Klassisches Krankenhaus oder Poliklinik deluxe

Für Brandenburgs Landkreise wurde das Potenzial ambulanter statt stationärer Behandlung errechnet

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 4 Min.
Gesundheitsministerin Britta Müller (für BSW) zu Besuch im Potsdamer Klinikum »Ernst von Bergmann«
Gesundheitsministerin Britta Müller (für BSW) zu Besuch im Potsdamer Klinikum »Ernst von Bergmann«

In weiten Teilen Brandenburgs, den Berliner Speckgürtel ausgenommen, werden die Einwohnerzahlen bis 2030 sinken. Steigen wird jedoch der Bevölkerungsanteil alter Menschen, die im Schnitt häufiger auf medizinische Versorgung angewiesen sind als jüngere. Der Bedarf an stationärer Behandlung im Krankenhaus würde damit leicht steigen. Die vom Bundestag beschlossene Krankenhausreform hat aber das Ziel, Krankenhausaufenthalte in nennenswerter Zahl durch ambulante Behandlung zu ersetzen. Im Auftrag der Wirtschaftsfördergesellschaft Brandenburg haben das Iges-Institut und die Agenon GmbH versucht, das Potenzial zu ermitteln.

Nachzulesen sind die Ergebnisse in den Versorgungsbedarfsanalysen, die inzwischen vorliegen. Denen ist beispielsweise zu entnehmen, dass im Jahr 2022 im Landkreis Märkisch-Oderland 41 927 Fälle im Krankenhaus behandelt wurden. Die Verweildauer der Patienten in der Klinik summierte sich auf 307 805 Tage. Diese beiden Zahlen könnten bis zum Jahr 2030 um 25,6 Prozent auf 31 256 Fälle beziehungsweise um neun Prozent auf 280 188 Tage reduziert werden – falls deutlich mehr Patienten ambulant behandelt werden.

So weit, so gut – oder so schlecht. Denn derartige Zahlen diskutierte das Potsdamer Gesundheitsministerium auf Regionalkonferenzen mit den Landkreisen, mit Medizinern und mit der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi. Ministerin Britta Müller (für BSW) spricht im Zusammenhang mit dem Potenzial von »theoretischen Zahlen«. Ihr ist bewusst und von Experten nachvollziehbar erklärt worden, dass Patienten nur dann ambulant behandelt werden können, wenn es dafür genügend Arztpraxen gibt – und die aus der DDR bekannten Polikliniken, die heutzutage Medizinische Versorgungszentren heißen.

Daran hapert es aber und der Mangel könnte sich noch verschärfen. So sind im Jahr 2022 in Märkisch-Oderland 29 Prozent aller Hausärzte zwischen 50 und 60 Jahre alt gewesen und weitere 34 Prozent noch älter. Das bedeutet, dass sie unmittelbar vor dem Ende ihres Berufslebens stehen oder in absehbarer Zeit in den Ruhestand treten. Landarztpraxen neu zu besetzen, hat sich in der Vergangenheit an vielen Stellen als Problem erwiesen. Im Landkreis Spree-Neiße hat das dazu geführt, dass mancher Einwohner einfach keinen Hausarzt findet. Es gibt dort Menschen, die deshalb weite Wege in Kauf nehmen und für eine Untersuchung unter Umständen bis nach Berlin fahren. Das Potenzial, künftig mehr Patienten ambulant zu behandeln, dürfte überall nicht hoch sein, wie in den Analysen angegeben.

Ein Ziel der Reform ist es, dass sich Krankenhäuser spezialisieren und nicht sämtliche Behandlungen anbieten. Auf dem Lande ist Letzteres auch heutzutage schon oft nicht mehr der Fall. Beispielsweise werden schwere Verbrennungen nicht überall therapiert. Ministerin Müllers Eindruck ist, dass künftig wohl kaum eine Klinik etwas machen wird, was dort nicht jetzt schon üblich ist – und dass es im Gegenteil so kommen wird, dass da und dort selten vorgenommene Operationen etwa an der Hüfte in diesem und jenem Krankenhaus gar nicht mehr durchgeführt werden. Bei vorher planbaren Eingriffen ist das kein großes Problem. Da nehmen Patienten längere Anfahrten in Kauf, wenn ein Krankenhaus den Ruf genießt, für bestimmte Behandlungen prädestiniert zu sein.

Muckefuck: morgens, ungefiltert, links

nd.Muckefuck ist unser Newsletter für Berlin am Morgen. Wir gehen wach durch die Stadt, sind vor Ort bei Entscheidungen zu Stadtpolitik – aber immer auch bei den Menschen, die diese betreffen. Muckefuck ist eine Kaffeelänge Berlin – ungefiltert und links. Jetzt anmelden und immer wissen, worum gestritten werden muss.

Müllers Abteilungsleiter Michael Zaske versichert aber: »Beim Thema Notfallversorgung verstehen wir keinen Spaß. Die muss gewährleistet werden.« Er sagt auch: »Wir möchten, dass die Krankenhäuser noch da sind am 1. Januar 2027

66 Krankenhausstandorte gibt es im Bundesland. SPD und BSW haben in ihrem 2024 abgeschlossenen Koalitionsvertrag versprochen, alle zu erhalten. Zaske empfiehlt jedoch, sich die entsprechende Formulierung noch einmal genau durchzulesen. Hennigsdorf und Finsterwalde etwa werden Standorte der regionalen Gesundheitsversorgung bleiben, erläutert der Abteilungsleiter. Hier und anderswo gelte allerdings, dass dort kein klassisches Krankenhaus mehr sein wird, sondern eventuell noch eine »Poliklinik deluxe«.

Investitionen in Krankenhäuser, die nun abspecken müssen, sind nach Ansicht der Ministerin nicht verschwendet. Denn die damit aufgebauten Kapazitäten sollen umgenutzt werden für die Altenpflege.

Britta Müller und Michael Zaske wünschen sich, dass einzelne »Geburtsfehler« der Reform noch beseitigt werden. So sollten Klinikärzte flexibel in Abteilungen aushelfen dürfen, die nicht zu ihrer sogenannten Leistungsgruppe gehören. Die Grundidee der Reform seien hochspezialisierte Fachärzte. Doch so funktioniere dies in einer Universitätsklinik, aber wohl kaum in einem kleinen Landkrankenhaus.

- Anzeige -

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.