nicht immer einig sind, sollten wir uns doch zuhören, um gemeinsam und generationenübergreifend eine Lösung zu finden.

Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft gehen oft Hand in Hand. Das wusste schon Schriftsteller William Faulkner: »Das Vergangene ist nicht tot, es ist nicht einmal vergangen.« Im Programm spiegelt sich Faulkners Aussage wider. Art Spiegelman, Sohn zweier Überlebender des Konzentrationslagers Ausschwitz-Birkenau, zitiert Faulkner in seinem ernsten schwarz-weißen Comic »Maus – Die Geschichte eines Überlebenden«. Molly Bernsteins und Philip Dolins Dokumentarfilm »Art Spiegelman: Disaster is my Muse« widmet sich Leben und Werk dieses außergewöhnlichen Mannes.

In »Maus« zeichnet Spiegelman die Stationen seines Vaters Vladek Spiegelman. Die Juden sind im Holocaust-Comic die Mäuse, die Nationalsozialisten Katzen. Spiegelman setzt sich mit Trauma, Schuld und Erinnerung auseinander, erzählt das Unsagbare. Im Januar 2022 wurde »Maus« in Tennessee aufgrund der darin enthaltenen »unangemessenen Sprache« (wegen Worten wie »verdammt« oder »Schlampe« im Comic) und wegen Darstellung von Nacktheit, Gewalt und Suizid (Spiegelman zeichnete den Selbstmord seiner Mutter) vom Lehrplan verbannt. In einem Interview äußerte sich Spiegelman dazu: »Es sind verstörende Bilder«, aber »wissen Sie was? Es ist verstörende Geschichte.« Der Comic selbst thematisiert Zensur, Propaganda oder die Gefahr des Vergessens. Durch das Verbot schnellte »Maus« in der US-amerikanischen Bestsellerliste auf Platz 1 – Bernstein und Dolin bekamen die Förderung für den Film.

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Regisseurin Danel Elpeleg spürt im Dokumentarfilm »The Governor« ihrem Großvater nach, der nach der Staatsgründung Israels als Militärgouverneur arbeitete, berichtet über bürokratische Gewalt. Seit den Ereignissen des 7. Oktober werden in Israel Stimmen zur Wiedereinführung des Militärregimes laut. Der Film ist damit aktueller denn je.

Kuratorisch zog sich der 7. Oktober durch das Programm. Da gibt es etwa Tom Shovals Dokumentarfilm »Michtav Le’David. A Letter to David« oder den mit dem Gershon-Klein-Dokumentarfilmpreis ausgezeichneten »Holding Liat« (Regie: Brandon Kramer), die sich beide mit dem Schicksal von Geiseln der Hamas befassen. Dani Rosenbergs Spielfilm »Of Dogs and Men«, der den Gershon-Klein-Spielfilmpreis erhalten hat, thematisiert wiederum Verlust und Menschlichkeit im Schatten des 7. Oktober und des Krieges. Außerdem gab es kostenfreie Diskussionen und Panels mit dem 7. Oktober im Fokus. Sie wurden nicht aufgezeichnet, fanden im geschützten Rahmen statt.

Mit knapp 60 Spiel- und Dokumentarfilmen spiegelte das JFBB auch dieses Jahr die Vielfalt des jüdischen Films wider. Salvador Litvak präsentierte mit »Guns & Moses« sogar einen Rabbi-Western und Joe Stephenson mit »Midas Man« ein Biopic über den Beatles-Manager Brian Epstein. Auch der erste in Israel produzierte Film eines beduinischen Regisseurs wurde gezeigt: Yousef Abo Madegems Polit-Drama »Eid«.

Das Festival machte deutlich, wie wichtig Stimmenvielfalt ist. Ein gutes Beispiel ist Zvi Landsmans Dokumentarfilm »Jacob de Haan – A Voice Out of Time« über den niederländisch-jüdischen Journalisten und Aktivisten Jacob Israël de Haan. Landsman porträtiert eine Persönlichkeit, die man nicht so schnell einordnen kann. Der 1881 in den Niederlanden geborene Jacob de Haan veröffentlichte mit »Pijpelijntjes« 1904 einen der ersten explizit homosexuellen Romane der Niederlande. 1919 ließ sich de Haan in Palästina nieder. Nach seiner Abkehr vom Zionismus wurde er zum politischen Vertreter der antizionistischen ultraorthodoxen Gemeinschaft. Am 30. Juni 1924 wurde er von einem Mitglied der zionistischen Untergrundorganisation Haganah ermordet.

Den Regisseur beschäftigten neben der Aufklärung des De-Haan-Mordes vor allem die Fragen nach der Identität, wie wir sie gestalten und wie wir uns selbst mit Zuschreibungen eingrenzen. De Haan setzte sich darüber hinweg, indem er sich immer wieder neu erfand, um sich selbst treu zu bleiben. Bei Widersprüchen suchte er nach Antworten. »Jacob de Haan – A Voice Out of Time« gewann beim JFBB den Preis für interkulturellen Dialog.

Anetta Kahane, die einst als erste und einzige Ausländerbeauftragte des Magistrats von Ost-Berlin arbeitete, plädierte in einem Gespräch über Rassismus und Antisemitismus für mehr Offenheit und den Willen, Komplexität zu begegnen. Das JFBB ging auch in diesem Jahr mit gutem Beispiel voran.

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